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Politik

Ukraine: Enttäuscht von Deutschland

Alexander Sawizkij
26. Januar 2022

Die deutsche Politik sorgt für Unmut in Kiew: Neben der Gaspipeline Nord Stream 2 ist es nun vor allem Berlins restriktive Haltung zu Waffenlieferungen, die ukrainische Politiker verärgert. Ein Stimmungsbild.

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Deutschland I Heiko Maas trifft den Aussenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba
Außenminister Dmytro Kuleba (Archivbild) kritisiert die deutsche "Blockade"Bild: John Macdougall/AP/picture alliance

Kiew macht keinen Hehl aus seiner Enttäuschung. Die Ukraine sieht sich von einer neuen russischen Aggression bedroht, doch Berlin lehnt die Bitte ab, Verteidigungswaffen zu liefern. Für Verärgerung sorgte auch der inzwischen zurückgetretene Inspekteur der deutschen Marine, Kay-Achim Schönbach, der unter anderem die Überzeugung geäußert hatte, die von Russland 2014 annektierte Halbinsel Krim werde niemals zur Ukraine zurückkommen. Schönbachs Rücktritt konnte die Wogen nicht vollständig glätten.

"Die Stunde der Wahrheit ist gekommen"

All dies veranlasste den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba nun zu einer eher kritischen Einschätzung des bilateralen Verhältnisses. "Deutschland hat seit 2014 viel für die Ukraine getan, um Sanktionsdruck zu mobilisieren, ukrainische Reformen zu fördern und die ukrainische Wirtschaft zu unterstützen", sagte der Minister im ukrainischen Sender ICTV. Doch in jeder Krise komme es zur Stunde der Wahrheit. "Jetzt sind wir mit Deutschland bei dieser Stunde der Wahrheit angelangt, und zwar bei einer Reihe grundlegend wichtiger Fragen, was die Sicherheit und Zukunft der Ukraine als unabhängigen Staat angeht", betonte Kuleba.

Zu diesen Fragen zählen aus ukrainischer Sicht eine deutsche Unterstützung härtester Sanktionen gegen Russland, die Ostseepipeline Nord Stream 2 sowie die Lieferung von Waffen. "Es geht um bilaterale Waffenlieferungen von Deutschland an die Ukraine, aber auch um die deutsche Erlaubnis an Drittstaaten, Waffen weiterzugeben. Es geht auch um eine deutsche Zustimmung für ukrainische Waffenkäufe über die NATO. Bei diesen Fragen dürfte es eigentlich gar keine Blockade durch Deutschland geben", so Kuleba. Medienberichten zufolge hat Berlin Estland bislang nicht erlaubt, die Ukraine mit Beständen alter Haubitzen zu beliefern, die einst im Dienst der Nationalen Volksarmee der DDR standen.

"Deutsche Ukraine-Politik überdenken"

Bereits im Dezember letzten Jahres hatte Verteidigungsminister Oleksij Resnikow Deutschland beschuldigt, Waffenlieferungen über die NATO an die Ukraine zu verhindern. "Sie bauen die Gasleitung Nord Stream 2 und blockieren zugleich unsere Bewaffnung zur eigenen Verteidigung. Das ist ziemlich unfair", sagte er ukrainischen Medien zufolge. Der Minister warnte, die Strategie, "Russland nicht zu provozieren", werde nicht aufgehen.

Ukrainischem Verteidigungsminister Oleksij Resnikow im ukr. Parlament
Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow fordert von Berlin FairnessBild: Oleksandr Klymenko/REUTERS

Unterdessen hat das ukrainische Parlament die UNO, das Europäische Parlament, Regierungen und Parlamente anderer Länder, aber auch parlamentarische Versammlungen internationaler Organisationen aufgefordert, die von der Ukraine angestrebte europäische Perspektive endlich anzuerkennen und einen Zeitpunkt für ihren Beitritt zur NATO zu bestimmen.

Infografik russische Truppen Ukraine DE
Blau markiert - russische Truppen an der ukrainischen Grenze

Gleichzeitig richteten die parlamentarischen Ausschüsse für europäische Integration und auswärtige Angelegenheiten ein gemeinsames Schreiben an den Deutschen Bundestag. Darin fordern sie, die deutsche Ukraine-Politik angesichts der russischen Bedrohung zu überdenken. "Es ist unverantwortlich und kurzsichtig, uns nicht zu bewaffnen und sogar unsere Partner daran zu hindern. Alle bisherigen Rechtfertigungen dieser Politik sind nicht überzeugend. Das ist keine Beschwichtigungspolitik, sondern stellt eine Ermunterung zum Krieg dar", heißt es in dem Schreiben.

"Ukraine wird nie Waffen gegen andere Länder richten"

Marina Bardina, Abgeordnete der regierenden Partei "Diener des Volkes" und stellvertretende Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses, sagte der DW, sie und ihre Kollegen würden vom Deutschen Bundestag in erster Linie diplomatische Hilfe und Unterstützung für eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland erwarten.

Besorgnis darüber, dass Berlin nicht nur deutsche Waffenlieferungen verhindert, sondern auch die anderer Länder, äußerte im Gespräch mit der DW Iryna Heraschtschenko. Sie ist eine der Fraktionsvorsitzenden der Partei "Europäische Solidarität" und Mitglied des auswärtigen Ausschusses. "Auch die Ukraine zieht die Diplomatie den Waffen vor. Die Ukraine wird nie Waffen gegen andere Länder richten, während gegen uns schon seit acht Jahren Waffen im Einsatz sind. Wir haben das Recht auf Verteidigung. Die Garanten der europäischen Moral und Werte müssen sich darüber im Klaren sein", so Heraschtschenko.

Ukraine | Kiew - Parlaments Sitzung
Fast alle Fraktionen im ukrainischen Parlament wünschen sich deutsche HilfeBild: Irina Yakovleva/TASS/dpa/picture alliance

Auf einen ganz anderen Punkt weist Walerij Hnatenko hin, Abgeordneter der Partei "Oppositions-Plattform - Fürs Leben", die die zweitstärkste Fraktion stellt. Hnatenko empfindet es als Demütigung, dass die Ukraine den Westen um Waffen bittet, denn einst habe sie selbst Waffen exportiert. "Die jetzige Politik unseres Staates ist falsch. In 30 Jahren haben wir alles ruiniert, was wir 1991 von der Sowjetunion geerbt haben", so der Abgeordnete.

"Auf Widersprüche in deutscher Position hinweisen"

Nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Deutschland und anderen westlichen Ländern gibt es Politiker mit pro-russischen Ansichten. Darauf verweist der ukrainische Politikwissenschaftler Wolodymyr Fesenko im DW-Gespräch. Seiner Meinung nach sollte Kiew die Partnerschaft mit Deutschland weiter aktiv ausbauen, sich aber nicht genieren, Forderungen zu stellen und das Vorgehen des offiziellen Berlin zu kritisieren.

"Unter der ukrainischen Vorgängerregierung war jede öffentliche Kritik an Deutschland und den westlichen Partnern generell tabu", so Fesenko. Doch das sei nicht hilfreich gewesen: "Wir müssen partnerschaftlich und freundschaftlich auf die gravierenden Widersprüche hinweisen, die in der Position deutscher offizieller Vertreter zum Ausdruck kommen." Diese Position würde, so der Experte, Russland dienen, aber der Ukraine schaden.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

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