Venezuelas Hyperinflation und die Nerds
14. April 2021Für Gabriel Jiménez ist es in Venezuela zu gefährlich geworden. Seit zwei Jahren lebt er in den USA: Von hier aus treibt er seine persönliche Krypto-Revolution weiter an. Reserve heißt das neueste Projekt, für das er arbeitet. Die Anwendung ermöglicht es unter anderem, die inflationäre venezolanische Währung Bolivar zu umgehen. Seit März kann die Anwendung in Venezuela genutzt werden. "Die Politiker haben keinen Lösung für unser Land", erzählt der 31-Jährige der DW.
Die Geschichte von Jiménez ist eine von Hoffnung und Verrat. Als die sozialistische Regierung ihn vor dreieinhalb Jahren beauftragte, eine Kryptowährung für Venezuela zu entwerfen, sah der damals junge Unternehmer einen Weg, es der Regierung heimzuzahlen. Damals ging Jimenéz - wie Tausende seiner Landsleute - gegen den autokratischen Staatschef Nicolás Maduro auf die Straße. Die Wirtschaft des ölreichen Landes dümpelte da schon seit Jahren vor sich hin.
Die erste staatliche Kryptowährung der Welt
Eine Digitalwährung wie der Bitcoin war für ihn der Inbegriff der Freiheit: keine zentrale Kontrolle, volle Transparenz - eigentlich das Gegenteil dessen, was die Regierung suchte. Die wollte vor allem einen Weg, um die von US-Präsident Donald Trump verschärften amerikanische Sanktionen zu umgehen.
Doch Jiménez war der Macht des Staates nicht gewachsen. Der Petro - die erste staatliche Kryptowährung der Welt- war am Ende alles andere als ein revolutionäres Projekt. Anderes als von Jiménez vorgeschlagen, war der Wert des Petro nicht frei, sondern an ein großes Ölbecken im Orinoko-Delta gekoppelt. Auch das Gründungsdokument - das sogenannte Whitepaper - musste er auf Befehl umschreiben.
Fernsehbilder zeigen Jimenez am Gründungstag des Petro. Im Anzug steht der schlaksige Venezolaner auf einer großen Bühne neben führenden Politikern und schüttelt Hände. "Ich war naiv und es wiegt bis heute schwer, dass der Petro eine politische Waffe der Regierung geworden ist", sagt er heute. Am Ende floh er in die USA - kurz vor seiner Festnahme, wie er berichtet.
Hyperinflation verbrennt die Einlagen der Venezolaner
In der Coder-Szene ist Jimenez nicht unumstritten - gerade die Allianz mit Maduro machen ihn für viele unglaubwürdig. Eines hat er mit den vielen anderen Tech-Experten gemein. Er will die Hyperinflation austricksen. Und die ist in Venezuela gewaltig. Erst Anfang März gab die Regierung in Caracas abermals einen neuen Schein heraus: Eine Million Bolivar steht darauf - der umgerechnete Wert liegt unter einem halben Dollar.
Seit Jahren verbrennt die Inflation jegliche Rücklagen der Venezolaner. Was man heute verdient, kann morgen schon wertlos sein. Im Jahr 2020 lag die Inflation nach ersten Schätzungen bei unvorstellbaren 6500 Prozent - im Vergleich: Die EU strebt eine Preissteigerung von zwei Prozent an.
Die meisten Venezolaner tauschen ihre Rücklagen deshalb gegen Dollar. Laut dem venezolanischenBeratungshaus Ecoanalítitca sind 66 Prozent aller Transaktionen bereits in der US-Währung. Doch auch Kryptowährungen haben ähnlich wie in anderen Hochinflationsländern wie beispielsweise in Simbabwe regen Zulauf. Das zeigt eine Auswertung des Handelsvolumen auf der Plattform LocalBitcoins (siehe Grafik). Demnach ist seit Ende 2019 das Volumen von venezolanischen Bolivar in Bitcoins stark angestiegen.
Einkaufen mit Bitcoin, Ether und Co
Auch das New Yorker Blockchain-Analysehaus Chainanlysis geht davon aus, dass Venezuela eines der aktivsten Länder weltweit in Bezug auf Digitalwährungen ist. Weil die meisten Kryptowährungen dezentral verwaltet werden, ist eine statistische Erhebung schwierig. Dennoch sei Venezuela nach den USA und Russland, das Land, das am meisten Digitalwährungen in US-Dollar P2P handelt - also direkt zwischen Käufer und Verkäufer.
In den großen Städten wie Caracas, Maracaibo oder Valencia ist es manchmal sogar möglich, an einem Straßenstand mit einem digitalen Coin zu bezahlen, berichtet der Krypto-Journalist José Maldonado. Auch in immer mehr Geschäften würden digitale Zahlungsweisen akzeptiert. "Möbel, Klamotten, Lebensmitel - eigentlich ist es möglich fast alles mittlerweile mit Kryptowährungen zu kaufen."
Maldonado schreibt von Venezuela aus für Cointelegraph, ein internationales Nachrichtenportal für Blockchain-Nachrichten. "Die Kryptwährungen haben hier bei uns eine hohe Präsens - vor allem Bitcoin, Ether, Dash und Eos", schreibt er auf DW-Anfrage. Die Krypto-Handelsplattform Binance sei in Venezuela mittlerweile genauso bekannt wie die Traditionsbank Banco de Venezuela.
Krypto-Spielzeug für Mittelschicht, Geflüchtete und Regierung
Aber es sei vor allem die Mittel- und Oberschicht, die mit Kryptowährungen bezahle oder spare. Die Internetverbindung sei in einigen Landesteilen und sogar in den großen Städten oft noch sehr schlecht. "Die Nutzung von Digitalwährungen bleibt für die Mehrheit weiter eine Illusion", so Maldonado.
Gerade für die vielen mittlerweile im Ausland lebenden Venezolaner sind die Kryptowährungen eine Möglichkeit, günstig und schnell Geld an ihre Verwandten zu schicken. Von den knapp 30 Millionen Venezolanern sind fünf Millionen vor der sozialistischen Regierung ins Ausland geflohen.
Der Petro kämpft weiter um seinen Ruf
Die von Gabriel Jiménez miterschaffenen erste Digitalwährung eines Landes - der Petro - wird derweil weiter von der Regierung als staatliches Instrument eingesetzt. So verschenkt sie Petros im Rahmen von Sozialprogrammen. Mitte 2020 gaben Tankstellenbetreiber im Land an, dass rund 15 Prozent der Bezahlungen über den Petro abgewickelt worden sein. Anscheinend will die Regierung die Akzeptanz weiter erhöhen. Zum Ende des Jahres bekamen rund acht Millionen Angestellte als Weihnachtsbonus einen halben Petro - umgerechnet 30 Dollar. Wer den Bonus haben wollte, musste sich auf der staatlichen Plattform registrieren. Auch können Steuerzahlungen können seit Ende 2020 über den Petro getätigt werden.
Inwiefern Funktionäre des Regimes den Petro nutzen, um Gelder ins Ausland zu transferieren, ist unklar. Doch der Vorwurf steht im Raum. Ähnlich wie beim Bitcoin und anderen Digitalwährung lassen sich die wirklichen Absender und Empfänger gut verheimlichen.
Für den Krypto-Experten Gabriel Jimenéz steht fest: Der Petro war ein Fehler. "Das treibt mich heute an, härter zu arbeiten". Das einzig Gute an dem Projekt sei gewesen, dass auch andere Kryptowährungen an Akzeptanz gewonnen hätten. Zwar ist es immer noch ein kleiner Teil, der Zugang zu Digitalwährungen hat. Es scheint aber dennoch, als würde sich dieser wachsende kleine Teil seine finanzielle Freiheit Stück für Stück zurückerobern. Das Risiko dabei ist klar umrissen: Denn die Kryptowährungen sind hoch volatil - doch angesichts des inflationären Bolivars lohnt sich das für viele.