Schweigen wird teuer
30. März 2017Es ist ein Fall, wie er wohl auch in anderen Familien vorkommen könnte: Vom Computer einer Familie wird Musik illegal ins Netz gestellt. Die Eltern wollen weder sagen, welches Kind das getan hatte, noch Schadenersatz leisten. Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Donnerstag müssen sie nun aber doch zahlen. Die Richter erklärten: Entweder die Eltern der drei volljährigen Kinder sagen die Wahrheit, geben den Namen des Kindes preis und dieses kommt für den Schaden auf. Oder aber die Eltern müssen zahlen. Den Eltern kann es also zugemutet werden, ihre Kinder für die illegale Nutzung von Internet-Tauschbörsen anzuschwärzen.
Im Urteil geht es also, salopp ausgedrückt, um das Thema "Petzen". Das ist zwar gesellschaftlich nicht gut gelitten, aber seien wir ehrlich: In vielen Bereichen wird gepetzt und getuschelt, was das Zeug hält. Im Job steht Loyalität nur selten an erster Stelle. Wer hat nicht schon erlebt, dass hinter vorgehaltener Hand über Kollegen getuschelt wird? Wie oft hält man als Team oder Belegschaft wirklich zusammen, wenn es ernst wird?
Wie soll man also umgehen mit der Wahrheit? Soll oder muss man sie immer aussprechen? Mit diesen schwierigen Fragen haben sich Menschen schon seit Jahrhunderten beschäftigt. "Eine schmerzliche Wahrheit ist besser als eine Lüge", soll Schriftsteller Thomas Mann gesagt haben. Der französische Philosoph Voltaire wird dagegen so zitiert: "Alles was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles was wahr ist, solltest du auch sagen."
Eltern haften für ihre Kinder - doch längst nicht immer
Wahrheit oder Lüge? In dem Münchner Fall wurde es sogar noch komplizierter. Denn wer schwärzt schon gerne ein Familienmitglied an, selbst wenn man weiß, dass er oder sie etwas Unrechtmäßiges getan hat? Das Vergehen liegt schon länger zurück: Anfang 2011 war das Erfolgsalbum "Loud" der Pop-Sängerin Rihanna illegal in ein Filesharing-Netzwerk im Internet hochgeladen worden. Die IP-Adresse führte die Anwälte der Plattenfirma zum Internetanschluss einer Familie aus München. Sie forderten Schadenersatz und Abmahnkosten von insgesamt mehr als 3500 Euro. Doch die Eltern weigerten sich, zu zahlen und erklärten: "Wir haben nichts mit dem Hochladen zu tun, das war eines unserer Kinder." Aber welches es war, das wollten sie nicht verraten.
Zwar müssen Eltern in gewissen Fällen für ihre Kinder haften - aber nur wenn diese minderjährig sind. Dies gilt zum Beispiel dann, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. So müssten sie ihre Kinder deutlich darauf hinweisen, dass sie keine illegalen Down- oder Uploads von Musikdateien vornehmen dürfen. Im vorliegenden Fall waren die Kinder jedoch volljährig. Die Sache ging vor die Gerichte, die in allen Instanzen zugunsten der Plattenfirma entschieden. Das wollte die Familie nicht akzeptieren und zog deshalb vor den Bundesgerichtshof.
Schadenersatz oder Schutz des Familienfriedens?
Schon im vergangenen Jahr hat sich der Bundesgerichtshof mit Urheberrechtsverletzungen im Netz beschäftigt. Denn bei Internetanschlüssen gilt die sogenannte Störerhaftung. Diese legt fest, dass der Inhaber eines Internetanschlusses besondere Sicherheitsmaßnahmen treffen muss, damit über seinen Anschluss nichts Illegales im Netz geschieht, erklärt Christian Solmecke, Anwalt für Internetrecht, im Gespräch mit der DW.Das heißt in der Praxis: Er muss geeignete Passwörter einrichten. Hat er aber geeignete Sicherheitsmaßnahmen getroffen, endet seine Sorgfaltspflicht. Der BGH entschied, dass Inhaber von Internetanschlüssen über diese Sorgfalt hinaus nicht ständig kontrollieren müssen, was über ihren Netzzugang geschieht. Dies gilt auch für Eltern, deren Kinder den gemeinsamen Anschluss nutzen.
Loyalität in der Familie
In dem Urteil von diesem Donnerstag ging es aber auch um die Frage, was weiter reicht: der Familienfrieden oder das Urheberrecht? Beide Rechtsgüter sind vom Grundgesetz geschützt: die Familie in Artikel 6, das Eigentum, aus dem sich der Urheberschutz ableitet, in Artikel 14. Der Schutz der Familie genießt einen sehr hohen Stellenwert. So gilt für Eltern und Kinder wie auch für Lebenspartner ab der Verlobung ein Zeugnisverweigerungsrecht. Das heißt: Selbst wenn mein Verlobter weiß, dass ich etwas Illegales getan habe, selbst wenn er die Tat sogar gesehen hat, darf er das verschweigen. Sein Schweigen ist in diesem Fall nichts Verbotenes. Genau dasselbe gilt im Eltern-Kind-Verhältnis, unabhängig davon, wie alt die Kinder sind. Innerhalb dieser engen Familienbande muss man also "nicht petzen".
Eine gute Freundin müsste das. Von ihr verlangt das Recht, die Wahrheit zu sagen - es sei denn, sie würden sich durch eine Aussage selbst verdächtig machen. Dann, aber nur dann, kann sie eine Aussage verweigern. Die Familie aber soll ein Ort des Vertrauens bleiben. Dort soll Loyalität unter Schutz stehen. Doch das gilt nicht für alle Fälle, wie das Urteil zeigt.