Taiwan will das KMT-Verögen
30. September 2017Wenige Wochen, nachdem Hua Yih-fen 1989 zum Studium nach Köln zog, fiel die Berliner Mauer. Zehn Jahre lang erlebte die Taiwanerin die deutsche Wiedervereinigung und ihre Folgen aus nächster Nähe. Heute ist sie Geschichtsprofessorin in Taipeh. In ihrem kürzlich erschienenen Buch "Wiedergeboren aus den Wunden der Geschichte" beschreibt sie die deutsche Vergangenheitsbewältigung, darunter auch die Aufarbeitung des SED-Regimes. "Für uns in Taiwan sind Deutschlands Erfahrungen sehr wichtig", sagt sie der DW, "denn auch wir sind eine Gesellschaft im Wandel und stehen vor ähnlichen Herausforderungen."
Hua steht seit einigen Wochen in Sachen Aufklärung an vorderster Front. Als Mitglied einer von der Regierung ins Leben gerufenen zwölfköpfigen Untersuchungskommission soll sie Licht ins historische Dunkel bringen, Recht von Unrecht trennen und auch an wunde Punkte rühren. Es geht um die Finanzen der einst allmächtigen Staatspartei Kuomintang (KMT), die Taiwan bis in die neunziger Jahre autoritär regiert hatte.
Anfang 2016 hatte KMT die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen verloren und sitzt nun in der Opposition, und erstmals ohne Parlamentsmehrheit. So konnte sie das Gesetz der regierenden Fortschrittspartei DPP nicht verhindern, mit dem die "Kommission zur Klärung unrechtmäßig erworbenen Parteivermögens" ins Leben gerufen wurde. Nun steht KMT mit dem Rücken zur Wand, kämpft um ihren Besitz.
Rechtmäßigkeit des Parteivermögens
Es gehe nicht um Rache oder Abrechnung der Regierungspartei DPP, sagt die Historikerin, sondern um Übergangsjustiz, auf Englisch "transitional justice". Dieser auch aus Ländern in Südafrika geläufige Begriff bezeichnet eine langwierige Aufarbeitungs- und Aussöhnungsphase, den Übergang von einem autoritären System zur gefestigten Demokratie. Seit den ersten freien Präsidentenwahlen 1996 gilt Taiwan zwar als demokratisch, aber aufzuarbeiten gibt es noch einiges. Anders als in der DDR brach das alte System nicht zusammen, sondern wandelte sich schrittweise. So besteht die KMT, die sich mittlerweile auch zur Demokratie bekennt, bis heute - und ist noch immer die mit Abstand reichste Partei.
Nach Beginn der Demokratisierung trennte sich die KMT vom größten Teil ihres Firmenimperiums und legte die Erlöse in einem Geflecht von Trusts und Investmentgesellschaften an. Ihr so investiertes Vermögen beziffert die Partei selbst auf mehr als 400 Millionen Euro, die jährlichen Erträge auf fast 30 Millionen. Selbst ohne Spenden und Beiträge nimmt sie so mehr ein als jede andere Partei in Taiwan. 2016 bezifferte der ehemalige KMT-Vorsitzende Lee Teng-hui das Parteivermögen auf umgerechnet 22,3 Milliarden Euro. Nach Angaben des taiwanesischen Finanzministeriums besitzt die KMT in Taiwan 679 Grundstücke mit einer Gesamtfläche von 110 Hektar. Allein dieser Grundbesitz ist heute 2,3 Milliarden Euro wert.
In der aktuellen Diskussion geht es um die Herkunft und die Rechtmäßigkeit dieses Vermögens. In der KMT-Parteizentrale lässt sich Taiwans Vergangenheit noch besichtigen, für die einen rühmlich, für die anderen voll Terror. Auf Pappe aufgezogen steht da ein großes Foto von Chiang Kai-shek, der als starker Mann der KMT während des Zweiten Weltkriegs ganz China beherrschte, bis zum Bürgerkrieg gegen Maos Kommunisten. Nach der Niederlage auf dem Festland musste sich der "Generalissimo" 1949 mit seinen Nationalchinesen nach Taiwan zurückziehen. Bis zu seinem Tod 1975 stellte er sicher, dass seine Macht hier nicht wieder ins Wanken geriet.
Kuomintang im Abwehrkampf
Seit die Untersuchungskommission vor einem Jahr ihre Arbeit aufgenommen hat, ist die KMT im Abwehrkampf und vor allem nicht mehr liquide. Konten wurden gesperrt, Zahlungsaufforderungen liegen auf dem Tisch, es droht die Pfändung von Immobilien. Die Partei musste Mitarbeiter entlassen und Spenden einwerben, um den Betrieb aufrecht zu erhalten.
"Wir arbeiten nicht für eine Partei, sondern für unser Land und den Rechtsstaat", sagt Hua Yih-fen über die Kommission. "Wir sind kein politischer Verfolgungsverein." Das sieht KMT-Sprecher Huang Chien-hao, seit Mai offiziell im Amt, anders. "Die Kommission ist illegal und verfassungswidrig, weil sie sich gezielt gegen eine Partei richtet", sagt er. "Die Regierung nutzt ihre Mehrheit im Parlament, um uns als größte Oppositionspartei auszuschalten."
Besonders ungerecht findet Huang, dass sich seine Partei für Jahrzehnte zurück liegende Geschäfte rechtfertigen müsse. Das Gesetz habe nämlich die Beweislast umgekehrt und pauschal alles Vermögen aller Parteien seit 1945 für illegal erklärt, das sich nicht auf Spenden, Mitgliedsbeiträge oder öffentliche Zuwendungen zurückführen lasse. Es solle verstaatlicht oder seinen ursprünglichen Besitzern zurückgegeben werden. Und wenn es schon verkauft wurde, solle eine Entschädigung fließen. Hintergrund ist, dass die KMT nach der Übernahme Taiwans von den Japanern 1945 massenweise staatlichen Besitz, wie Immobilien oder Unternehmen, in Parteivermögen überführt hatte.
"Damals waren Staat, Regierung und Partei nun mal das gleiche", gibt Huang zu bedenken. Außerdem habe die KMT viel für das Land getan. "Man sollte die Geschichte nicht mit heutigen Maßstäben beurteilen", so Huang weiter. Die Strategie der KMT sei es nun, gegen jede Entscheidung der Kommission den Rechtsweg einzuschlagen und dem Verfassungsgericht das Gesetz zur Prüfung vorzulegen. Außer auf Richter zu hoffen bleibt ihr kaum etwas übrig, denn die Bevölkerung in Taiwan hat mehrheitlich kein Problem mit der Arbeit der Kommission.
"Die Zeit ist nicht auf ihrer Seite"
Ganz am anderen Ende von Taipeh liegt der Campus der Academia Sinica, Taiwans renommiertester staatlicher Denkfabrik. Die abgeschiedene Lage auf der Rückseite einer Hügelkette hatten die Akademiker damals bewusst gewählt, um möglichst weit von der Regierung unbehelligt forschen zu können. Im Institut für Rechtswissenschaften sitzt Su Yen-tu in seinem Büro und schüttelt den Kopf über die Argumentation der KMT. "Die Zeit ist nicht auf ihrer Seite", sagt der Verfassungsrechtler im DW-Interview. "Aus juristischer Sicht hat KMT keine große Chance. Ich denke nicht, dass ihnen die Richter unbedingt wohl gesonnen sind." Aus seiner Sicht sei das Vorgehen gegen die KMT-Finanzen aus mehreren Gründen angemessen. "Vermögenswerte wie Grundstücke hatten damals rechtmäßige Eigentümer, nämlich den Staat oder Privatleute. Sie hätten es nach der Demokratisierung auch zurückbekommen sollen."
"Es kann keinen fairen politischen Wettbewerb und keine fairen Wahlen geben, wenn eine Partei über so eine fragwürdige Geldquelle verfügt", sagt Verfassungsrechtler Su. "Das ist ein Thema, das die ganze Gesellschaft betrifft." Das sei gängige Meinung in Juristenkreisen. Die Klagen über politische Verfolgung findet er überzogen. Schließlich könne sich die KMT, wie jede andere Partei auch, weiterhin aus legitimen Quellen wie Mitgliedsbeiträge oder Spenden finanzieren.
In Deutschland hatte eine unabhängige Kommission von 1990 biss 2006 dem Parteivermögen SED nachgespürt. Am Ende hatte sie der Staatskasse über eine Milliarde Euro gesichert, die versteckt und verschoben worden waren. Hua Yih-fen und ihre Kollegen können nach einem Jahr bereits abschätzen, dass sie diese Summe bei der KMT und ihren früheren Unterorganisationen wohl noch übertreffen werden, falls die Gerichte ihnen keinen Strich durch die Rechnung machen. Historikerin Hua hofft auf eine andere Lösung: „Am besten wäre es, wenn die KMT selbst zur Einsicht kommt und dem Staat das illegal erworbene Vermögen zurückzugibt. Es braucht Zeit, bis Menschen wach werden. Aber das wäre besser, als alles juristisch zu behandeln."