"Merkel trägt beim Dieselskandal Verantwortung"
19. September 2017Deutsche Welle: Herr Resch, Sie treiben im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe maßgeblich die Aufklärung beim Dieselskandal voran. Sie fordern, dass Dieselautos die vorgeschriebenen Höchstgrenzen von Abgasen in den Städten auch einhalten und nicht mehr die Gesundheit der Bürger schädigen. Vor zwei Jahren wurde der Betrug bei der Abgasreinigung bei VW bekannt. Wie blicken Sie zurück?
Mit sehr gemischten Gefühlen. In diesen zwei Jahren hat sich eigentlich strukturell nichts verändert. Nur zwischenzeitlich wissen wir, dass praktisch alle Hersteller Abschalteinrichtungen in die Autos eingebaut haben.
Die Bundesregierung reagiert aber nicht in einer angemessenen Weise darauf. Sie wäre verpflichtet, von den Autoherstellern Strafzahlungen zu verlangen - aber sie verzichtet. Aus diesem Grund hat auch die EU-Kommission gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren im Dezember letzten Jahres eingeleitet. In Frankreich gibt es von der Regierung eine Strafandrohung in Höhe von 8,5 Milliarden Euro allein gegen die französischen Autokonzerne PSA und Renault. Und Deutschland verhängt nicht mal ein Bußgeld von fünf Euro gegen die deutschen Autobetrüger.
Warum sind die Behörden in Deutschland so nachgiebig?
Wir haben in Deutschland eine ganz besondere Beziehung zwischen Automobilindustrie und Politik. Ich bezeichne diese als eheähnlich. Beim Dieselgipfel war das deutlich zu sehen. Welche andere Branche vereinbart auf Augenhöhe mit der Regierung gemeinsam finanzierte Fonds?
Wir bräuchten stattdessen eine Bundesregierung, die über ihre Behörden die Abgasvorschriften genauso streng anwendet, wie dies zum Beispiel die US-Behörden tun.
Es darf nicht darauf verzichtet werden, dass die Automobilindustrie die Fahrzeuge sauber macht und den betroffenen Autobesitzern geholfen wird, dass sie ihre Ansprüche auch durchsetzen können.
Wer trägt in der Bundesregierung dafür die Verantwortung?
Die Bundeskanzlerin. Mit ihrer Richtlinienkompetenz hat Frau Merkel das mehrfach gezeigt. Im Jahr 2010 kämpfte sie im Gespräch mit der kalifornischen Luftreinhaltebehörde für die Senkung der Abgasstandards, weil das im Interesse der deutschen Autoindustrie wäre.
Auch in allen Folgejahren setzte sich die Kanzlerin zum Teil selber im Auftrag der Autoindustrie für die Absenkungen der Standards ein. Kurz nach Aufdeckung des VW-Skandals tagte in Brüssel ein technischer Arbeitskreis. Da rief Frau Merkel persönlich bei Herrn Juncker an, der dann in diesem Arbeitskreis intervenierte, und dafür sorgte, dass die Werte für Messungen von Stickoxiden bei den Straßentests noch einmal aufgeweicht werden. Das Ergebnis ist, dass bis zum Jahr 2023 Diesel-Autos auf der Straße schmutziger sein dürfen als im Prüflabor. Das ist ein Unding in der Umweltpolitik.
Beim TV-Duell mit Martin Schulz zeigte sich Angela Merkel entsetzt und stocksauer über den Betrug der Autokonzerne.
Dies zeigt, dass sie jetzt etwas tun muss. Sie tut aber nichts, was weh tut. Ich erwarte nicht, dass Frau Merkel sich stocksauer zeigt, sondern dass sie handelt. Das heißt: Dass sie den Autobauern auferlegt, dass die Abgasreinigung bei den Fahrzeugen immer wie vorgeschrieben funktioniert.
Zudem werden jetzt Verbraucher auch noch in eine falsche Richtung gelenkt. Fahrzeuge werden mit einer sogenannten Umweltprämie beworben und verkauft. Doch auf der Straße überschreiten die neuen Fahrzeuge die Grenzwerte zum Teil um über 1000 Prozent. Da wird mit dem Begriff Umweltprämie Schindluder getrieben.
Die Deutsche Umwelthilfe hat nun viele Klagen eingereicht. Sie wollen die Städte zur Luftreinhaltung mithilfe der Gerichte zwingen - mit Erfolg?
Wir haben in den letzten zwölf Jahren jedes einzelne Verfahren gewonnen, rechtskräftige Urteile in Städten wie München, und jetzt gibt es an manchen Orten sogenannte Zwangsvollstreckungen.
Die Gerichte formulieren immer zorniger, dass der Staat seiner Verpflichtung von Artikel 2 des Grundgesetzes einhalten muss. Dieser Artikel garantiert das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Unser Problem ist, dass der Staat dem nicht nachkommt.
Wir wollen, dass die Verantwortlichen in den Städten und Bundesländer das Recht anwenden, die Bürger schützen und die Mindeststandards für die Luftqualität für Stickstoffdioxid einhalten. Denn das ist ein besonders heimtückisches Atemgift. Es geht hier um 10.600 vorzeitige Todesfälle pro Jahr, und diese Zahlen stammen nicht von uns, sondern von der EU-Umweltagentur, WHO, Fraunhofer-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft.
Alle sind sich einig, dass wir mit den Dieselabgasen das letzte große ungelöste Luftreinhalteproblem in Deutschland haben. Für die Lösung des Problems steht uns eine Technik zur Verfügung und es gelten Regeln für die Einhaltung. Nur diese Regeln werden bei den Autoherstellern und in den Städten nicht durchgesetzt.
Was muss passieren, damit die Grenzwerte der Luftverschmutzung eingehalten werden?
Wir brauchen für die schmutzigen Fahrzeuge ein Fahrverbot. Und dann wird es für den Autohalter und Industrie zwei Alternativen geben: Rückabwicklung des Kaufvertrages oder technische Nachrüstung. Mit der technischen Nachrüstung muss die Abgasnorm Euro 6 auf der Straße eingehalten werden.
Hilft denn das Update, wie es die Industrie anbietet?
Wir haben Updates analysiert. Der VW Amorak hatte zum Beispiel vor dem Softwareupdate einen Ausstoß von 1490 Milligramm NOx pro Kilometer und nach dem Update 1510. Man hat hier die eine Abschaltung der Abgasreinigung durch eine andere ersetzt. Das Auto ist auf der Straße genauso schmutzig geblieben. Natürlich darf so ein Fahrzeug nicht in die Innenstadt fahren trotz Update.
Wie sollen die Verbraucher nun mit der Situation umgehen?
Wir sagen: Kauft keinen Diesel. Auch der ADAC warnt momentan vor dem Kauf.
Zu guter Letzt: Was glauben Sie, wo stehen wir in einem Jahr?
Deutlich weiter, weil die Gerichte entscheiden und wir Fahrverbote in Deutschland haben. Auch werden wir sehen, dass die Nachrüstung funktionieren wird. Und die ersten ausländischen Batteriefahrzeuge der Autoindustrie werden eine klare Botschaft senden - nämlich, dass den Diesel-Autos dasselbe Schicksal droht wie dem einst führenden Mobilfunkhersteller Nokia.
Jürgen Resch ist Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation nimmt in Deutschland eine führende Rolle bei der Aufklärung im Abgasskandal ein und führt zahlreiche Prozesse zur Luftreinhaltung in den Städten.
Das Interview führte Gero Rueter.