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"Ich erwarte nicht, dass sie sich lieben"

Das Interview führte Dagmar Engel7. November 2004

Karsten Voigt war wohl der am meisten gefragte Interviewpartner in Deutschland nach der Wahl in den USA. Er ist Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. DW-TV stand er Rede und Antwort.

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Karsten Voigt: "Er hat gratuliert. Das war umgekehrt nicht immer so."Bild: DW-TV

DW-TV: Bundeskanzler Schröder hat dem US-Präsidenten zur gewonnenen Wahl gratuliert und gesagt: "Wir werden unsere gute und enge Zusammenarbeit fortsetzen." Höflich könnte man das als diplomatische Floskel bezeichnen.

Karsten Voigt: Zuerst einmal hat er gratuliert. Das war umgekehrt nicht immer so. Zweitens wollte er damit andeuten, dass wir an einer Vertiefung der Beziehungen interessiert sind und dass man jetzt die Chance der neuen Amtsperiode von Bush nutzen will, um die Felder auszuloten, wo das möglich ist.

Aber die Beziehung der beiden gilt praktisch als zerrüttet?!

Wissen Sie, mir geht es darum, dass die beiden Staaten gute Beziehungen haben und das entspricht den Interessen beider Staaten. Und mich interessiert, dass die führenden Politiker beider Staaten sich so verhalten, dass die kooperativen Beziehungen und Interessen unserer Staaten dadurch gefördert werden. Ich erwarte nicht, dass sie sich lieben.

Hat es auch was für sich, dass man sich auch schon kennt und das man die Standpunkte kennt?

Das hat was für sich, besonders dann, wenn man auch bereit ist, die eigenen Standpunkte auch zu überprüfen, dadurch dass man auf die anderen Argumente auch hört.

Wer sollte sich bewegen?

Ja natürlich ist man als Deutscher immer der Meinung, die Amerikaner sollen sich bewegen Aber das ist unrealistisch, wir werden uns natürlich auch bewegen müssen.

Was sind im Moment die Felder, wo Europäer und Amerikaner am dringendsten einer Überprüfung ihrer Zusammenarbeit bedürfen oder überhaupt intensiver zusammenarbeiten sollten?

Ich will mal erst etwas nennen was nicht immer im Vordergrund steht, was aber noch nicht gelöst ist. Das sind die Krisen auf dem Balkan. Dann gibt es das klassische deutsche Interesse an den Entwicklungen in Osteuropa und da gibt es positive Entwicklungen aber es gibt auch einige Krisenherde wie den Kaukasus aber auch in anderen Gebieten des post- sowjetischen Raumes. Darüber wird man bestimmt reden müssen. Dann über das Verhältnis zwischen der EU und den USA. Das wollen wir möglichst enger und kooperativ gestalten und dann kommen die großen Themen, die man immer sofort als erstes nennt: Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus, Afghanistan, natürlich auch Irak. Die Stabilisierung des nahen und mittleren Ostens. Und selbst beim Klimaschutz, da wird man sich nicht über Kyoto einigen, aber da kann man doch trotzdem darauf hoffen, dass der amerikanische Präsident konkrete Maßnahmen befürwortet, die das Problem faktisch mitlösen helfen können.

Das klingt alles so, als bräuchten wir gar keinen Neuanfang?

Nein, der Neuanfang besteht ja darin, dass wir beide noch in der Übergangsphase sind, von unserer Mentalität und unseren Strategien und auch unseren institutionellen Absprachen während des kalten Krieges hin auf die neuen Herausforderungen die ja überwiegend von außerhalb Europas kommen und die auch nicht wie die Bedrohung durch die Sowjetunion sich territorial begrenzen lassen, sondern die zum Teil globaler Natur und entgrenzter Natur sind und auch nicht von Staaten kommen, sondern von NGOs wenn man das so sagen will, denn in gewisser Weise ist ja die Terrororganisation El Kaida die negative Variante einer NGO, einer Nicht-Regierungs-Organisation.

Akzeptieren wir denn gegenseitig, dass wir offenbar wirklich sehr unterschiedlich sind?

Zuerst einmal gibt es in den USA alles und das Gegenteil. Es gibt also in den USA Leute an der Ostküste die genauso denken wie wir, aber Bush ist nicht der Vertreter der Ostküste. Er vertritt natürlich eine politische Kultur die im Süden des Landes beheimatet ist, die vielen Amerikanern fremd ist und vielen in Europa erst recht. Deshalb sind manche Europäer ja darüber enttäuscht, dass sie ein Amerika jetzt erleben, das sie so nicht kennen und das sie befremdet. Das hängt auch mit Religion zusammen, das hängt mit Geisteshaltung zusammen, hängt mit Familienwerten zusammen. (…) Vieles an der Rhetorik von Präsident Bush ist für Europäer sehr befremdlich, aber ich muss mal sagen: vielen im amerikanischen Süden ist es auch befremdlich, das Leute die aus der 68er Generation kommen, die mehr als eine Heirat hinter sich haben, trotzdem gewählt werden. Wir müssen damit umgehen, wenn man in einem transatlantischen Bündnis mit pluralistischen Demokratien zusammenarbeiten will.

Vielen Dank für das Gespräch.