Indien: Die Wahl der Wirtschaft
16. Mai 2014Die Wahl zur Lok Sabha, dem Unterhaus des indischen Parlaments, dauerte gut einen Monat und gilt als größte demokratische Veranstaltung der Welt. In diesem Jahr haben sich mehr Unternehmer um einen der 552 Sitze beworben als je zuvor.
Bisher haben sich Unternehmer aus der aktiven Politik in Indien meist herausgehalten und stattdessen versucht, über die Finanzierung von Parteien und Politikern Macht auszuüben. Das hat sich geändert. Der Anteil der Kandidaten aus der Wirtschaft hat sich gegenüber der Wahl vor fünf Jahren fast verdoppelt. Angesichts der schwachen Konjunktur und zahlreicher Entwicklungsprobleme in Indien ist dieser Trend von Bedeutung.
Das Wachstum der drittgrößten Volkswirtschaft Asiens hat sich stark verlangsamt und ist von fast zweistelligen Raten auf weniger als fünf Prozent im ersten Quartal des Jahres zurückgefallen. Zu wenig, glauben Ökonomen, um genug Stellen zu schaffen für die Millionen junger Inder, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt strömen.
Zudem schwächt die hohe Inflation in Indien die Kaufkraft der Haushalte. Und nachdem sich die Regierung mehrfach mit multinationalen Firmen wie Vodafone über die Besteuerung gestritten hat, ist der Ruf des Landes als Standort für Investitionen angeschlagen. Zusätzlich werden die Wachstumsaussichten durch eine schlechte Infrastruktuktur und weit verbreitete Korruption gemindert.
Unter den zahlreichen Unternehmern, die diesmal für einen Sitz im Parlament kandidierten, waren auch einige Prominente, etwa Meera Sanyal (Artikelbild), die früher die Geschäfte der Royal Bank of Scotland in Indien führte und bei der Wahl für die AAP kandidierte, eine Partei, die aus der Antikorruptionsbewegung hervorgegangen ist. Nandan Nilekani, Mitgründer der weltweit tätigen IT-Firma Infosys in Bangalore, trat für die bisherige Regierungspartei Kongress an, die als großer Verlierer der Wahl gilt.
Wirtschaftswachstum und Entwicklung standen im Zentrum ihres Wahlkampfs, und mit Verweis auf ihre beruflichen Erfolge versprachen sie, das Land im Falle ihrer ihrer Wahl zum Besseren zu wenden.
Enttäuschung
"Die Enttäuschung über die mangelnden Reformen und geringen Erfolge früherer Regierungen hat viele Geschäftsleute motiviert, sich zur Wahl zu stellen", sagt Rajiv Baswas, bei der US-Analysefirma IHS Chefökonom für Asien.
Die Strategie der Unternehmer war angelehnt an die von Narendra Modi, Kandidat der BJP und voraussichtlich nächster Ministerpräsident des Landes. In der größten Demokratie der Welt haben Themen wie Religion und Kastenwesen traditionell großes Gewicht. Modi konzentrierte sich dagegen vor allem auf die wirtschaftliche Entwicklung - mit Erfolg, wie sein Wahlsieg zeigte.
Fähigkeiten aus der Wirtschaftswelt würden in der indischen Politik dringend benötigt, so Bismas gegenüber DW. "Unternehmer, die Ziele erreicht und Projekte umgesetzt haben, könnten dort für mehr Schwung, Effizienz und bessere Ergebnisse sorgen."
Von ihnen könnten auch stärkere Impulse für dringend benötigte Infrastrukturprojekte und ein besseres Geschäftsklima ausgehen, das ausländische Firmen zu Investitionen veranlasst, so Biswar.
Zweifel
Es gibt allerdings auch kritische Stimmen. Unternehmer hätten in der Vergangenheit versucht, Einfluss auf Regierungsentscheidungen zu nehmen, indem sie Politiker und Parteien bezahlt haben, sagt der politische Analyst Sameer Jaffri. Ein Sitz im Parlament würde Unternehmern nun "die Möglichkeit geben, die Politik des Landes direkt zu beeinflussen", so Jaffri. Nach seinen Angaben kommen 16 Prozent der Kandidaten bei dieser Wahl aus der Geschäftswelt.
Nach Ansicht des indischen Ökonomen Jagdish Bhagwati, Professor an der New Yorker Columbia University, können nur Führungsfiguren mit reiner Weste einen wirklichen Wandel für Indiens korrupte Politik bringen, nicht aber "Geschäftsleute, die oft für politischen Einfluss bezahlen".
Viele von ihnen seien gegen ausländische Investitionen und Freihandel, "ihnen sind Gefälligkeiten lieber als Wettbewerb", so Bhagwati zur DW.
Kernfrage
Indiens Parteien, die traditionell von Familiendynastien beherrscht werden, scheinen die "Außenseiter" aus der Wirtschaft willkommen zu heißen. Allerdings wenden Beobachter ein, dass dies vor allem am Reichtum der Unternehmer liegen könnte.
Kritisiert wird auch, dass die Kandidaten aus der Wirtschaft Teil der großstädtischen Eliten sind und daher wenig Verständnis hätten für die Probleme der Menschen in den Dörfern. Dort lebt die Mehrheit der 1,2 Milliarden Inder, ihre Stimmen sind entscheidend für den Ausgang der Wahl.
Auf dem Land sind Themen wie Kaste, soziale Herkunft und Religion oft wichtiger als das Wirtschaftswachstum. "Die meisten Unternehmer kämpfen in städtischen Wahlkreisen um einen Sitz", sagt Politikanalyst Jaffri. "Die Wähler dort kennen sie und haben eine Beziehung zu ihnen."
Ob Kandidaten aus der Wirtschaft, vom Land oder aus der Stadt kommen, sei aber nicht die Kernfrage, glaubt Wirtschaftsprofessor Bhagwati. "Es geht darum, ob sie klug genug sind, um etwas gegen Armut und Korruption zu unternehmen. Diese Themen brauchen eine politische Lösung."
Der Bericht wurde am 16.5.2014 aktualisiert.