Hürden für die Energiewende
27. Dezember 2016"Das funktioniert an sich richtig gut", freut sich Jörg Rudat und zeigt auf einen langen Container aus gewellter Stahlhaut. Der Wind bläst dem Innovationsmanager der Schleswig-Holstein Netz AG kräftig um die Ohren. Hier in der Hamburger Vier- und Marschlande erprobt der zu Eon gehörende Netzbetreiber zusammen mit der aus dem Eon-Konzern abgespalteten Stromerzeugungsgesellschaft Uniper neue Energietechniken. Die wichtigste: eine Anlage, um aus Strom Gas zu produzieren - im Fachjargon "Power-to-Gas" genannt.
In dem Container befindet sich ein Elektrolyseur, ein Gerät, das mit elektrischem Strom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet. Der Wasserstoff kann in einem weiteren Schritt mit Kohlendioxid zu Erdgas reagieren.
Die Vision dahinter: irgendwann grünen Strom dafür zu verwenden, die Gase im großen Stil herzustellen. So würde der Ökostrom speicherbar, was insbesondere in Norddeutschland sinnvoll wäre. Schleswig-Holsteins Netzbetreiber müssen Jahr für Jahr mehr Windkraftleistung abschalten, weil die Netze für den Abtransport nicht ausreichen, berichtet Rudats Kollege Andreas Sünderhauf von der Netzleitstelle Rendsburg.
Nach Auskunft des Energiewendeministeriums in Kiel hätten im Jahr 2015 die Windparks des Landes 15 Prozent mehr Strom erzeugen können, wenn die Netzbetreiber die Anlagen wegen drohender Netzüberlastung nicht hätten abregeln müssen. Den Windmüllern stand dafür ein gesetzlicher Entschädigungsanspruch von rund 300 Millionen Euro zu.
Grüner Wasserstoff für Wärme und Verkehr
Stattdessen könnte Wasserstoff aus regenerativem Strom an anderer Stelle eingesetzt werden, zum Beispiel zum Heizen. "Wir haben in einem Vorhaben in Niebüll-Klanxbüll kurz vor der dänischen Grenze 170 Haushalte mit Wasserstoff versorgt", berichtet Rudat. Das Gas sei als zehnprozentiger Anteil dem Erdgas für die Heizungen des Stadtteils beigegeben worden. Dadurch waren zehn Prozent fossiles Erdgas weniger nötig.
Aber: Auch wenn der Wasserstoff problemlos als Wärmelieferant funktioniert habe - wirtschaftlich gelohnt habe sich das nicht. "Noch ist die Gasproduktion mit regenerativem Strom viel zu teuer", sagt Rudat. Das liege vor allem an den Abgaben aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), mit denen der Strom belegt ist. "Und wenn man aus dem Gas dann wieder Strom machen würde, kämen diese Abgaben noch einmal drauf", sagt er. Der Energiemanager hofft, dass sich das mittelfristig ändert und Power-to-Gas in den kommenden zehn Jahren wirtschaftlich wird.
Zehn Jahre sind aber für die Energiewende ein langer Zeitraum. Früher könnte es mit Wasserstoff als Kraftstoff funktionieren. Darauf setzt zumindest Co-Betreiber Uniper. Gemeinsam mit Mineralölriese BP hat die Firma Anfang Oktober ihre Absicht erklärt, künftig mit regenerativem Strom Wasserstoff als grüne Komponente für Kraftstoffe produzieren zu wollen. Entscheidend dafür: die Anerkennung als Biokraftstoff.
Investitionsruine Power-to-heat
Die wirtschaftlichen Realitäten aber sind ernüchternd. Beispiel Neumünster: Die kommunalen Stadtwerke SWN wollten in diesem Herbst eine Anlage in Betrieb nehmen, die Strom in Wärme umwandelt - "Power-to-heat". Eine Art Riesenelektroboiler mit Tauchsieder sollte zu Zeiten, wo zu viel Strom ins Netz drückt, die Elektrizität dazu nutzen, Wasserdampf für das eigene Fernwärmenetz zu erzeugen.
Noch im Juni wurde die Anlage feierlich von Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Robert Habeck eingeweiht. Doch der Wind hat sich gedreht: "Wir erhielten vor kurzem die Mitteilung, dass die Anlage nicht in Betrieb geht", berichtet Reenhard Gerdes, Bereichsleiter Erzeugung bei der SWN. Eigentümer und Anlagenlieferant Enerstorage habe sich aus wirtschaftlichen Gründen dagegen entschieden. "Grund ist der Verfall der Preise für Regelenergie", erläutert Gerdes. Das ist eine Leistung, die Netzbetreiber dafür zahlen, wenn Verbraucher sehr kurzfristig Strom abnehmen können. Und so droht jetzt eine Investitionsruine von drei Millionen Euro.
Die Stadtwerke, die den Betrieb übernommen sollten, sehen wenige Chancen, dass sich das ändert. Die einzige Hoffnung ist das Forschungsvorhaben der Norddeutschen Energiewende (NEW) 4.0, bei der Hamburg und Schleswig-Holstein zeigen wollen, wie es geht, dass die Region bis 2035 zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgt wird.
Für dieses Schaufenster-Projekt namens Intelligente Energien (SINTEG) gibt es nicht nur Gelder von Bund und den beiden Ländern. Die im Rahmen der im EEG neu geschaffenen Experimentierklausel soll auch den Strom für die NEW 4.0-Vorhaben von den Umlagen befreien - eine Variante, die den Betrieb der Anlage in Neumünster doch noch wirtschaftlich machen könnte - "vielleicht" wie Reenhard Gerdes vorsichtig sagt.
Windstrom zu Stahl
Dabei sind Stromwandelvarianten wie Power-to-Gas und Power-to-Heat Schlüsseltechnologien für die Sektorenkopplung, also um regenerativen Strom in die Bereiche Wärme und Verkehr zu überführen. Für das Gelingen der Energiewende und der Dekarbonisierung der Wirtschaft sind sie aus heutiger Sicht unerlässlich. Das Projekt NEW 4.0, an dem 60 Partner aus Forschung, Industrie und Politik beteiligt sind, verfolgt in den beiden Bundesländern ein halbes Dutzend solcher Vorhaben.
Auch die Industrie im Hafen von Hamburg ist dabei. Stahlerzeuger Arcelor Mittal prüft eine Variante, im Produktionsprozess eine Induktionsspule einzusetzen, die mit überschüssigem Windstrom arbeitet und dadurch Erdgas in einer Größenordnung von 325.000 Euro im Jahr einsparen könnte, wie die verantwortliche Ingenieurin erklärt. Und Kupfererzeuger Aurubis will aus Strom Dampf machen. Auch hier ist es keine Frage der Technik. "Funktionieren würde das", heißt es bei Arcelor Mittal. Doch ökonomisch rechneten sich solche Investitionen derzeit nicht.