Flüchtlinge in Serbien
8. August 2018In der Nähe des Busbahnhofs ist die Luft stickig. Am nahen Ufer der Sawe wachsen Prestigebauten in den Belgrader Himmel. Belebt durch das Geld der arabischen Investoren ändert sich das Gesicht des alten Hafenviertels der Hauptstadt Serbiens schnell. Während der Bus in die Straße biegt, die nach Gavrilo Princip, dem Mörder des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand benannt ist, sagt eine ältere Dame zu ihrer Tochter: "Wir gebären zwei Kinder und sie 22. Warte mal noch ein bisschen, wir werden okkupiert".
Dabei schaut sie auf Miksalište - zwei aneinander angelehnten lilafarbenen Barracken - die seit 2016 als eine von Privatinitiativen und Nichtregierungsorganisationen betriebene Flüchtlingseinrichtung dienen. Hier bekommen die Migranten, die meist aus dem Nahen und mittleren Osten kommen, ihre erste Betreuung in Belgrad: Etwas zum Essen, Informationen für ihre Behördengänge, ein wenig Ruhe.
Mit dem Pauschalurteil der älteren Dame im Ohr steige ich aus dem Bus und gehe in das Hauptgebäude hinein. Einige Jugendliche spielen Tischtennis, andere sitzen herum und unterhalten sich. In den Nebenzimmern ist es ruhiger.
Sieben mal nach Kroatien
Amira M. ist erschöpft. Die 36jährige Kurdin aus Irak ist seit fünf Monaten in Richtung Europa unterwegs - mit vier Kindern und ihrem Mann Sarbas. In der Flüchtlingseinrichtung zieht sie sich gerne in das Zimmer für Mütter und Kinder zurück, das von Mitarbeitern der serbischen Nichtregierungsorganisation Humanitäres Zentrum betreut wird. Drei der Kinder spielen ruhig, der dreijährige Ulat schläft.
Amila erzählt im gebrochenen Englisch, dass ihre Familie gerade zum siebten Mal aus Kroatien unter Polizeizwang nach Serbien zurückkehren musste: "Die kroatische Polizei hat die Telefonkarten aus unseren Handys genommen und uns zurück zur Grenze transportiert. Von dort aus mussten wir zu Fuß weiter".
"Bad Luck", fügt Amilas Mann Sarbas hinzu. Er erzählt über seinen Heimatort, der zwischen Kirkuk und Erbil liegt. Die Gegend ist seit Jahren umkämpft: "Zuerst kam der IS. Dessen Kämpfer wollten Geld von uns. Wir hatten aber nur unser Haus. Daher sagten sie, sie würden uns töten".
Sarbas Bruder lebt im Westeuropa. Er überwies den geldgierigen Gotteskriegern eine beträchtliche Summe, damit seiner Verwandten überleben konnten. Dann kamen die amerikanischen Bomber. Die Kämpfer des Islamischen Staates versteckten sich in den kurdischen Häusern. Die Ortschaft wurde zerbombt. Amila und Sarbas flohen mit ihren Kindern über die Türkei und Bulgarien Richtung Westeuropa - und strandeten in Serbien. Ob Sarbas die Dienste der Menschenschmuggler in Anspruch nahm? "Ich bin ein armer Mensch. Entweder nimmt uns jemand kostenlos mit - oder wir laufen."
Im rechtlichen Vakuum
Dijana Korać-Mandić vom Humanitären Zentrum ist die Hauptkoordinatorin der Flüchtlingsprojekte ihrer Organisation in Serbien. Ihrer Meinung nach ist die Anzahl der Flüchtlinge in Serbien alles andere als alarmierend, insbesondere wenn man sie mit dem Ansturm vor zwei Jahren vergleicht.
Mehrere Tausend Menschen möchten hauptsächlich weiter, in Länder Westeuropas. "Sie kommen nach Belgrad und melden sich als Flüchtlinge an. Das nennt man „Absichtserklärung zum Asylantrag" Sie haben 72 Stunden Zeit, im zugewiesenen Flüchtlingszentrum zu erscheinen. Wenn sie danach doch keinen Asylantrag stellen, sind sie in einem rechtlichen Vakuum."
Die Angaben des UN-Flüchtlingswerks UNHCR scheinen das zu bestätigen. Im Juni 2018 wurden in Serbien 739 Neuflüchtlinge registriert. Nur 22 stellten Asylanträge. Alle Anderen warten in Serbien auf eine Gelegenheit weiter zu ziehen. Im Vorzimmer der Europäischen Union will kaum wer bleiben.
"Wenn Flüchtlinge keinen Asylantrag stellen - und das ist die große Mehrheit - dann haben sie hier bei uns zwar ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen. Sie sind auch über den serbischen Staat krankenversichert, die meisten Kosten übernimmt die EU. Rechtlich sind sie nur geduldete Gäste, die darauf warten, dass sich eine Tür an der Grenze für sie ein wenig öffnet," so Danijela Korać-Mandić.
Gewalt nimmt zu
Amira und Sarbas bestätigen die Regel. Sie wollen nach Deutschland, wo sie bei Verwandten aufgenommen werden könnten. Einige Familienangehörige leben auch in den Niederlanden. Sarbas weiß es noch nicht, ob er nochmals - zum achten Mal - über Bosnien nach Kroatien gehen möchte: "Vielleicht kehre ich in den Irak zurück, in den Krieg...." Sein ansonsten ständig präsentes Lächeln wirkt nun ein wenig resigniert.
Hat er schlechte Erfahrungen auf dem Balkan gemacht? "Nein, die Menschen in Serbien machen keine Probleme. In Bosnien sind Leute sogar hilfsbereit und herzlich, unabhängig von ihrer Religion. Vielleicht weil sie am besten verstehen, was der Krieg bedeutet." Er fügt hinzu, dass er und seine Familie in Kroatien keine Gelegenheit hatten, mit normalen Bürgern zu kommunizieren, denn die schreienden Polizisten waren die einzigen Menschen, denen sie begegnet sind.
Amiras Familie hatte Glück. Im gemeinsamen Jahresbericht mehrerer serbischer und mazedonischer NRO's für 2017 (Help on the Route) wird die regelmässige Polizei-Gewalt bei dem Zwangsrückkehr von Flüchtlingen aus mehreren Ländern kritisiert. Bulgarien behandele die Flüchtlinge am schlechtesten und physische Polizeigewalt werde zunehmend in Ungarn, Kroatien und Rumänien angewandt. Es gibt auch Todesfälle, wie neuerdings bei Ruma, ca. 50 Kilometer nordwestlich von Belgrad: Zwei Migranten wurden von unbekannten Tätern erschossen.
„Auf dem Papier ist alles in Ordnung"
In Serbien gibt es 13 Aufnahmezentren. Dort hat das Kommissariat für Flüchtlinge und Migrationen, eine Organisation innerhalb des staatlichen Verwaltungsapparats das Sagen. Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist streng reglementiert. Das staatliche Monopol auf die Deutung der Migration sowie eine eher schwierige Partnerschaft des serbischen Staates mit zivilgesellschaftlichen Organisationen seien die ständige Begleitmusik der Flüchtlingskrise, sagt Tanja B., die in Miksalište ein Flüchtlingsprojekt mit skandinavischen Geldern betreut. "Auf dem Papier ist alles in Ordnung. In der Realität haben sie es mit arroganten und oft inkompetenten Staatsdienern zu tun," sagt sie. "Es kann ein Trost sein, dass der Staat auch für die serbischen Bürger zu langsam, zu korruptionsanfällig und bürokratisch-arrogant unterwegs ist. Das nennt man Gleichbehandlung," fügt sie hinzu.
Miksalište war bis 2016 in einem anderen Objekt in gleichem Viertel untergebracht. Doch das Gebäude musste der Baustelle für die Luxusmeile „Belgrade Waterfront" weichen. Die arabischen Prinzen und serbischen Investoren, die dort bauen wünschen sich eine "saubere Nachbarschaft". Auch die neue Flüchtlingseinrichtung gefällt der neuen Nachbarschaft nicht. Insbesondere der Besitzer eines naheliegenden Hotels leicht gehobener Klasse schrieb anfangs ständig Beschwerden an die Stadtregierung.
„Ist euch bewusst, dass ihr Bestien füttert".
Die lilafarbenen Barracken überlebten jedoch bisher alle Anfeindungen. Zum Glück von Amila, Sarbas und ihren vier Kinder, die dort ein paar ruhige Stunden verbringen können. Auf der Außenwand des Zentrums mahlte ein Künstler zusammen mit Flüchtlingen ein Wandbild: Die Torte mit europäischen Sternchen, vom Stacheldraht umzäumt. Derzeit kann die kurdische Familie aus dem Irak sie nur sehnsüchtig aus dem Vorzimmer der EU anstarren.
Die Anzahl der Flüchtlinge in Serbien ist nicht groß: 3500. Zum Vergleich: im Oktober 2015 gab es über 180 000 Flüchtlinge, die auf ihrer Durchreise in Serbien registriert waren. Die meisten kommen aus Afghanistan. Die gefühlte Präsenz im armen Serbien ist viel größer. Sozialneid, sogar Hass sind nicht sichtbar, jedoch latent vorhanden. Ein anonymer Kommentar auf der Webseite von Miksalište spricht die offiziel verdrängte Gefühlslage brutal aus: "Ist euch bewusst, dass ihr Bestien füttert."