Hunderttausende demonstrieren gegen Reformen
3. April 2004Auf Kundgebungen in Berlin, Stuttgart und Köln kritisierten Spitzenvertreter der Gewerkschaften die Reformpolitik der rot-grünen Bundesregierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) scharf. Angegriffen wurden aber auch die Reformpläne von CDU, CSU und FDP sowie der Kandidat der Opposition für das Amt des Bundespräsidenten, Horst Köhler. Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der neben zahlreichen Sozialverbänden und linken Gruppierungen wie Attac zu den Protesten aufgerufen hatte, beteiligten sich fast 500.000 Menschen an den Protesten. Sie forderten sowohl eine Korrektur bereits beschlossener Gesetze als auch Änderungen am generellen Kurs der Reformen.
Sommer: Kein "Schulterschluss" mit Regierung
Vor mehr als 250.000 Demonstranten in Berlin erteilte DGB-Chef Michael Sommer der Reformpolitik der Regierung eine klare Absage. "Auf der Basis der Agenda 2010 gibt es keinen Schulterschluss." Auf scharfe Kritik stießen die Massenproteste bei Opposition und Wirtschaftsexperten. SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter betonte, die "Politik der Erneuerung Deutschlands" müsse fortgesetzt werden.
Sommer wertete die Demonstrationen im Rahmen eines europäischen Aktionstages gegen Sozialabbau als "klares Signal an die Herrschenden in Parteien und Wirtschaft". Es müsse Schluss sein "mit einer Politik, die der Masse der Bevölkerung schadet und die die Reichen immer reicher und die das Kapital und seine Manager immer dreister werden lässt". Wer immer "den Schulterschluss mit den Gewerkschaften und den sozialen Kräften in diesem Land will, der muss wissen, auf dieser Basis wird es keinen Schulterschluss geben", sagte Sommer unter dem Beifall der Demonstranten in der Hauptstadt.
Bsirske: "Beschäftigungsfeindliche" Reformen
Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, kündigte vor mehr als 120.000 Demonstranten in Stuttgart erneut massiven Widerstand gegen Forderungen nach Arbeitsverlängerung im öffentlichen Dienst an. Entsprechende Vorstöße seien "beschäftigungsfeindlich". "Da soll doch niemand glauben, dass wir tatenlos zugucken werden." Bsirske fügte hinzu, der Aktionstag gegen Sozialabbau könne "der Beginn einer wirklichen Volksbewegung werden, einer Volksbewegung aus der Mitte der Gesellschaft heraus, einer Volksbewegung für soziale Gerechtigkeit".
Peters: Agenda 2010 bremse Konjunktur
Auch der IG-Metall-Vorsitzende Jürgen Peters übte auf der Kundgebung in Köln heftige Kritik an der rot-grünen Reformpolitik. Die Agenda 2010 bremse die Konjunktur, verschärfe die soziale Schieflage und spalte die Gesellschaft, warnte Peters vor rund 100.000 Kundgebungsteilnehmern in der Domstadt. An den Protesten beteiligten sich neben Gewerkschaftern auch Mitglieder von Sozialverbänden und kirchlichen Gruppen sowie das globalisierungskritische Netzwerk Attac, das die Demonstrationen als "überwältigenden Erfolg" bezeichnete. Jetzt habe Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) "ein Problem", sagte Attac-Vertreterin Ilona Plattner bei der Kundgebung in Berlin.
Der DGB sprach für alle drei Veranstaltungen zusammen von etwa 470.000 Teilnehmern, die Polizei von annähernd 400.000. Die Proteste waren eingebettet in ähnliche Aktionen in mehreren Städten Europas.
Auch in Frankreich und Italien Proteste
In Frankreiche haben mehrere Tausend Menschen für eine gerechtere Sozial- und Wirtschaftspolitik in Europa und gegen die Reformpläne der französische Regierung demonstriert. In Paris gingen 10.000 bis 15.000 Menschen auf die Straße; in Lyon, Bordeaux, Rennes, Lille und anderen Städten versammelten sich jeweils mehrere tausend.
Bereits an den Vortagen war es zu Kundgebungen verschiedener Berufsgruppen für mehr Arbeit und gegen Sozialabbau gekommen.
In Rom protestierten hunderttausende Rentner gegen die
Preissteigerungen seit der Euro-Einführung vor zwei Jahren. Die großen Gewerkschaftsverbände Italiens hatten ihre Mitglieder aus allen Landesteilen zu der Demonstration aufgerufen. Sie beklagen vor allem den Kaufkraftverlust, den sie durch sprunghaft gestiegene Preise erlitten hätten. Es werde immer schwieriger, mit den staatlichen Renten auszukommen. (ali)