Künstlertreffen von Degas und Rodin in Wuppertal
28. Oktober 2016Museumsdirektor Gerhard Finckh greift stolz zum Superlativ: Edgar Degas (geb.1834) und Auguste Rodin (geb. 1840) nennt er "Giganten des Impressionismus", die sich einen „Wettlauf zur Moderne" lieferten. Und bevor demnächst, im gemeinsamen 100. Todesjahr – große Jubiläumsschauen über die Bühne gehen, macht Finck seinen Kollegen schon mal eine lange Nase: Er lässt das Werk beider Künstler aufeinander treffen - in einer Art doppelter Werkschau, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten vorführt.
Degas und Rodin lebten, arbeiteten und starben in Paris, dem Hotspot des Impressionismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damit erschöpfen sich die Parallelen aber schon weitgehend – jedenfalls auf den ersten Blick. Denn während Degas, der Aristokratenspross, als Maler wunderbarer Tanzbilder berühmt wurde, gilt Rodin, der Sohn eines Polizisten, heute als der wichtigste Bildhauer seiner Zeit. In Wuppertal begegnen sich der Maler, der etwas modellierte und der Bildhauer, der auch malte, künstlerisch auf Augenhöhe. Mindestens zwei Mal trafen sie sich zu Lebzeiten. Bekannt ist eine Postkarte Degas' an den "lieben Rodin".
In Schönheit schwelgen
In Schönheit schwelgt, wer die großzügigen Säle des Von der Heydt-Museums durchwandert. Staunen lässt, wie beide nach einer künstlerischen Form für alltägliche Lebenserfahrungen suchten - Degas, indem der die Damen des Varietés, Tänzerinnen auf der Bühne oder Frauen bei der Toilette malte; Rodin, der seinen Plastiken bisweilen raue, ungeschönte Oberflächen verlieh. Rodins "Mann mit der gebrochenen Nase" ist zweierlei – Abschied vom Klassizismus und modelliertes Bekenntnis zur Moderne, nicht weniger übrigens als Degas' skandalöse Wachsfigur einer 14-jährigen Tänzerin. Zeitgenossen kritisierten ihre Anzüglichkeit - er hatte ihr die Lippen rot geschminkt und sie in ein echtes Kostüm gesteckt - weshalb der Künstler nie wieder Skulpturen ausstellte. Erst nach seinem Tod fanden sich in seinem Atelier weitere Körperstudien.
Erfinder der impressionistischen Plastik
"Degas und Rodin erfanden die impressionistische Plastik", konstatiert Museumsdirektor Finckh. Er lässt Paraden lebensecht wirkender Skulpturen aufmarschieren. Beeindruckend etwa ein tänzerischer Reigen von sechs Statuetten Degas' vor Tanzbildern des Meisters. Immer ist es Tanz und Bewegung, was beide Künstler gleichermaßen faszinierte.
Doch auch die Bewegung und Anatomie von Pferden interessierte sie. Degas, ein begeisterter Besucher der Pferderennbahn, ergötzte sich an der Mischung aus Alltäglichkeit und Tradition. Er verewigte die Szenerien aus bunten Jockeys und eleganten Rennpferden in vielen Gemälden und Pastellen. In Auguste Rodins Werk kommen Pferde dagegen selten vor - in wenigen Gemälden und Skizzen, die er als Vorlage für Denkmalsentwürfe nutzte. Nicht uninteressant auch, welche Rolle die Fotografie in beider Werk spielte: Nahm Rodin Fotos seiner Plastiken, um deren Wirkung zu testen, so fotografierte Degas zwar selbst, dafür eher selten und vornehmlich Freunde und Bekannte.
Die Kunstgeschichte nun umzuschreiben, muss nicht sein. Aber es sind solche Entdeckungen, die die Wuppertaler Schau und auszeichnen. Für die Ausstellung hat Museumschef Finckh rund 100 Arbeiten jedes Künstlers zusammen geliehen - Gemälde, Aquarelle, Skulpturen und außerdem reichlich Archivmaterial. Allein 50 Rodin-Skulpturen steuerte das Museé Rodin in Paris und Meudon bei. Was fehlt, ist Edgar Degas' anmutige 14-jährige Tänzerin. Sie steht zur Zeit im Kölner Wallraff-Richartz-Museum, das die Sammlung Bührle präsentiert.