Ibiza-Video: Diskussion um Veröffentlichung
22. Mai 2019Die Kameras waren versteckt, die Mikrofone unsichtbar: Und so redete sich der Frontmann der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) Heinz-Christian Strache im Juli 2017 in einer Villa auf Ibiza in vermeintlich privater Atmosphäre politisch um Kopf und Kragen. Im heimlich gedrehten Video, in dem unter anderem auch FPÖ-Parteifreund Johann Gudenus zu sehen ist, zeigt sich Strache gegenüber einer angebliche Nichte eines russischen Oligarchen bereit, als Gegenleistung für verdeckte Wahlkampfgelder öffentliche Aufträge zu vergeben.
Während es am Inhalt seiner Aussagen und der Echtheit des Videos keinen Zweifel gibt, wird über die Legitimität der Erstellung und Veröffentlichung kontrovers diskutiert. Bei der Aufzeichnung handele es sich "allem Anschein nach um eine
kriminelle Tat", sagt Stefan Brink, Datenschutzbeauftragter des Landes Baden-Württemberg. Er findet zudem, dass die Veröffentlichung des Videos durch "Süddeutsche Zeitung" (SZ) und "Spiegel" kein "Ruhmesblatt" gewesen sei: "Nach allem, was wir wissen, ist das Video ohne Kenntnis der Betroffenen aufgenommen worden. Herr Strache wurde in eine Falle gelockt. Er wähnte sich offenbar in einer nichtöffentlichen Situation. Das Video zeitgleich mit der Wortberichterstattung zu veröffentlichen, war aus meiner Sicht journalistisch keineswegs geboten." Durch die Veröffentlichung habe man die Gefilmten nämlich entblößt und vorgeführt.
Veröffentlichungen in Ausnahmefällen rechtens
Heinz-Christian Strache, damals noch in der Opposition, stieg nach landesweiten Wahlen im Oktober 2017 zum österreichischen Vizekanzler auf. Von diesem Posten ist er inzwischen zurückgetreten. Kurz nach der Veröffentlichung des Videos sprach er von einem "politischen Attentat." Seitdem gehört es zur Verteidigungsstrategie Straches und der FPÖ, die Video-Aufnahmen als illegal und kriminell zu bezeichnen. Christian Solmecke, Rechtsanwalt für IT- und Internetrecht in Köln, ist der Ansicht, dass derjenige, der die Aufnahmen angefertigt hat, gegebenenfalls mit einer Strafe rechnen müsse. Auch wenn das Video auf der spanischen Insel Ibiza erstellt und österreichische Politiker betroffen hat, vermutet er, dass das deutsche Strafrecht Anwendung finden dürfte: "Es war so, dass die Videomaterialien an deutsche Medien übergeben worden sind und auch deutsche Zeitungen das Ganze hier veröffentlicht haben. Insofern gehe ich davon aus, dass derzeit auch deutsches Strafrecht entsprechend anwendbar ist." Aber müssen auch die Journalisten, die das Video in Ausschnitten veröffentlicht haben, mit einer Strafe rechnen?
Renate Schmid ist Medienrechtsanwältin in Köln und hat lange Jahre als Justitiarin für eine Fernsehproduktionsfirma und den deutsch französischen Kultursender "ARTE" gearbeitet. Sie bewertet die Veröffentlichung des Videos als rechtens. So habe das Bundesverfassungsgericht schon 1984 entschieden, "dass es ausnahmsweise möglich ist, auch rechtswidrig erstellte Aufnahmen, bei denen der Gefilmte in eine Falle gelockt wurde, zu veröffentlichen." Dies gelte dann, wenn die Bedeutung der Informationen für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiege, "welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und für die Rechtsordnung nach sich ziehen. Es muss sich also um einen Missstand von erheblichem Gewicht handeln. Dazu zählen unter anderem strafbare Äußerungen oder Zustände von hohem öffentlichem Interesse." Schmids Fazit: "Meiner Meinung nach war die Veröffentlichung hier legal."
Gründliche Prüfung vor der Veröffentlichung
Dass allerdings nicht nur der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte die Veröffentlichung kritisch sieht, zeigen unter anderem die Aussagen von Hans-Georg Maaßen. Neben den beteiligten Medien nimmt der frühere Verfassungsschutzchef bei seiner Kritik auch die Öffentlichkeit in den Blick: "Für viele linke und linksextreme Aktivisten rechtfertigt der 'Kampf gegen rechts' jedes Mittel. Ich bin da anderer Meinung: Der Einsatz derartiger aktiver Maßnahmen ist ein Tabubruch."
Medienrechtsanwältin Schmid findet hingegen lobende Worte für "SZ" und "Spiegel". Aus über sechs Stunden Videomaterial hätten die Zeitungen nur die Passagen veröffentlicht, "die von erheblichem öffentlichem Interesse waren und von erheblicher Korruption, Unterdrückung der Meinungsfreiheit und möglichen Straftaten zukünftiger Regierungsmitglieder handelten. Zudem haben sie sorgfältig geprüft, ob das Material echt ist, durch einen geprüften und zertifizierten Sachverständigen für Foto-Forensik, Foto-Anthropologie und digitale Forensik." Erst nachdem die Zeitungen sich sicher gewesen seien, dass das Video authentisch und nicht verfälscht sei, hätten sich die beiden Redaktionen zur Veröffentlichung entschieden.
Diskussion um Zeitpunkt der Veröffentlichung und Urheber weiter unklar
Laut "Spiegel"-Redakteur Martin Knobbe, dem eine entscheidende Rolle bei der Veröffentlichung zukam, hatte der "Spiegel" das gefilmte Material im Mai erhalten. Knobbe und seine Kollegen bestreiten, dass die Veröffentlichung des rund zwei Jahre alten Videos in einem zeitlichen Zusammenhang mit den Europawahlen steht. Die Wahlen finden vom 23. bis 26. Mai 2019 in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union statt.Frank Überall glaubt allerdings nicht an einen Zufall. Der 48-Jährige ist Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes: "Natürlich hat das jemand ganz bewusst zu diesem Zeitpunkt gespielt. Das ist schon klar. Dennoch ist es irrelevant. Denn der Umstand ist für die Beurteilung der handelnden Person so wichtig, dass es auch an die Öffentlichkeit gelangen muss und darüber diskutiert werden muss. Man kann das Verhalten ja auch gut finden."
Wer die Falle für Strache und Gudenus gestellt hat, ist ebenso weiterhin ungewiss. Sowohl die "SZ" wie auch der "Spiegel" wollen mit Verweis auf den gesetzlich verankerten Quellenschutz für Journalisten die Urheber nicht preisgeben. Neben dem österreichischen Politmanager Tal Silberstein, dem Künstlerkollektiv Zentrum für Politische Schönheit und dem Satiriker Jan Böhmermann war in FPÖ-Kreisen auch von einer "geheimdienstlich inszenierten Lockfalle" die Rede. Konkrete Beweise gibt es allerdings nicht. Ebenso ist die Identität der jungen Frau in dem Video bisher nicht geklärt, die als russische Oligarchen-Nichte auftrat.