In Ankara geht die Angst um
29. Juli 2016Nach einem von Amnesty International zu Beginn der Woche veröffentlichten Bericht soll es in Haftanstalten in der Türkei zu Misshandlungen gekommen sein. Die aufgeführten Fälle umfassen Schläge, Folter und Vergewaltigungen.
Nach Angaben von Andrew Gardner, einer der beiden Autoren des Amnesty-Berichtes, gibt es kaum Anwälte, die sich der Missbrauchsfälle annehmen wollen. Und diejenigen, die zu den Opfern von Folter oder Misshandlungen zählen, wollen nicht darüber sprechen.
"Ich kämpfe bereits mehr als zehn Jahre für Menschenrechte in der Türkei. Eine solche Angst bei Menschenrechtlern und ihren Organisationen habe ich noch nie erlebt", sagt Gardner. Man benötigt Mut, wenn man sich in der Türkei für Menschenrechte stark machen möchte. Journalisten, inländische Menschenrechtsorganisationen und Anwälte brauchen heute besonders viel davon. "Die Lage ist ernst", betont Gardner.
Angst um die eigene Familie
"Diese Angst ist nun auch auf die Familien der Inhaftierten übergesprungen", sagt Senel Karatas, die die Zweigstelle der Human Rights Foundation in Istanbul leitet. Karatas spricht von mehr als 30 Personen, die bereits bei der Menschenrechtsorganisation Hilfe gesucht hätten.
"Sie kommen zu uns, schildern ihre Lage und gehen wieder. Sie fürchten um ihr eigenes Leben und das ihrer Angehörigen, die misshandelt wurden. Danach hört man nichts mehr von ihnen", so Karatas. "In kürzester Zeit hat sich eine klare Vorstellung von Patrioten und Verrätern in den Köpfen der Menschen festgesetzt. Diese Charakterisierung der Verräter kann schnell auf deren Familien übertragen werden. Demzufolge werden auch die Familien bestraft."
Viele hätten sogar Angst, sich nach ihren Kindern zu erkundigen, da die Öffentlichkeit sie dadurch mit den Verrätern in Verbindung bringen könnte. "Auf der einen Seite setzen sie sich dem Vorwurf aus, einen angeblichen Staatsverräter zu schützen, auf der anderen Seite der Gefahr, gemobbt zu werden", erklärt Karatas.
Pflichtverteidiger fürchten um ihre Existenz
Die Rechtsanwältin Deniz Bilgen von der Anwaltskammer in Ankara (Ankara Bar Association) berichtet, dass Festgenommenen die Kontaktaufnahme mit Anwälten verweigert würde. Dies ebne den Weg für Misshandlungen. Außerdem dürfen sich laut Bilgen Inhaftierte, die mit dem Putschversuch in Verbindung gebracht werden, ihren Rechtsbeistand nicht selbst aussuchen.
"Beim Gericht trifft man auf Menschen, die offensichtlich misshandelt wurden. Menschen mit gebrochenen Nasen, deren Arme und Beine mit Blutergüssen übersät und deren Hände blutig sind", sagte Bilgen der DW. Anwälte, die versuchten ihre Mandanten zu fotografieren und die Vorfälle meldeten, würden von der Polzei bedroht oder unter Druck gesetzt.
"Bei einem Anwalt wurde das Telefon von der Polizei beschlagnahmt, als dieser versuchte, seinen Mandanten zu fotografieren. Die Aufnahmen wurden gelöscht, der Anwalt bedroht und beschimpft", so die Anwältin.
Die Polizisten hätten gefragt: "Sind Sie ein Teil dieser Organisation? Wieso machen Sie diese Fotos? Wollen Sie Teil dieser Untersuchung werden?" Bilgen bezweiflet zudem, dass die Angeklagten ein faires Gerichtsverfahren erhalten, wenn von Anfang an Rechtsverstöße vorliegen.
Ankara dementiert Foltervorwürfe
Die türkische Regierung hat auf der Homepage des Justizministeriums jegliche Foltervorwürfe zurückgewiesen. Des Weiteren sagte der türkische Justizminister Bekir Bozdag im Fernsehen, dass der Amnesty-Bericht weit von der Realität entfernt sei. Individuelle Gesundheitsberichte dokumentierten den Gesundheitszustand der Verdächtigen vor und während der Haft.
"Diese Berichte existieren und sind öffentlich zugänglich. Keiner dieser Berichte bestätigt die Vorwürfe, sondern widerlegt diese eindeutig", so Bozdag. Die Verletzungen, die im Gesicht des vermeintlichen Putschanführers und ehemaligen Kommandeurs der türkischen Air Force, Akin Öztürk, zu erkennen sind, seien entstanden, als Ozturk während des Putschversuchs aus dem Helikopter fiel. "Lügen über Lügen werden hier verbreitet", erklärte Bozdag.