In London muss sich etwas bewegen
11. Februar 2019Die Brexit-Verhandlungen drehen sich im Kreise. Und obwohl alles schon mehrmals von allen gesagt worden ist, darf EU-Unterhändler Michel Barnier keine Müdigkeit zeigen. Es geht nämlich nicht nur darum, einen drohenden harten Brexit ohne Abkommen zu vermeiden, sondern auch um die künftige Schuldzuweisung. Das Schwarze-Peter-Spiel ist auf britischer Seite bereits voll im Gange. Und beide Seiten beharren auf ihren roten Linien, was einen Ausweg aus der Sackgasse weiter unmöglich erscheinen lässt.
Kaum noch Zeit für Einigung
"Die verbleibende Zeit ist sehr kurz", es seien nur noch 46 Tage bis zum Brexit, sagt Michel Barnier vor seinem Treffen mit Stephen Barclay. "Die Uhr tickt", war schon im vorigen Jahr sein Lieblingssatz, weil sich die britische Seite viel Zeit ließ. Inzwischen bleibt wirklich kaum Spielraum, um noch grundlegende Änderungen zu vereinbaren. Und: "Theresa May will keine Verlängerung", erklärt der Franzose.
Mit völlig leeren Händen war die Premierministerin in der vergangenen Woche nach ihrer Visite bei den EU-Spitzen Jean-Claude Juncker und Donald Tusk wieder nach Hause gefahren. Deren einzige Ansage war: Das Austrittsabkommen wird nicht aufgeschnürt. Zwar hatte das britische Parlament zuvor mit Mehrheit dafür gestimmt, den sogenannten Backstop für die irische Grenze daraus zu streichen und durch "alternative Lösungen" zu ersetzen, aber dazu sagte Brüssel ganz klar "Nein".
Auch in Nordirland und bei ihrem Kollegen Leo Varadkar in Dublin hatte May kein Glück. Nirgendwo zeigt sich die Bereitschaft, nachzugeben oder der Schimmer einer Idee, wie die Rückversicherung gegen das Entstehen einer harten Grenze auf der irischen Insel ersetzt werden könnte. Die Hoffnung auf neue Technologien, Grenzüberwachung per Drohne und Nummernschild-Erkennung hält die EU für eine Illusion.
Dennoch muss der nunmehr dritte Brexit-Minister der britischen Regierung bei Michel Barnier noch einmal sein Glück versuchen. Stephen Barclay ist Verfechter einer harten Linie: Man müsse der EU nur überzeugend genug mit einem Brexit ohne Abkommen drohen, dann werde sie schon nachgeben. Der Brexit-Poker geht weiter und wer zuerst blinzelt hat verloren.
Aber genau darauf setzt auch die EU: Solange im Unterhaus keine klare Mehrheit für das Austritts-Abkommen erkennbar ist, gelten weitere Zugeständnisse als sinnlos. Brüssel wartet bis zum letzten Moment, bis in London schließlich doch ein Gefühl der Panik entsteht.
Die Regierung hat ihre Meinung geändert
Immer wieder betonen die EU-Unterhändler, der inzwischen so verhasste irische Backstop sei eigentlich ein Entgegenkommen der Europäer aufgrund britischer Forderungen gewesen. Die Regelung sieht vor, dass das gesamte Königreich nach Ablauf der Übergangszeit zunächst in einer Art Zollunion bleibt, um eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden.
"Der Backstop war nicht unsere Idee von der Zukunft", betont Michel Barnier einmal mehr. Die Briten hätten ihn so gewollt, und inzwischen ihre Meinung dazu geändert. Genauer gesagt hatte die verheerende Niederlage Theresa Mays im Unterhaus, wo ein Drittel ihrer eigenen Partei gegen das Austritts-Abkommen gestimmt hatte, die Lage verändert. Seitdem sitzt man in der Sackgasse.
Er habe mit Interesse den Vorschlag von Oppositionsführer Jeremy Corbyn gelesen, sagt Barnier. Er bietet an, May beim Brexit zu unterstützen, wenn sie auf eine dauerhafte Zollunion und künftige enge Bindung an die EU umschwenken würde. So ließe sich natürlich das irische Problem am einfachsten lösen. Aber May erteilte dem Labour-Parteichef inzwischen eine Absage, wenn sie auch weitere Gespräche mit der Opposition und andere Kompromisse verspricht.
Strategiespiele in London
Schon am Dienstag will die Premierministerin das Parlament erneut über den Stand der Verhandlungen informieren. Sie hat allerdings nichts Neues mitzuteilen. Und am Donnerstag wollen dann die Abgeordneten wieder im Unterhaus debattieren und neue Änderungsanträge auf den Weg bringen.
Bis Ende des Monats wird das Parlament Theresa May wohl Zeit geben, der EU Zugeständnisse zu entreißen. Klappt das nicht, werden die Abgeordneten wahrscheinlich per Abstimmung die Reißleine ziehen. Dann könnte das Unterhaus der Regierung einen harten Brexit ohne Abkommen verbieten, ihr eine Verlängerung aufzwingen oder am Ende doch noch ein zweites Referendum verlangen.
Bis dahin tun beide Parteiführer alles, um bei dem innenpolitischen Strategiespiel um den Brexit ihre Position zu wahren. Theresa May muss verhindern, dass sich die Hardliner in der konservativen Partei abspalten und ihr weitere Kabinettsmitglieder davon laufen. Und Jeremy Corbyn steht vor einem ähnlichen Dilemma. Unterstützt er Mays Brexit gegen die Mehrheit seiner Abgeordneten, würde die Labour Party auseinander fliegen. In Brüssel heißt es dazu nur lapidar: Es waren die Briten, die den Brexit gewollt haben, jetzt müssen sie für eine Lösung sorgen.