Ewig leben im Netz
2. März 2012Sabine S. staunte nicht schlecht, als Facebook ihr eines Tages vorschlug, sich mit Arndt P. anzufreunden. Ganz schön makaber fand sie das, immerhin war dieser Mann vor einem Jahr tödlich verunglückt. Und nun tauchte er, als sei nichts gewesen, als Kontaktvorschlag auf ihrer Facebook-Seite auf. Als sie daraufhin sein Profil anklickte, sah sie, dass alle Einträge, Kontakte und Statusmeldungen noch vorhanden waren. Bis zum Zeitpunkt seines Todes.
Schnell, wie das im Social Web üblich ist, wurden auch andere alte Freunde von Arndt P. darauf aufmerksam. Nach Rücksprache mit der Familie haben Freunde versucht, das Profil zu löschen. Gelungen ist das nicht vollkommen. Sein Name bleibt dort stehen, wenn auch ohne Foto. Immer noch kann man ihm eine Freundschaftsanfrage senden und ihm Nachrichten schicken. Facebook-Freunde können auf seiner Pinnwand Fotos und seine Freundesliste einsehen.
Ähnlich ist das Beispiel eines 16-jährigen Mädchens aus Bremen. Ihr Profil bei Schüler-VZ lebte nach ihrem Unfalltod weiter. Wenige Wochen später trudelten auf ihrer Pinnwand an ihrem Geburtstag Glückwünsche ein, mit lustigen hüpfenden Icons und der Aufforderung, sich ordentlich feiern zu lassen. Erst dann erfuhren viele Internetfreunde, dass das Mädchen längst gestorben war.
Das Netz vergisst nicht
Wer sich viel im Netz tummelt, hinterlässt auch nach seinem Tod Spuren. In Bewertungsportalen steht, wie er jenes Buch fand, in welche Kneipe er gerne ging, oder wie zufrieden er mit einem Online-Geschäft war. Auch Kochrezepte und andere gute Ratschläge finden sich weiterhin in den einschlägigen Foren.
Die digitale Existenz eines Menschen vollständig zu eliminieren, ist fast unmöglich. Bei sozialen Netzwerken wie Facebook oder Studi-VZ müssen die Angehörigen eine Sterbeurkunde einreichen und sich durch einen Wust an Online-Formularen kämpfen. Dann wird das Profil vom Anbieter zumindest stillgelegt, manchmal auch entfernt. Eigenständig ist das kaum möglich, fast alle Anbieter weigern sich, selbst engen Verwandten die Zugangsdaten herauszugeben.
Digitales Kondolenzbuch
Während die einen versuchen, die virtuelle Existenz ihrer Verstorbenen zu löschen, wollen andere genau das Gegenteil: Bei einigen sozialen Netzwerken dürfen Angehörige das Profil des verstorbenen Users übernehmen und es als Kondolenzbuch oder Gedenkseite weiterführen. Facebook ist großer Verfechter dieser Methode: Dann bleibt das Profil erhalten und das wilde Datensammeln kann weiter gehen, wenn die Trauernden die Seite des Toten besuchen. Ein Zugeständnis an die Hinterbliebenen: Das Profil wird dann auch entsprechend als Gedenkseite gekennzeichnet. Von vielen Freunden wird das tatsächlich dankbar angenommen, sie schreiben an die Pinnwände, teilen ihre Gedanken mit, erzählen Geschichten, die sie mit dem Toten verbinden.
Der Theologe und Seelsorger Thomas Multhaup kann das gut nachvollziehen, betont aber, dass das eine vorübergehende Erscheinung bleiben müsse: "Trauerarbeit heißt, den erlittenen Verlust mit der Zeit zu begreifen und ihn zu einem Teil des eigenen Lebens werden zu lassen. Wenn man diesen natürlichen Trauervorgang unterbricht, indem man den Toten weiterleben lässt, kann die Trauer nicht an ihrem eigentlichen Zielpunkt ankommen – das heißt: Die Wunde heilt nie richtig aus."
Eine Gedenkstätte im Netz
Wer seinem verstorbenen Freund oder Verwandten ein digitales Denkmal setzen will, der findet im Netz Adressen für jeden Geschmack. Es sind sogenannte Trauerportale. Dort kann man für seinen Liebsten eigene Homepages gestalten. Es gibt grauenhaft-kitschige Seiten mit blinkenden Sternen, aber auch andere Betreiber, die ein dezent-würdiges Design anbieten. Die Kosten sind unterschiedlich hoch. "Stayalive.de" oder "Longerlive.de" bieten ein Rundumpaket an: Die eigene Homepage für den Toten mit Lebenslauf, Hunderten Fotos und Videos, Texten und einem "Buch der Erinnerungen". Wenn man will, kann man sogar eine passende Musik hochladen, etwa den Lieblingstitel des Verstorbenen. Als wäre der Mensch nie weg gewesen.
Das sieht Thomas Multhaup sehr kritisch: "Wer eine solche Seite pflegt, bekommt für sich nicht mehr ganz klar, dass derjenige, um den es da geht, verstorben ist, man erinnert sich an diesen Menschen nicht als Verstorbenen sondern als einen quasi noch Lebenden." Außerdem, so der Theologe, stecke hinter solchen Seiten natürlich auch ein großes finanzielles Interesse der Betreiber. Und das bekomme schnell einen komischen Beigeschmack.
Vielen ist es egal, was mit ihren Daten geschieht
Das Phänomen des digitalen Nachlasses ist eine sehr junge Erscheinung. Das Leben im Netz existiert noch nicht lange. Und so machen sich nur wenige Menschen darüber Gedanken, was mit ihrer Web 2.0-Präsenz nach ihrem Dahinscheiden passieren soll. Findige Geschäftemacher aber schon. Der schwedische Anbieter "MyWebwill" warb damit, sämtliche Profile eines verstorbenen Users aus dem Netz zu entfernen. Kostenfrei. Für viel Geld bot der Betreiber dann noch an, nach dem Ableben des Users sämtliche seiner Internetkontakte zu benachrichtigen. Das Ganze funktionierte natürlich nur gegen Herausgabe sämtlicher Zugangsdaten für die verschiedenen Plattformen, auf denen der Nutzer "zu Hause" war. Da dieser solches allerdings noch zu Lebzeiten - nur für den Fall, dass - veranlassen musste, gab er seine Daten in die Hände Dritter. Man weiß, welche Folgen so eine Entscheidung haben kann. Seit November 2011 ist die Seite nicht mehr erreichbar. Die Betreiber verabschiedeten sich mit den Worten: "Wish you all the best and a happy digital life!"
Wohin mit dem digitalen Erbe?
Man kann auch ohne fragwürdige Hilfe noch zu Lebzeiten bestimmen, was mit seinem Internetdasein nach dem Tod passieren soll. Webexperten raten zur nicht ganz billigen, dafür aber sichersten Variante: "Rechtlich ist es immer von Vorteil, wenn alle Schlüsselwörter zu Netzwerken von Internetnutzern bei einem Notar in einem versiegelten Umschlag aufbewahrt werden und testamentarisch geklärt ist, was mit virtuellen Daten geschehen soll", heißt es im Blog von konturMAG.
Die Regelung des digitalen Nachlasses steckt noch in den Kinderschuhen. In den kommenden Jahren aber wird das Thema akuter werden – denn nicht nur junge Menschen sind aktiv im Netz, sondern auch immer mehr Ältere. Gerade hat eine ARD/ZDF-Online-Studie gezeigt, dass mehr als 34 Prozent der über 60-Jährigen das Internet nutzen. Die Zahl steigt; die Usergruppe hat schon einen eigenen Namen: "Silver Surfer". Und so werden sich auch in den sozialen Netzwerken immer mehr Profile finden - von Menschen, die längst ihr irdisches Dasein beendet haben. Nicht nur durch tragische Unfälle, sondern schlicht und einfach aus Altersschwäche.
Doch wo immer auch die Entwicklung hingeht: Ein virtueller Friedhof wird einen realen Friedhof als Trauerort nie ersetzen.
Autorin: Silke Wünsch
Redaktion: Sarah Judith Hofmann