Ilija Trojanow: "Der Weltensammler"
7. Oktober 2018"Sie haben recht. Er steigert sich hinein. Bald bildet er sich ein, er könne denken, sehen, fühlen wie einer von uns. Er begann zu glauben, er verkleide sich nicht, sondern verwandle sich."
So wird über ihn geredet an einer Stelle des Romans "Der Weltensammler". Der Engländer Richard Francis Burton schlüpfte Zeit seines Lebens in viele Rollen, er war eine Art menschliches Chamäleon, einer der sich nicht nur für fremde Kulturen interessierte, sondern sie geradezu einatmete, alles aufsog, was ihn fern der so gepflegten englischen Heimat ansprach.
Richard Francis Burton, geboren 1821 in der südwestenglischen Grafschaft Devonshire, verstorben 1891 in der Vielvölkerstadt Triest, gehörte im 19. Jahrhundert zu den schillerndsten Figuren im britischen Empire - und das will ja etwas heißen in dem von originellen Persönlichkeiten nicht gerade armen britischen Weltreich.
Ein fantastisches Leben wird pralle Literatur
Wie macht man aber nun aus einem Leben, das vor Anekdoten, kulturellen Brüchen und persönlichen Dramen nur so strotzt, einen Roman? Ilija Trojanow hat das in seinem 2006 erschienenen Buch "Der Weltensammler" überaus klug gelöst, hat sich drei Etappen aus Burtons aufregender Biografie herausgesucht und diese mit literarischem Leben geradezu aufgepumpt, mit Fantasie, fiktiven Dialogen und jeder Menge saftigen, atmosphärischen Beschreibungen.
"Manchmal rülpste die pralle Stadt. Alles roch wie von Magensäften zersetzt. Am Straßenrand lag halbverdauter Schlaf, der bald zerfließen würde. Ein Löffel schnitt durch das Fleisch einer überreifen Papaya, Fußsohlen schwitzten auf dem Heimweg vom Markt Koriander aus."
Das ist weder eine Passage von Gabriel García Márquez noch von Salman Rushdie, geschrieben hat sie ein deutscher Autor! Bei allem Respekt für die Leistungen von Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus dem deutschsprachigen Raum der letzten Jahrzehnte - "Der Weltensammler" von Ilija Trojanow ist ein Buch, bei dem wohl niemand bei der ersten Lektüre vermuten würde, dass es aus der Feder eines Autors deutscher Sprache stammt.
Nach Britisch-Indien, nach Ägypten und auf die arabische Halbinsel sowie an die großen Seen Ostafrikas begleitet Trojanow den britischen Diplomaten und Forscher Burton, erzählt von dessen aufregendem Leben in Asien und Afrika. In Indien ist es die Liebeskunst, die im Mittelpunkt steht; in der arabischen Welt Burtons noch heute unfassbar anmutende Reise zu den für Christen verbotenen heiligen Stätten Mekka und Medina; in Ostafrika schließlich ist es die schleichend-zersetzende Kraft der Malaria, die Burton schwer zu schaffen macht.
Ein Roman über die Begegnung von Kulturen
Das alles serviert Trojanow dem verblüfften Leser mit ungeheuren Details, einer Fülle von brillanten Naturbeschreibungen, der Vorstellung von Menschen jeglicher Couleur. "Der Weltensammler" ist ein großartiges Buch über einen Mann mit verschiedenen Identitäten, ein Roman über den Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen. Dazu ist es heute so aktuell wie 2006, als "Der Weltensammler" in Deutschland auf den Markt kam.
Ilija Trojanow: "Der Weltensammler" (2006), als Taschenbuch erhältlich im dtv Verlag
Ilija Trojanow ist selbst so etwas wie ein Weltensammler. Geboren in Sofia, wuchs er in Osteuropa, Kenia und Deutschland auf. Nach einem Aufenthalt in Frankreich studierte er in Deutschland und zog dann nach Indien, später nach Südafrika, wieder nach Deutschland und schließlich Österreich. Trojanow schreibt u.a. Romane, Essays, Lyrik und Reisebücher. Er verlegt Bücher und engagiert sich in vielfältiger anderer Form für das literarische Leben, insbesondere für Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika.