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PolitikSudan

Im Sudan hat Frieden keinen Vorrang

Martina Schwikowski
12. Juli 2023

Friedensgespräche scheitern, die Vereinten Nationen warnen vor einer Destabilisierung der Region. Es gebe kein Interesse an einem Waffenstillstand, sagen Experten, Sudans Kriegsgegner wollten nur ihre Macht erhalten.

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Sudan | Rauch steigt über einem in Brand geratenen Lagerhaus in Khartum auf (07.06.2023)
In Brand geratenes Lagerhaus in Khartum (Anfang Juni): "Die humanitäre Lage ist katastrophal"Bild: - /AFP/Getty Images

Die eskalierende Gewalt im Sudan verschärft die Not der Menschen - und die humanitäre Krise ist katastrophal. Nach drei Monaten heftiger Kämpfe zwischen den sudanesischen Soldaten (Sudanese Armed Forces, SAF) und der gegnerischen Miliz (Rapid Sudanese Forces, RSF) verfestigt sich der Krieg im Sudan immer mehr, bilanziert Analyst Ahmed Soliman im DW-Interview.

"Die schlimmsten Kämpfe finden rund um Khartum und die umliegenden Städte statt, aber auch in Darfur." Dort komme es zu verheerender Gewalt mit der Zerstörung von Siedlungen, Infrastruktur, massiven Vertreibungen und schweren Menschenrechtsverletzungen, sagt Soliman, Horn-von-Afrika-Experte der Londoner Denkfabrik Chatham House.

Keine schnelle Lösung im blutigen Konflikt

In der kurzen Zeit des blutigen Konflikts wurden nach neuesten Zahlen der UN-Organisation für Migration (IOM) bereits mehr als drei Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR warnte bereits vor einem "allumfassenden Bürgerkrieg" und einer "Destabilisierung" der gesamten Region.

Unter den Flüchtlingen seien zwei Millionen Binnenvertriebene, darunter über eine Million Kinder, so Soliman. Allein 180.000 Menschen seien aufgrund der Gewalt in der Krisenprovinz Darfur in das westliche Nachbarland Tschad vertrieben worden.

Laut Soliman ist die Gewalt in Darfur ethnischer Natur. Sie folge den zyklischen Mustern der Gewalt der vergangenen 20 Jahre, die die Menschen dort erlebt hätten: "Es gibt keine schnelle Lösung in diesem blutigen Konflikt."

Keine Bereitschaft, den Krieg zu beenden

Seit Mitte April ringen im Sudan Armeechef Abdel Fattah al-Burhan und sein Widersacher, RSF-Anführer Mohamed "Hemeti" Daglo, mit Gewalt um die Macht. Alle Versuche, die Lage zu beruhigen, scheiterten. Vereinbarte Feuerpausen zwischen den beiden Kriegsparteien sind gebrochen worden, heftige Kämpfe zwischen Armee und Miliz lassen keinen Raum für stabile Vereinbarungen: Bislang hätten alle Vermittlungsversuche nicht viel gebracht, kritisiert Experte Soliman.

Zuletzt hatte am vergangenen Montag die ostafrikanische Regionalgemeinschaft IGAD zu einer Friedenskonferenz in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba geladen. Weder al-Burhan noch Daglo nahmen an dem Treffen teil. Während die RSF immerhin einen Vertreter nach Addis Abeba entsandte, schlug Sudans Regierung die Teilnahme aus.

Äthiopien | IGAD Treffen in Addis Ababa | William Ruto und Abiy Ahmed Ali
IGAD-Konferenz mit Kenias Präsident William Ruto (M.) und Äthiopiens Premier Abiy Ahmed Ali (r.): Absage aus KhartumBild: State House of Kenya/AA/picture alliance

Seine Vertreter seien erst dann zu Friedensgesprächen bereit, wenn Kenia den Vorsitz unter den regionalen Vermittlerstaaten abgebe, erklärte das sudanesische Außenministerium und warf Kenia Parteilichkeit in dem Konflikt vor. Die Regierung in Nairobi habe "die Positionen der RSF-Miliz übernommen, ihren Mitgliedern Unterschlupf gewährt und ihnen verschiedene Formen der Unterstützung angeboten", heißt es in der Erklärung aus Khartum.

Auch die vorherigen Gespräche in Dschidda in Saudi-Arabien im Mai waren ohne Ergebnis geblieben. Horn-von-Afrika-Experte Soliman kommt deshalb zu folgendem Schluss: Beide Kriegsparteien konzentrierten sich darauf, eine strategisch militärische Einnahme des anderen zu erreichen. "Das ist ihr vorrangiges Ziel", lautet sein Fazit. "Sie sind derzeit nicht bereit, den Krieg zu beenden und dem Frieden Vorrang einzuräumen."

Das sieht Youssif Izzat komplett anders. Er ist der politischen Berater von RSF-Führer Daglo. In einem Interview mit DW beschuldigte Izzat die Gegenseite, nicht auf Verhandlungsangebote eingehen zu wollen.

Es habe bei den Gesprächen in Saudi-Arabien Einigkeit für einen Waffenstillstand der Delegationen beider Seiten gegeben, doch das hätten andere Kommandeure aus dem Süden nicht akzeptiert: "Die Luftwaffe schlägt überall zu und greift an, obwohl wir einen Waffenstillstand unterzeichnet hatten", sagt Izzat. Der RSF-Berater betont im Interview, es gehe nicht um eine personelle Angelegenheit zwischen zwei Militärgenerälen, sondern um die Bildung einer reformierten Armee für den Sudan.

Suadan | General Abdel Fattah al-Burhan in Khartum beim Besuch von Soldaten (17.05.2023)
Armeechef al-Burhan (beim Besuch von Soldaten in Khartum Mitte Mai): Versprochene Machtübergabe nicht umgesetztBild: Sudanese Armed Forces/AA/picture alliance

"Als Land eine neue Richtung einschlagen"

Einst standen al-Burhan und sein ehemaliger Stellvertreter Daglo auf derselben Seite. 2019 hatten sie nach Massenprotesten der Bevölkerung gemeinsam den langjährigen Machthaber Omar al-Baschir abgesetzt. Dann kam es zum Putsch vor anderthalb Jahren, an dem ebenfalls beide beteiligt waren.

General Al-Burhan ernannte sich daraufhin zum Vorsitzenden eines Übergangsrats und Daglo zu seinem Vize. Er versprach, die Macht an eine frei gewählte Regierung zurückzugeben. Doch ein Übergangsabkommen wurde bisher nicht in die Tat umgesetzt, wäre jedoch ein wesentlicher Bestandteil für die Bildung einer zivilen Regierung.

Laut Daglo-Berater Izzat kreise der Konflikt um diejenigen, die Unterstützung des politischen Prozesses, des demokratischen Übergangs wollten und denen, die das alte Regime zurückholen wollen, sowie der Islamisten und Extremisten. "Jetzt ist es an der Zeit, dass der Sudan wirklich unabhängig wird. Wir müssen als Land eine neue Richtung einschlagen. Wir wollen nicht, dass der Terrorismus und der IS zurückkommen", sagt er.

Die Ursachen des Krieges im Sudan sollten diskutiert werden, meint Youssif Izzat. "Wir müssen uns über die neue Politik einigen, alle Institutionen reformieren, einschließlich des Südens selbst, und ein demokratisches, föderales System für das Land schaffen. Das ist unser Ziel."

Mohamed Hamdan Dagalo (19.02.2023)
Milizenführer Daglo (bei einer Pressekonferenz im Februar): Wirtschafts- und SicherheitsinteressenBild: MOHAMED NURELDIN ABDALLAH/REUTERS

Wenn es nach dem Willen der RSF ginge, sollten sofort politische Verhandlungen zwischen allen Sudanesen beginnen: "Wir glauben, dass der einzige Weg zur Lösung des Problems nicht darin besteht, eine diktatorische Regierung zu sein oder das Land als Einzelperson zu regieren." Vielmehr suche die RSF-Miliz nach einem demokratischen System, in dem sich die Vielfallt des Landes widerspiegele und die Identität aller Sudanesen anerkannt werde, so der Daglo-Berater.

Handeln aus eigenem Interesse

Sowohl die RSF-Miliz als auch die Armee versuchen sich immer wieder als Bewahrer demokratischer Werte darzustellen. Aus Sicht des Londoner Experten Ahmed Soliman geht es in diesem brutalen Machtkampf auch um wirtschaftliche Interessen, die sudanesische Armee SAF und die RSF-Armee seien die beiden größten Arbeitgeber in dem nordostafrikanischen Land.

Gelegenheiten für einen anhaltenden Waffenstillstand hätte es genügend gegeben: Keine Partei habe einen humanitären Korridor ermöglicht, das wäre für eine anhaltende Waffenruhe notwendig. Die SAF habe den Vorteil, Unterstützung aus Ländern der Region zu erhalten. Sie hätten die bessere Logistik langfristig, attackieren Zivilisten mit Bombenangriffen. Es gebe klare Zeichen, dass Islamisten und Mitglieder des früheren Regimes durch einen SAF-Sieg den Staat stellen wollen, sagt Soliman.

Sudan Soldaten der RSF Truppe auf einem Militärfahrzeug (26.04.2023)
Soldaten der RSF-Miliz auf Patrouille in Khartum (im April): "Sie tragen auch Verantwortung für diesen blutigen Krieg"Bild: Rapid Support Forces/AFP

Zwar wolle Mohammed Hamdan Daglo für eine Wahl zur Verfügung stehen, aber seine RSF-Miliz habe ebenfalls Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen. "Sie tragen auch Verantwortung für diesen blutigen Krieg, habe furchtbare Menschenrechtsverletzungen begangen." Auch mit Hilfe der russischen Wagner-Gruppe, die RSF logistisch unterstütze. Falls jetzt ihr Anführer Jewgeni Prigoschin durch seinen Aufstand gegen Russlands Präsident Putin an Einfluss verliere, sei weiteren Waffenlieferungen an die Daglo-Truppe unklar. 

Die DW hat zahlreiche Anfragen für ein Interview mit Vertretern der sudanesischen Militärregierung gestellt - bis zur Veröffentlichung ist keine Antwort eingegangen.

Mitarbeit: Wendy Bashi