"Eine lebende Provokation"
15. September 2009Ein Abenteurer als Ruheständler? "Theoretisch könnte ich das", sagt Reinhold Messner. "Interessanterweise habe ich eine Pension, weil ich einmal Politiker war." Für die Grünen saß Messner fünf Jahre lang im Europaparlament. Doch auf dieses Ruhegehalt ist der Südtiroler nicht angewiesen. "Ich bin ja Selbstversorger. Als Bauer kann ich mir alles herstellen, was ich zum Leben brauche." Im Bergdorf Sulden am Ortler züchtet Messner seit mehr als 20 Jahren Yaks, tibetische Hochlandrinder. In Sulden steht auch eines von vier Bergmuseen, die Messner inzwischen betreibt. Das fünfte und letzte MMM (Messner Mountain Museum) soll 2010 eröffnet werden.
Hausverbot für den Kritiker
Ich treffe Reinhold Messner im MMM Firmian, auf Schloss Sigmundskron nahe Bozen, dem Herzstück seines Museumsprojekts. Hier ist auch sein Büro untergebracht. Denn Messner ist auch mit 65 Jahren noch ein gefragter Mann. Nach wie vor schreibt er ein bis zwei Bücher pro Jahr, hält Vorträge und gibt zahllose Interviews. Denn die Medien wissen, dass Messner immer für eine Schlagzeile gut ist.
"Ich bin eine lebende Provokation", sagt der frühere Extrembergsteiger, der als erster Mensch ohne Sauerstoff und im Alleingang den Mount Everest bestieg und als Erster auf den Gipfeln aller Achttausender stand. Jüngst warf Messner dem Deutschen Alpenverein (DAV) ein totalitäres Vereinsverständnis vor und erinnerte ihn an die unrühmliche Rolle in der Nazizeit. Der DAV empfahl daraufhin seinen Sektionen, Messner nicht mehr als Redner einzuladen. "Da kann der Alpenverein sagen, was er will. Er steht in einer tragischen Tradition der Ausgrenzung. Und ich bin das letzte Opfer", meint Messner. Sehr zu stören scheint ihn das Hausverbot nicht.
Sohn geht voraus
Zu Hause fühlt er sich andernorts, etwa in seinem Museum, wo er locker und entspannt wirkt. Oder auch im Kreise seiner Frau und Kinder. "Die Familie ist das Zentrum meines Lebens geworden", sagt Messner. Ende Juli hat er Sabine Stehle geheiratet, mit der er seit über 20 Jahren zusammenlebt und mit der er drei gemeinsame Kinder hat.
Während Messner früher monatelang alleine auf Expedition war, genießt er heute die Urlaube mit der Familie. Einmal im Jahr geht er mit seiner Frau auf Reisen, einmal mit den Kindern. Und dann gönnt er sich immer noch pro Jahr eine "schwierigere Expeditionsreise", am liebsten mit seinem Sohn Gesar Simon: "Es ist großartig, dass ich mit 65 mit einem 20-Jährigen diese Erfahrung teilen kann. Er geht voraus, er führt. Ich kann in Ruhe folgen und auch einmal ins Seil greifen. Ich habe da kein schlechtes Gewissen."
Berge werden täglich größer
Denn der Grenzgänger Reinhold Messner spürt, dass ihm sein Körper immer engere Grenzen setzt. "Das Altern wird für einen Menschen wie mich sicherlich schwierig, weil ich es gewohnt war, alles zu machen, viel Energie zu haben, immer neue Projekte auf die Beine zu stellen." Früher oder später werde das nicht mehr möglich sein. "Heute schon werden die Berge täglich größer, die Wüsten weiter, weil ich eben langsamer und ungeschickter und schwächer werde." Seine Kinder seien so etwas wie ein Spiegel, in dem er sich täglich betrachten könne: "Wir fühlen uns ja alle immer viel jünger. Meine Kinder sehen mich genauso alt wie ich bin." Eben nicht mehr 50 und auch nicht mehr 60.
Entschleunigung genießen
"Alle zehn bis 15 Jahre erfinde ich mich neu", hat Reinhold Messner einmal gesagt. Jetzt fühlt er sich wieder an einem solchen Wendepunkt. "Ich will mir jeden Druck wegnehmen und wirklich nur noch das machen, was ich mit Begeisterung tue": sein Museumsprojekt vollenden, seine Welt nicht nur in Büchern, sondern auch in Filmen erzählen und die letzten Winkel der Erde, die er noch nicht kennt, erkunden. Inzwischen könne er sich auch ganz einfach ruhig vor die Haustüre setzen und ins Abendlicht schauen. "Ich will das entschleunigte Leben genießen." Verstummen wird er jedoch ganz sicher nicht. "Ich werde auch weiterhin mein Hirn anspannen, um nicht allzu schnell zu altern", sagt Messner und lächelt vielsagend. Als ob er seinen Kritikern und Gegnern mitteilen wollte, dass sie ihn noch lange nicht los sind.
Autor: Stefan Nestler
Redaktion: Joachim Falkenhagen