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Politik

Erinnerungen an Aleppo

Diana Hodali
15. März 2017

Sie waren eine glückliche Familie - bis der Krieg in Syrien auch in Aleppo ankam. Die junge Syrerin Rima A. beschloss daraufhin, ihre Heimat zu verlassen. Jetzt lebt sie in Deutschland und erinnert sich an den Krieg.

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Syrerin Rima A. über ihr Leben in Deutschland und ihre Erinnerungen an Aleppo Syrien
Bild: DW/D.Hodali

Sie ist immer noch schmal. Rima A. hat zwar schon ein bisschen zugenommen, aber die Auswirkungen des Syrien-Krieges sind ihr auch nach eineinhalb Jahren in Deutschland anzusehen. Rima lächelt, als sie die Tür öffnet. Es ist ein breites, offenes Lächeln, fast schon unbeschwert. Doch wenn sie von ihrer Heimat Aleppo erzählt, dann weicht ihre Unbeschwertheit einer Traurigkeit - so als würde alles, was sie erlebt hat, wie ein Film erneut vor ihrem inneren Auge ablaufen. Dass der Syrien-Krieg jetzt ins siebte Jahr geht, hatte sie fast vergessen. "Ich habe mein Zeitgefühl verloren. Der Krieg geht schon so ewig", erzählt die heute 25-jährige Frau. "Wir haben immer daran geglaubt, dass er schnell zu Ende gehen wird. Heute weiß ich, dass das naiv war."

Rima A. nippt an ihrem Kaffee. Ihre schlanken Finger umklammern den Kaffeetassen-Henkel, so als müsse sie sich daran festhalten. Ihre Eltern hatten das Kaffeepulver einer Freundin mitgegeben, die - so wie Rima - über ein internationales Studienprogramm für Syrer, kürzlich aus Aleppo nach Deutschland gekommen war. Der Duft erinnere sie an die Tage, an denen sie mit ihren Eltern in der Küche saß und frühstückte. "Der Kaffee aus Aleppo hat einen tollen, intensiven Geruch. So viele Erinnerungen werden wach. Ich trinke nicht jeden Tag davon, denn ich will, dass er so lange hält wie möglich. So schnell bekomme ich nicht nochmal eine Packung", sagt sie. Rima A. möchte ihren echten Namen nicht nennen. Ihre Eltern und Geschwister leben noch in Aleppo und sie fürchtet, ein Artikel über sie und ihre Familie könnte Repressionen durch das Assad-Regime nach sich ziehen. Daher bleibt sie auch an vielen anderen Stellen vage in ihrer Beschreibung. "Ich bin weit weg, mache meinen Master, aber ich denke immer an meine Familie", erzählt sie.

Syrerin Rima A. über ihr Leben in Deutschland und ihre Erinnerungen an Aleppo Syrien
Rima ist froh, dass sie Kaffee aus Aleppo bekommen hat. Bild: DW/D.Hodali

"Ich habe aufgehört, Brot zu essen"

Bei einem Spaziergang erinnert sie sich daran, wie alles begann - 2012 in Aleppo. Da tobte der Krieg in weiten Teilen Syriens bereits seit einem Jahr. "Es war Sommer, heiß, es war Ramadan-Zeit und ehe ich mich versah, war der Krieg in meiner Stadt angekommen", erzählt Rima. Ihr zweites Jahr an der Universität von Aleppo hatte begonnen. Mit einem Schlag wurden alle Aktivitäten an der Universität eingestellt. Dann rollten Panzer durch die Straßen, Demonstranten galten als Terroristen. Eine Stadt im Ausnahmezustand. Wochenlang trauten sich Rima und ihre Geschwister nicht aus dem Haus. "Wir hatten solche Angst, haben oft im Flur geschlafen. Es gab so viele Momente an denen ich dachte, wir sterben jetzt", sagt Rima traurig. Auf einmal war Ost-Aleppo vom Westen der Stadt getrennt.

Der Osten war fortan von oppositionellen Kräften kontrolliert - der Westen, in dem Rima lebte, von den Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Der Alltag entwickelt sich zu einer riskanten Angelegenheit. Lediglich ihre Eltern trauten sich noch, Nahrungsmittel einkaufen zu gehen. An den Randgebieten des Westens war es zwar besonders gefährlich, erinnert sich Rima, aber dort waren die Preise niedriger. "Alles war knapp. Besonders Brot", erzählt sie. "Ich konnte es nicht ertragen, dass wir auf einmal Brot essen sollten, dass mit Sägespänen gestreckt wurde. Es war widerlich." Da habe sie einfach aufgehört, Brot zu essen.

Auch Wasser und Strom waren Mangelware. "Meine gesamte Kindheit und Jugend habe ich nur von Krieg in Palästina, im Libanon, im Irak gehört. Immer habe ich mich gefragt, wie man so leben kann. Heute weiß ich, man gewöhnt sich an den Zustand." Doch in Syrien bleiben kam für sie nicht in Frage. Nicht nur die militärischen Auseinandersetzungen hatten Aleppo zugesetzt, auch die Stimmung in der Bevölkerung hatte sich mit der Teilung der Stadt besonders negativ verändert, erzählt sie. Es gab nur noch Freund oder Feind - gegen oder für Assad.

Daraufhin meldete sie sich aus allen sozialen Netzwerken ab. "Ich konnte die politischen Diskussionen dort nicht ertragen, wollte aber auch nicht mehr die Bilder von Syrern in Damaskus sehen, die auf Partys feierten während hier in Aleppo Hunger und Krieg herrschten."

Entschlossen, das Land zu verlassen

Rima A. blickt auf eine schöne Kindheit zurück. Sie wuchs in guten Verhältnissen auf, im Schoß der Großfamilie. "Ich war immer glücklich als Kind. Zu Schulzeiten wollte ich Journalistin werden. Aber mein Vater war dagegen", erzählt sie. Warum? "In Syrien gab es nie eine freie Presse. Ich hätte nie ausgewogen berichten können." Rima studierte daraufhin Naturwissenschaften, schaffte es sogar während des Krieges ihren Abschluss zu machen. Nicht erst seit sie ihre Ausreise nach Deutschland selber organisierte, war ihren Eltern klar, dass sie eine große Portion Eigensinn besitzt.

"Meine Eltern konnten mir das nicht ermöglichen. Da habe ich mir alles mithilfe eines Freundes, der Deutsch sprach, organisiert - vorbei an meinen Eltern", sagt sie. Diese waren nur wenig erstaunt, dass ihre Tochter raus wollte. "Mein Vater hat gesagt, er ließe mich nur unter einer Bedingung gehen: Ich dürfe nicht mehr wiederkommen." Dann bricht ihr die Stimme weg. Sie weint. "Ich habe meine Familie für immer verabschiedet. Ich weiß nicht, ob ich jemals zurückkehren kann und ob sie dann noch alle leben."

Syrien Zerstörung
Die Zerstörung im Osten der Stadt Aleppos ist großBild: picture alliance/AP Photo/K.Al-Issa

"Ich vermisse meine Familie"

Sie ist dankbar dafür, dass sie nicht wie andere Syrer über das Mittelmeer kommen musste. Nach einer langen Reise nach Beirut, konnte sie nach Frankfurt ausfliegen - mit einem Visum aus Deutschland in ihrem Pass. "Ich habe oft ein schlechtes Gewissen deshalb. So viele Syrer sind auf dem Weg nach Deutschland gestorben, so viele talentierte Freunde harren in Aleppo aus", sagt sie und unterdrückt ihre Tränen. "Nachdem ich Aleppo verlassen habe, fühlte es sich an, als wäre ich leer", sagt sie. Die junge Syrerin selbst wird bis heute von den Bildern der Zerstörung verfolgt. "Damit muss ich alleine fertig werden", sagt sie. "Es bricht mir aber immer noch das Herz, wenn ich an meine Geschwister und meine Eltern denke."

Seit Dezember 2016 ist Aleppo nach erbitterten Kämpfen wieder komplett in der Hand des Assad-Regimes. Große Teile der Bevölkerung aus dem fast komplett zerstörten Ostteil sind in den Westteil geflohen. Die Infrastruktur sei kurz vor dem Kollaps, berichten Rimas Eltern ihr über den Nachrichtendienst "Whatsapp". Die Menschen in Aleppo seien kriegsmüde, würden wieder enger zusammenstehen. "Das ist ein Syrien, an das ich mich gerne erinnere. An Menschen, denen egal war, welche Religion man hatte." Doch der Krieg habe das alles geändert, fügt die junge Frau hinzu. 

"Ich bin seit eineinhalb Jahren in Deutschland. Ich vermisse meine Familie sehr. Aber ich will nicht zurück nach Syrien", sagt sie entschieden. Rima strebt nach ihrem Master noch eine Doktorarbeit an. Sie lebt gerne in Deutschland, büffelt die Sprache. Bereits nach 18 Monaten mischt sich unter ihr Arabisch auch viel Deutsch. Und sie mag die deutsche Küche - ganz besonders: Hühnerfrikassee.