EU exportiert Impfdosen auch nach Großbritannien
11. März 2021Der Streit zwischen der EU und Großbritannien hatte sich am Wochenende entzündet: In einem offenen Brief schrieb Ratspräsident Charles Michel von einem britischen "Exportbann" für Impfstoff. Die britische Regierung dementierte sofort, einen solchen Bann gebe es nicht. Premierminister Boris Johnson wies die Anschuldigung am Mittwoch bei der Fragestunde im Unterhaus noch einmal voller Empörung zurück. Die durch Probleme mit dem Nordirland-Protokoll aus dem Brexit-Vertrag ohnehin schon vergiftete Stimmung wurde noch gereizter.
London behält Impfstoff für sich
London ist stolz darauf, dass inzwischen schon 23 Millionen Briten gegen Corona geimpft sind, ein höherer Anteil als überall sonst in Europa. Allerdings scheint es auf der Insel keinen Mangel an Impfstoff gegeben zu haben - und dazu hat auch die EU beigetragen: Sie teilte jetzt mit, dass sie trotz der Knappheit in ihren eigenen Mitgliedsländern neun Millionen Dosen aus europäischer Produktion nach Großbritannien geliefert hat.
Unterdessen hatte der Pharmakonzern AstraZeneca der EU erklärt, er könne seine vertraglichen Lieferverpflichtungen nur zu 40 Prozent erfüllen. Der AstraZeneca-Impfstoff wird auch in Großbritannien hergestellt, von wo er allerdings nach Auffassung der EU nicht exportiert wurde. Der Konzern habe vorrangig die Lieferungen aus seinem britischen Vertrag erfüllt. Auf diese Weise entstand das Wort vom "Exportbann".
Seit Januar streiten sich beide Seiten um diese Lieferungen und entgegen britischer Darstellung beharrt die EU darauf, dass die entsprechenden Verträge mit dem Pharmakonzern gleichwertige Verpflichtungen enthalten und quasi gleichzeitig abgeschlossen wurden. Gibt es also eine Sondervereinbarung zwischen dem mehrheitlich britischen Pharmaunternehmen und der britischen Regierung?
EU exportiert weltweit Impfstoff
AstraZeneca weigere sich, den in Großbritannien produzierten Impfstoff auf den Kontinent zu liefern, sagt der Europaabgeordnete Peter Liese. "Wenn Europa die Welt beliefert, während alle anderen nur an sich selbst denken, dann kann die Sache nicht aufgehen". Die EU-Kommission in Brüssel teilte inzwischen mit, dass seit Januar 34 Millionen Dosen Impfstoff aus europäischer Produktion an 31 Länder geliefert wurden.
Währenddessen laufen die Impfkampagnen in vielen EU-Ländern weiter schleppend und es wird der Mangel an Nachschub beklagt. Pharma-Experte Liese spricht sich inzwischen für die Möglichkeit eines totalen Exportverbots durch die EU aus, was nach WTO-Regeln möglich sei: "Zwar erfüllt BioNTech/Pfizer, deren Impfstoff im großen Stil exportiert wird, seine Lieferverpflichtungen an die EU, dennoch sollte diese Option ernsthaft erwogen werden. Die wichtigste, berechtige Kritik an der EU-Kommission ist, dass sie den Exportkontrollmechanismus zu spät in Kraft setzte."
Johnson & Johnson genehmigt
Am Donnerstagnachmittag dann genehmigte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) den Impfstoff von Johnson & Johnson als inzwischen viertes Präparat auf dem Markt. "Dies ist ein weiterer wichtiger Schritt um sicherzustellen, dass alle Bürger so bald wie möglich Zugang zu einem sicheren und effektiven Impfstoff bekommen", erklärte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides.
Die EU-Kommission hat 200 Millionen Dosen von dem neuen Impfstoff bestellt, mit einer Option auf weitere 200 Millionen. Die erste Tranche sollte nach Angaben des Unternehmens mit 55 Millionen Dosen bis Ende Juni geliefert werden. Das Präparat hat den Vorteil, dass es leicht zu lagern ist und nur einmal verimpft werden muss.
Allerdings gibt es bereits Zweifel daran, ob dieses Unternehmen nun seine Lieferpflichten erfüllen wird. Der Impfstoff wird ausschließlich in den USA produziert, wo tatsächlich ein Exportverbot herrscht. Johnson & Johnson dürfte also zunächst den US-Markt bedienen und nur überzählige Dosen für die Ausfuhr freigeben.
Nebenwirkungen bei Astra Zeneca?
Dänemark, Norwegen und Island haben inzwischen Impfungen mit dem AstraZeneca-Präparat ausgesetzt. Von dänischen Ärzten waren gehäuft Fälle von Thrombosen nach solchen Impfungen gemeldet worden. Die Gesundheitsbehörde fügte allerdings vorsichtig hinzu, man sei nicht sicher ob es einen Zusammenhang zwischen den Blutgerinnseln und der Impfung gebe.
Die Anwendung werde deshalb nur für zwei Wochen ausgesetzt. Die EMA in Amsterdam untersucht gleichzeitig einen möglichen Todesfall aus Dänemark. "Eine breite Dokumentation belegt, dass der Impfstoff sowohl sicher als auch effektiv ist", erklärt der Chef des dänischen Amtes, Soren Brostroem. Die Aufsichtsbehörden müssten jedoch allen Hinweisen auf mögliche schwere Nebenwirkungen nachgehen, in Dänemark wie in anderen europäischen Ländern.
Zwei weitere Fälle ähnlicher Nebenwirkungen waren aus Österreich gemeldet worden, wo eine Frau an einer Reihe von Thrombosen gestorben war und ein anderer Patient mit einer Lungenembolie ins Krankenhaus kam. Die EMA hat diese Vorfälle inzwischen untersucht und erklärt, sie seien nicht durch den Impfstoff verursacht worden. Allerdings wolle man die betreffende Charge noch einmal genau überprüfen. Der Produktionsprozess der Impfstoffe wird im Prinzip ständig kontrolliert und laufende Qualitätskontrollen vorgenommen. Dennoch wird ein Produktionsfehler nicht ausgeschlossen. Auch die baltischen Staaten und Luxemburg haben den Einsatz des Impfstoffs aus dieser Produktionsserie inzwischen eingestellt.
EU-Exportkontrolle verlängert
Die EU-Kommission teilte jetzt mit, dass der Kontrollmechanismus für den Export von COVID-19-Impfstoff bis Ende Juni verlängert wird. Er war Ende Januar eingeführt worden, als der Streit mit Großbritannien um die Vertragserfüllung durch AstraZeneca begonnen hatte. Die Regelung solle nur dazu dienen, dass die EU den Überblick behalte, wie viel Impfstoff von ihrem Gebiet in den Rest der Welt geliefert wird. Man wolle Exporte nicht blockieren, so hatte die Kommission damals beruhigt.
In der vorigen Woche wandte jedoch Italien die Regelung plötzlich an und verbot die Ausfuhr von 250.000 Dosen AstraZeneca-Impfstoff nach Australien. Premierminister Mario Draghi begründete das mit der kritischen Pandemie-Situation im Land und den zu langsamen Lieferungen durch die Pharmakonzerne.