Im Schatten gezeichnet
6. September 2002"Shhhh" - das Geräusch vom Einsturz des zweiten Turms des World Trade Centers habe geklungen wie das Rauschen eines Wasserfalles. Art Spiegelman ist in Berlin, doch in Gedanken in New York und irgendwie ist die Zeit für ihn stehen geblieben. Es habe lange gedauert, bis der 12. September für ihn anbrach, schildert der berühmte Comic-Zeichner und Pulitzerpreisträger Art Spiegelman gegenüber DW-WORLD.
Todesangst in New York
Den verhängnisvollen Tag wird Spiegelman wohl nie vergessen. Der New Yorker war nicht nur Augenzeuge des Attentats, sondern auch Opfer zugleich. Er hätte Todesangst gehabt, so Spiegelman (siehe DW-WORLD-Interview "Ich dachte, wir müssten sterben"). Der Künstler lebt nur ein paar Blocks vom World Trade Center entfernt. Am 11. September hatte er nur eines im Kopf: sich und seine Familie in Sicherheit bringen.
Das Grauen in den Gesichtern als Comic-Strip
Spiegelman schildert im Gespräch mit DW-WORLD seine Erlebnisse so plastisch, als wäre das Unfassbare gerade erst passiert. Und dem Zuhörer überkommt eine Gänsehaut. Auch im ersten Teil seines Comic-Strips "Im Schatten Keiner Türme" stehen einer amerikanischen Familie samt Katze die Haar zu Berge, als die gelangweilten "Couch-Potatoes" das Geschehen im Fernsehen verfolgen.
Art Spiegelman verarbeitete seine Eindrücke ("Es war wie in Armageddon") in einer Comic-Serie, die nun, ein Jahr danach, zum ersten Mal in Europa erscheint, in der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT. Nicht ohne Grund, Michael Naumann, Mit-Herausgeber und ehemaliger Kulturstaatsminister ist ein persönlicher Freund des berühmten Künstlers.
Berühmt, aber unbequem
Art Spiegelman wurde Anfang der 90er mit seiner Comic-Serie "Maus", in der er die Holocaust-Erfahrungen seiner Eltern aufzeichnete, weltberühmt. Und umstritten, denn das erste Mal wagte es jemand, den Holocaust im Genre des Comic darzustellen: Juden als Mäuse, Deutsche als Katzen, Polen als Schweine. Mit Erfolg - Spiegelman bekam 1992 den Pulitzerpreis, als einziger Comiczeichner. Doch auch vorher machte sich Spiegelman einen Namen: als Essayist und Herausgeber des legendären Comic-Magazins "Raw".
Der 11. September im Comic
Bequem und angepasst ist Spiegelman auch jetzt nicht. Seine Comic-Serie, die er ein Jahr lang jeden Monat ganzseitig in der ZEIT veröffentlichen will, sind ungewöhnliche Darstellungen. Teils ironisch und bissig versucht er die Stimmungen, die "neue Normalität", der amerikanischen Gesellschaft im Comic wiederzugeben. Und hebt sich damit stark von den "Heroen-Heldencomics" ab, die zur Zeit in den USA herausgegeben werden: Ganze Sonderhefte zum 11. September sind erschienen, in denen nicht mehr Superman der Held ist, sondern die New Yorker Firefighters.
Doch Heldentaten gibt es in Spiegelmans Comic nicht, vielleicht ein Grund warum sie nicht in den USA erscheinen. "Ich bin wohl zu europäisch für Amerikaner und verhalte mich weniger 'mainstream'", so der 54-jährige Art Spiegelman. Und seine Comics brauchen Platz, viel Platz, daher sei DIE ZEIT das richtige Medium.
Die Erkenntnis mit ein wenig Patriotismus
Der 11. September war für Art Spiegelman auch ein Tag der Erkenntnis: Erst an diesem Tag habe er erkannt, wie sehr er "sein" New York liebe (siehe DW-WORLD Interview). Und die zweite wichtigste Erkenntnis: das Zeichnen. Denn das habe er vor dem 11. September vernachlässigt.