Immobilienpleite in China: Evergrande wird aufgelöst
29. Januar 2024Weil der Immobilienkonzern Evergrande keinen konkreten Restrukturierungsplan vorgelegt habe, werde er nun liquidiert, urteilte das Gericht in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong am Montag.
Mit Schulden in Höhe von umgerechnet mehr als 300 Milliarden US-Dollar (277 Mrd. Euro) gilt Evergrande als das am höchsten verschuldete Unternehmen der Welt. Gemessen am Umsatz war Evergrande zuletzt der zweitgrößte Baukonzern Chinas.
"Genug ist genug", sagte Richterin Linda Chan. Der Konzern habe mehr als 18 Monate lang keine effektive Kommunikation oder Lösungen angeboten. Das Verfahren war zuvor mehrfach vertagt worden.
Warum Hongkong?
Im Ausland sitzende Gläubiger von Evergrande, darunter auch mehrere Hedgefonds, hatten den Prozess angestrengt. Zuvor hatten sie mehrfach Vorschläge abgelehnt, Schulden im Wert von etwa 23 Milliarden US-Dollar (ca. 21,2 Mrd. Euro) umzustrukturieren - also die Rückzahlungsbedingungen zu verändern oder frisches Geld nachzuschießen.
Der ursprüngliche Umschuldungsplan war im September geplatzt, nachdem Ermittlungen gegen Firmengründer Hui Ka Yan bekannt wurden, einst Asiens reichster Mann. Ein Verbot untersagte dem Unternehmen zudem, Dollar-Anleihen auszugeben, was ein wichtiger Teil des Sanierungsplans war.
Dass die Gläubiger in Hongkong vor Gericht zogen, lag daran, dass Evergrande dort an der Börse gelistet ist. Das dortige Rechtssystem ähnelt dem britischen "common law" und blieb in Kraft, als Großbritannien seine frühere Kolonie 1997 an China zurückgab.
Ob das Urteil jedoch in Festlandchina, wo viel Vermögen des Konzerns sitzt und ein anderes Rechtssystem herrscht, umgesetzt wird, ist unklar.
Wie geht es jetzt weiter?
Als nächstes beginnt die Suche nach einem Insolvenzverwalter. Dieser muss dann versuchen, die Vermögenswerte des Unternehmens zu verkaufen, um damit Schulden an die Gläubiger zurückzuzahlen. Normalerweise ist damit auch ein Austausch des Managements verbunden.
Allerdings dürfte es für einen Insolvenzverwalter schwer werden, am offiziellen Firmensitz von Evergrande im südchinesischen Guangzhou personelle Entscheidungen zu treffen und Zugriff auf Vermögenswerte zu erhalten.
Guangzhou erkennt Liquidationsbeschlüsse aus Hongkong nicht automatisch an, der Prozess könnte Monate, wenn nicht Jahre dauern. Angesichts der Größe von Evergrande dürften zudem viele Behörden und Politiker hier ein Wort mitreden wollen.
Evergrande-Chef Siu Shawn hatte gegenüber chinesischen Medien bereits angekündigt, der Konzern werde seine Bauprojekte trotz der Liquidationsanordnung weiterführen. Die Anordnung habe keine Auswirkungen auf den Betrieb.
Aktien vom Handel ausgesetzt
Die Gerichtsentscheidung sei "nicht das Ende, sondern der Beginn eines langwierigen Liquidationsprozesses, der Evergrande das tägliche Geschäft noch schwerer machen wird", sagte Gary Ng, Senior Economist bei Natixis.
Da sich die meisten Vermögenswerte von Evergrande direkt in China befänden, gebe es Unsicherheiten darüber, wie die Gläubiger Vermögenswerte beschlagnahmen können. Fraglich sei auch, an welcher Stelle ausländische Anleihegläubiger bei Rückzahlungen stehen.
Trotz all der Unwägbarkeiten zeichnet sich für Gary Ng in dem Gerichtsurteil das Ende des bisherigen Geschäftsmodells von Evergrande ab. "Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass der Konzern in kleinere Firmen aufgeteilt wird, die dann auch von anderen Investoren übernommen werden könnten", sagte er der DW.
An der Börse wurden die Aktien von Evergrande und zwei Tochtergesellschaften nach dem Urteil vom Handel ausgesetzt. Zuvor hatten sie bis zu 20 Prozent an Wert verloren.
Symbol der Krise in Chinas Baubranche
Evergrande war Ende 2021 mit seinen Auslandsschulden in Verzug geraten und zum Symbol der Schuldenkrise im chinesischen Immobiliensektor geworden.
Die Entscheidung, den Baukonzern mit Vermögenswerten in Höhe von 240 Milliarden Dollar zu liquidieren, dürfte die bereits angeschlagenen chinesischen Kapital- und Immobilienmärkte erschüttern. Auch für die sich nur schleppend erholende chinesische Wirtschaft insgesamt dürfte dies ein neuer Dämpfer sein.
"In Evergrade manifestiert sich die aktuelle Immobilienkrise in konzentrierter Form", sagte Chefökonomin Wang Dan von der Hang Seng Bank China. Für die Volksrepublik war Bauen einer der wichtigsten Konjunkturtreiber. Der Immobilienbereich macht der Expertin zufolge mehr als 20 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung aus.
So war der Immobiliensektor mitverantwortlich, dass die chinesische Wirtschaft in den Boom-Jahren jährlich um mehr als zehn Prozent wachsen konnte.
Erst Boom, dann Absturz
Inzwischen hat sich das Wachstum der zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt stark abgekühlt und legte 2023 nach offiziellen Zahlen nur noch bei 5,2 Prozent zu. Die Weltbank schätzt, dass es in diesem Jahr noch einmal deutlich niedriger ausfallen könnte.
Die Baubranche war lange auch ein wichtiger Anlaufpunkt für arbeitsuchende Universitätsabsolventen. Mit wenigen Voraussetzungen ließ sich hier laut Ökonomin Wang gutes Geld verdienen, etwa als Makler oder als Angestellter in einer großen Immobilienfirma.
Mittlerweile trägt die Immobilienkrise zur steigenden Arbeitslosigkeit unter jungen Leuten in China bei. "Viele Studenten finden heute keine Jobs mehr und werden vielleicht Taxifahrer", so Wang.
Außerdem droht die Baubranche auch die mehr als 4000 chinesischen Banken in Mitleidenschaft zu ziehen. Deren Außenstände seien oft mit Immobilien oder Anleihen der Lokalregierungen verbunden. Wenn der Markt für Immobilien einbreche, erhöhe sich der Druck auf die Banken deutlich.
Auch Firmen, die sich von Banken Geld leihen, hinterlegen als Sicherheit oft Immobilien. Nun sei der Wert der Immobilien und damit der Sicherheiten gesunken, was bedeute, dass viele Firmen auch Liquiditätsprobleme hätten, erläutert Wang.
Auslöser der Krise
In den Boom-Jahren nach der Jahrtausendwende investierten viele Chinesen in Immobilien. Die versprachen mehr Stabilität als der Aktienmarkt. Außerdem ist Immobilienbesitz in China sehr verbreitet, rund 80 Prozent der Haushalte leben in der eigenen Immobilie.
Die Bauträger steckten ihre sprudelnden Einnahmen direkt in neue Projekte. Einige Beobachter verglichen des chinesischen Immobiliensektor deshalb mit einem Schneeballsystem.
Menschen hatten schon Wohnungen gekauft, die noch gar nicht fertig waren - und nun vielleicht auch nicht mehr fertig werden. Die Anzahlungen für nicht fertig gestellte Immobilien machen einen großen Teil der Evergrande-Schulden in Höhe von 300 Milliarden US-Dollar aus.
Seit der Corona-Pandemie schwächelt die chinesische Wirtschaft. Lieferkettenprobleme, Handelsstreitigkeiten und die Suche westlicher Firmen nach alternativen Produktionsstandorten verschärften die Lage zusätzlich.
Weil die Chinesen seitdem weniger Geld ausgeben, gingen auch die Einnahmen der Bauträger deutlich zurück. Im vergangenen Jahr verkauften die größten von ihnen mehr als ein Drittel weniger neue Wohnungen und Häuser. So fiel es Evergrande und anderen Baufirmen immer schwerer, ihre Schulden zu begleichen.
Chinas Regierung versuchte zuletzt, mit Lockerungen bei der Kreditvergabe Kaufanreize zu schaffen. Laut Berichten soll es auch eine Liste mit angeschlagenen Firmen geben, in die Banken investieren sollen, um ihnen aus der Misere zu helfen.