Pullis aus Plastikflaschen
18. Dezember 2006Die so genannten PET-Flaschen sind allgegenwärtig in deutschen Supermärkten. Die großen und kleinen Flaschen aus dem Kunststoff Poly-Ethylen-Terephthalat - kurz PET- enthalten Coca Cola, Wasser oder Apfelschorle. Bis Anfang 1993 gelangten alle Flaschen in den Müll, wurden aussortiert und recycelt. Doch seit vor vier Jahren ein Pflichtpfand für Getränkeverpackungen eingeführt wurde, müssen die Supermärkte ihre Flaschen wieder zurücknehmen. Seither treten die meisten PET-Flaschen eine lange Reise an: sie fahren nach China um später, als Fleece-Pullover, wieder nach Deutschland zurückzukehren.
16 Literflaschen = 1 Fleece-Pullover
"Die Mode der Fleece-Pullover hat die PET-Flaschen eine Weltreise beginnen lassen. Erst trinken wir die Flasche aus, die wir vielleicht später unterm Weihnachtsbaum als Pullover von Adidas wiederfinden werden", sagt Sascha Schuh, Geschäftsführer der auf Abfallwirtschaft spezialisierten Beratungsfirma ASCON. 16 Literflaschen entsprechen einem Fleece-Pullover, rechnet Schuh.
Mehr als 800 Millionen PET-Flaschen sind jedes Jahr in Deutschland auf dem Markt. Der größte Teil davon sammelt sich bei den großen Supermarktketten an. Die haben neue Wege gefunden, um diesen riesigen Berg loszuwerden. Sie lassen Müllentsorger die leeren Flaschen abholen, zu Ballen pressen oder in Stücke zerlegen. Dann bieten sie die so genannten PET-Fraktionen für hohe Preise chinesischen Händlern an. Und die zahlen gut, sagt Sascha Schuh. Die chinesischen Händler gingen direkt zu den deutschen Sortieranlagen, zahlten bar und ließen am nächsten Tag den Container kommen. "Das ist ein richtiges Tages- und Spotgeschäft", sagt Sascha Schuh.
Immenser Kunststoff-Bedarf in China
Die chinesische Textilindustrie hat einen immensen Bedarf an Kunststoffen. Auch wenn die Händler die Preise der deutschen Verwertungsbetriebe überbieten müssen, ist der Import für sie immer noch billiger, als selbst zu produzieren. Die Transportkosten von Hamburg nach Hongkong sind niedrig, weil die Frachter auf der Rückfahrt noch Kapazitäten frei haben, nachdem die in China produzierten Textilien ausgeladen wurden. Und die Produktionskosten sind niedrig, weil in China die Arbeitskräfte wenig kosten und Umwelt- oder Sozialstandards fehlen.
In chinesischen Fabriken wird das PET-Material nach Farben sortiert, zerschreddert und geschmolzen. "Die aufgeschmolzene PET-Flasche bildet Fäden, die verwoben werden können", erklärt Sascha Schuh. Damit könne man aus einer PET-Flasche nicht nur Fleece-Pullover, sondern auch andere Kleidungsstücke machen, zum Beispiel Polyamid-Hemden mit geringem Baumwollanteil - "das ist letztendlich alles der Werkstoff, aus dem auch die PET-Flaschen sind", sagt Schuh.
Enorme Wertschöpfung
Nach der Verarbeitung werden PET-Flaschen in Form von Textilien wieder nach Deutschland zurückgebracht und verkauft. Die erzielte Wertschöpfung ist enorm: Ein Fleece-Pullover kostet zwischen 50 und 100 Euro. Der Materialeinsatz liegt bei etwa 32 Cent.
Von den Millionen PET-Flaschen bleiben etwa 20 Prozent in Deutschland. Sie werden über die landesweit agierende Firma "Duales System Deutschland" eingesammelt. "Diese PET-Flaschen gehen in ein Recycling, sind aber von der Qualität her nicht so hochwertig, wie das, was über die Läden zurückläuft", sagt der Leiter für Öffentlichkeitsarbeit des "Dualen Systems", Helmut Schmitz. Nicht nur Plastikflaschen, auch Papier, Metall und Glas würden als sekundäre Rohstoffe auf dem Markt angeboten.
Die zwei deutschen und die wenigen europäischen Recycling-Anlagen haben es sehr schwer, preislich mitzuhalten, angesichts der überwältigenden Konkurrenz aus China. Ein Ende des fernöstlichen Hungers nach Altplastik ist nicht in Sicht. Seit Jahren wächst Chinas Wirtschaft um rund 10 Prozent pro Jahr. Das Land hat einen enormen Ressourcenbedarf, den es nicht mehr ausschließlich aus primären Rohstoffen wie Öl und Gas decken kann. Vor dem Hintergrund gewinnt ein sekundärer Rohstoff wie PET gewaltig an Wert.
Abfall als Wirtschaftsfaktor
Der Transport nach China und die Nutzung des Materials vor Ort in China zeige, dass es einen Weltmarkt für Sekundärrohstoffe und für Abfall gebe, sagt Abfallexperte Sascha Schuh. Vor zehn Jahren sei Abfall einfach auf der Deponie gelandet, "da haben wir als Konsum- und Wegwerf-Gesellschaft gelebt", sagt Schuh. "Diese Marktentwicklung zeigt der gesamten Bevölkerung und allen Verbrauchern: das, was ich hier gesammelt habe, wird tatsächlich auch wiederverwertet."
Im Abfall stecken Rohstoffe, die täglich wertvoller werden. Statt auf stinkenden Deponien wird Müll in Zukunft mehr und mehr in High-Tech-Fabriken landen, die ihn zu neuen Produkten verarbeiten. Abfallstoffe wie PET sind zu einem Wirtschaftsfaktor geworden. Und Müll zum Wegwerfen wird eines Tages vielleicht die Ausnahme sein.