Identitäre wollen Vormundschaft für Flüchtlinge
17. Januar 2018Auf seiner Website und bei Facebook ruft der Hamburger Ableger der rechtsextremen Identitären Bewegung seine Mitglieder dazu auf, Vormundschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu übernehmen. Für diese Aufgabe winke ein Stundenlohn zwischen 19,50 Euro und 33,50 Euro pro Stunde - der Staat zahle.
Alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland bekommen einen gesetzlichen Vormund. Oft, aber nicht immer sind das Privatpersonen, die ihnen bei Verwaltungsgängen helfen und als Erziehungsberechtigte die rechtliche Verantwortung übernehmen. Wenn ein Flüchtling zum Beispiel die Schule wechseln will, muss der Vormund die Formulare unterzeichnen. Für die Unterbringung und Versorgung der Schützlinge sind solche Vormunde allerdings nicht verantwortlich.
Familiennachzug stoppen
In dem Aufruf machen die Rechtsextremen deutlich: Speziell ausgebildete Mitarbeiter der, wie sie es nennen, "Sozialindustrie" - gemeint sind beispielsweise Sozialarbeiter - sollen daran gehindert werden, minderjährige syrische Flüchtlinge zu unterstützen, die ihre Familien aus dem vom Krieg zerrissenen Land nach Deutschland holen wollen. Der Familiennachzug ist eine Maßnahme, die Experten empfehlen, um Kriminalität unter jungen Migranten zu reduzieren. Durch die Übernahme von Vormundschaften wollen die Identitären - so heißt es auf der Website - Missbrauch verhindern.
Doch die Motive der Bewegung sind keine sozialen, weiß auch der Hamburger Verfassungsschutz. Der beobachtet die Identitäre Bewegung seit langem und geht davon aus, dass die Kampagnen der rechtsextremen Gruppierung ausschließlich Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erzeugen soll. In einer Stellungnahme gegenüber der DW bezeichnet der Sprecher des Hamburger Verfassungsschutzes Marco Haase die Identitären als eine "sehr medienaffine Gruppierung, die es auf eine möglichst große öffentliche Wirkung abgesehen hat". Und weiter schreibt er: "Vor dem Hintergrund der verfassungsfeindlichen Ideologie und zahlreichen fremdenfeindlich und völkisch motivierten Aktionen der vergangenen Monate ist die aktuelle Kampagne kaum als große soziale Tat zu verstehen. Sie wirkt fast schon zynisch - glaubhaft ist das alles nicht."
Angebot und Nachfrage?
Bereits vor einigen Tagen haben sich nach Angaben der Gruppe einige ihrer Aktivisten zum Thema Vormundschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge von Fachleuten beraten lassen. Identitären-Sprecher Daniel Fiß konnte der DW nicht genau sagen, wie viele rechte Aktivisten bereits Interesse gezeigt haben. Angesprochen auf die Verhinderung des Familiennachzugs, sagen die Rechten: "Wir werden mit ihnen über vorhandene falsche Erwartungen an ihr Gastland ebenso sprechen wie über eine Zusammenführung mit ihrer Familie in ihrer Heimat." Nichtsdestotrotz bestand Fiß darauf, dass die Gruppe "keine bösartigen Ziele" habe. "Wir wollen mit diesen Menschen sprechen und sehen, wie sie sich entwickeln", sagte Fiß der DW, bevor er hinzufügte, dass die Verhinderung der Familienzusammenführung nur eines von vielen Zielen der rechtsextremen Gruppe sei.
Nichts als PR-Masche
Die Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration bezweifelt die Ernsthaftigkeit der Absichten der Identitäten und sagt: "Der Aufruf folgt einer bekannten Strategie: Viel Lärm machen, um in die Medien zu kommen - aber de facto folgt nichts." Auf die Anfrage der DW antwortet Behörden-Sprecher Marcel Schweitzer per Mail: Die Strategie der Bewegung unterstütze er nicht und stehe aus diesem Grund auch für kein Interview zur Verfügung. "Ohnehin ist die Gefahr einer Unterwanderung nicht sonderlich hoch, da wir in Hamburg gegenwärtig keinen Bedarf an neuen Privatvormündern haben", schreibt er weiter. So gingen die Fälle unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge von 2,572 im Jahr 2015 auf 517 im vergangenen Jahr 2017 zurück.
Schweitzer erklärt, dass Vormünder für minderjährige Flüchtlinge in der Regel vom zuständigen Familiengericht bestellt werden, und dass es bereits ausreichend qualifizierte private und öffentlich bestellte Vormünder gibt, so dass "die Gefahr der Infiltration nicht besonders groß ist".
Ralf Slüter ist Leiter des Hamburger Kinderschutzbundes, eine Organisation, die für die Suche nach Vormündern für minderjährige Flüchtlinge zuständig ist. Er sagt, es sei unwahrscheinlich, dass Menschen mit einer rechtsextremen Ideologie während ihres Auswahlverfahrens nicht auffallen würden. "Unsere Vormünder werden sorgfältig ausgesucht und lange geschult", erklärt Slüter der DW. "In den Eingangsgesprächen und im Training werden sie intensiv befragt, welche Einstellung sie zu Flüchtlingen und welche Einstellung sie zu Menschen aus anderen Kulturen haben. Es gibt keine Gewissheit, aber ich glaube nicht, dass sie sich so gut verstellen können", sagt er. "Außerdem haben unsere Leute darüber hinaus Kontakt zu den Flüchtlingen und den Vormündern", so Slüter weiter: "Natürlich versuchen sie nur Ängste zu schüren. Sie haben damit eine riesige Welle geschaffen."
Drang nach Öffentlichkeit
Die Identitäten sind eine europaweite Bewegung, die sich als eine neue Generation junger rechtsextremer Aktivisten versteht, die das schützen wollen, was sie als europäische "Identität" betrachten. In letzter Zeit haben sie mehrere öffentlichkeitswirksame Aktionen gestartet - so auch vergangenen Sommer, als eine Gruppe aus deutschen, italienischen und französischen Identitären ein Schiff charterten, um Migranten aus dem Mittelmeer zu retten, um sie dann an die afrikanische Küste zurückzubringen. Im August wurde bekannt, dass der identitäre Einsatz nach nicht einmal einer Woche auf See beendet werden musste. Nach technischen Problemen war das Schiff, die "C-Star", manövierunfähig und kurz davor, von Seenotrettern in Schlepptau genommen zu werden. Im Oktober strandete das Schiff nach mehreren Tagen Irrfahrt auf offenem Meer schließlich im Hafen von Barcelona - mit einer gesundheitlich angeschlagenen und mittellosen Crew aus Sri Lanka. Die Rechtsextremen waren schon lange nicht mehr an Board.