Weihnachtsmekka Rothenburg
26. Dezember 2011Rothenburg ob der Tauber liegt am westlichen Rand von Bayern, zwischen Würzburg und Nürnberg. 11.000 Menschen leben in der kleinen Stadt, die zu den am besten erhaltenen mittelalterlichen Städten Deutschlands gehört und jährlich an die 1,5 Millionen Besucher anlockt. Gerade zur Weihnachtszeit fallen die Touristen in Scharen in Rothenburg ein. Die festlich geschmückte Stadt bietet wunderbare Motive für Fotos. Es gibt einen Weihnachtsmarkt mit Glühwein und anderen Leckereien und jede Menge Weihnachtsshops. Einer davon ist sogar das ganze Jahr über offen und weltberühmt. "Käthe Wohlfahrt": Für Kenner und Liebhaber deutschen Weihnachtsschmucks ist dieser Shop ein wahres Mekka.
Schon am Eingang wird der Besucher von einem riesigen Nussknacker begrüßt. Betritt man den Laden, taucht man in eine glitzernde Märchenwelt ein. Hier gibt es alles für den passionierten Weihnachtsfan: Wachsengel, Holzpüppchen, Weihnachtspyramiden, Christbaumschmuck in allen Formen und Farben, Räuchermännchen, Krippen. Vieles davon wird in eigener Produktion hergestellt und zwar in der hauseigenen Künstlerwerkstatt. Solche Vielfalt braucht Platz, und schon nach wenigen Metern zeigt sich, warum die Geschäftsräume von Käthe Wohlfahrt "Weihnachtsdorf" genannt werden. Der Raum öffnet sich nach unten auf eine Art Marktplatz, gesäumt von schneebedeckten Fachwerkhäusern. In den Himmel aus Lichtern und Tannenzweigen ragt ein fünf Meter hoher weißer Weihnachtsbaum.
Weihnachtliche Erbstücke
Felicitas Höptner ist nicht nur die Sprecherin des Unternehmens Käthe Wohlfahrt, sie ist auch so etwas wie die Seele des Geschäfts. Zu jedem Stück aus dem Sortiment kann sie Geschichten erzählen und kennt jeden Winkel im Weihnachtsdorf.
Vorbei an unzähligen Anhängerchen und ganzen Abteilungen für Lichterbögen, Nussknacker und Räuchermännchen kommen wir zu einem der Herzstücke des Weihnachtsdorfes. Im "Schatzkästchen" sind Sammlerfiguren ausgestellt, kleine Engelchen und noch kleinere Gegenstände, filigran geschnitzt und bemalt. "Die sind so fein gearbeitet, dass man in den Augen die Iris und die Pupille voneinander unterscheiden kann," erklärt Felicitas Höptner.
Marjanne aus den Niederlanden liebt diese Engelchen. Sie kommt jedes Jahr nach Rothenburg, um ihre Sammlung von kleinen Weihnachtsengeln zu erweitern. Sie muss nur noch vier Figürchen kaufen, dann hat sie das ganze himmlische Orchester zusammen, erzählt sie stolz.
Für sie sind die Engel auch Anlageobjekte. Immerhin kostet eines dieser zehn Zentimeter kleinen Unikate 50 Euro und mehr. Ihre Kinder werden das alles mal erben, lacht Marjanne und lässt sich einen kleinen Klavierspieler einpacken. Er gehört zu einer himmlischen Jazzkapelle, die dieses Jahr offenbar der letzte Schrei unter den Sammlern ist.
Russen lieben Glitzer
Neben echtem und wertvollem Kunsthandwerk, ist allerdings auch der übliche Weihnachtskitsch hier zu finden. Felicitas Höptner hat die Kunden aus aller Welt genau beobachtet und weiß, welche Vorlieben die Besucher haben. So haben Amerikaner große Freude an den traditionellen Schnitzereien aus dem Erzgebirge, also Schwibbögen, an Räuchermännchen und Weihnachtspyramiden. Japaner kaufen gerne kleine Dinge und Russen mögen alles, was glitzert.
Dass die Betreiber von Käthe Wohlfahrt Wert auf guten Kundenkontakt legen, zeigt sich auch in der Abteilung für Weihnachtspyramiden. Dort steht Okoyama. Die Japanerin sorgt dafür, dass ihre Landsleute, die hier in Scharen durch die Gänge streifen, auch wissen, was sie da kaufen. Sie habe schon immer großen Spaß an Deutschland gehabt, erzählt sie, und der Job bei Käthe Wohlfahrt gefalle ihr ziemlich gut. In diesem Jahr hat sie besonders viel zu tun, noch nie seien so viele Japaner da gewesen wie jetzt in der Adventszeit.
Bäume die von der Decke hängen
Nach dem Rundgang durch das Weihnachtsdorf fühlt man sich erst einmal halb erschlagen von dem unglaublichen Angebot. Aber wenn man dann trotzdem noch wissen will, woher die Weihnachtsbräuche eigentlich kommen, dann muss man nur eine kleine Treppe hochgehen ins Weihnachtsmuseum, wo sich alles um die Kulturgeschichte der Weihnachtsdekoration dreht.
Der Brauch, sich einen geschmückten Tannenbaum ins Zimmer zu stellen, ist gerade mal 400 Jahre alt. In Bauernfamilien, die keine große Stube hatten, machte man kleine Weihnachtsbäume an der Decke fest und hängte Gebäck und Obst daran. "Das war unter Umständen nicht ganz ungefährlich", erzählt Felicitas Höptner, "nur ein Baum pro Familie war erlaubt. Und wenn man einen im Wald schlug und nur die Spitze mitnahm, gab es gewaltige Geldstrafen und zum Teil sogar Arrest über Weihnachten, wenn man erwischt worden ist."
Warum der Weihnachtsmann nicht von Coca Cola kommt
Der Besucher erfährt alles über den Adventskalender und über die Krippen. Und hier wird eindeutig bewiesen, dass der Weihnachtsmann eben NICHT die Erfindung von Coca Cola ist. Ein ganzer Raum widmet sich einer grimmigen Gestalt, die nur wenig mit dem gemütlichen Rauschebart-Opa auf dem Rentierschlitten gemeinsam hat.
Felicitas Höptner deutet auf eine Zeichnung und erzählt, dass man lange nach einer Figur gesucht hatte, die im Gegensatz zum heiligen Nikolaus losgelöst sein sollte vom christlichen Glauben. Der Maler Moritz von Schwind hatte in einer damals sehr populären Münchener Zeitung unter dem Titel "Herr Winter" eine Bildergeschichte gezeichnet. Und da tauchte dieser Kerl mit Rauschebart im langen Kapuzenmantel zum ersten Mal auf. In der Hand hält er einen kleinen Tannenbaum.
Diese Figur gilt heute als Prototyp des Weihnachtsmannes. Coca Cola machte ihn erst 1931 zum Werbeträger und machte aus "Santa Claus" den freundlichen, properen Mann in roter Jacke mit breitem Gürtel.
Mannshohe Schnitzkunstwerke
Und schließlich zeigt das Museum noch die Prachtstücke seiner Sammlung: Mannshohe Weihnachstpyramiden, teils mehr als 200 Jahre alt, aus Holz geschnitzt und liebevoll restauriert. Sie stammen aus dem Erzgebirge im südlichen Sachsen an der tschechischen Grenze. Dort befindet sich das Herz der deutschen Weihnachtsschmuckindustrie, die traditionellen Holzarbeiten stammen von dort. Früher haben die Bergleute nach Feierabend an den mehrstöckigen Türmen geschnizt. Dankbare Abnehmer hatten sie in den Gegenden, wo es schwer war, einen Weihnachtsbaum zu bekommen. Dort nutzten die Menschen den mehrstöckigen Turm mit den Kerzen als Weihnachtsbaumersatz.
Nach dem Museumsbesuch geht man mit anderen Augen durch den Weihnachtsshop. Dank der neuen Kenntnisse kann man zum Beispiel mit gutem Gewissen den alljährlichen Weihnachtsbaum weglassen und stattdessen eine Weihnachtspyramide kaufen – handgefertigt aus dem Erzgebirge mit Garantie und Zertifikat.
Autorin: Silke Wünsch
Redaktion: Marlis Schaum