HRW-Bericht: Türkei schiebt Hunderte Syrer ab
24. Oktober 2022Abgeschobene Syrer berichteten Human Rights Watch (HRW), Sicherheitskräfte hätten sie in ihren Wohnungen, an ihren Arbeitsplätzen oder auf der Straße in der Türkei festgenommen. Sie seien oftmals geschlagen und misshandelt und dann gezwungen worden, Formulare für die "freiwillige Rückkehr" nach Syrien zu unterschreiben. Anschließend habe man sie zu Grenzübergängen nach Nordsyrien gefahren und mit vorgehaltener Waffe gezwungen, das türkische Staatsgebiet zu verlassen, erklärte die Menschenrechtsorganisation HRW weiter. Die geschilderten Vorfälle beziehen sich auf den Zeitraum zwischen Februar und Juli 2022.
"Deponie für Flüchtlinge"
"Unter Verletzung des Völkerrechts haben die türkischen Behörden Hunderte von syrischen Flüchtlingen, darunter auch unbegleitete Kinder, zusammengetrieben und zur Rückkehr nach Nordsyrien gezwungen", sagte Nadia Hardman, Expertin für Flüchtlings- und Migrantenrechte bei Human Rights Watch. Obwohl die Türkei 3,6 Millionen syrischen Flüchtlingen vorübergehend Schutz gewährt hat, "sieht es jetzt so aus, als ob Ankaras Regierung versucht, Nordsyrien zu einer Deponie für Flüchtlinge zu machen." HRW wies darauf hin, der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan habe wegen der Beherbergung der Flüchtlinge von der Europäischen Union mehrere Milliarden Euro für humanitäre Hilfe und Migrationsmanagement erhalten. Hardman rief die EU auf, anzuerkennen, dass die Türkei derzeit die Kriterien für ein sicheres Drittland nicht erfülle.
Erdogan hatte im Mai angekündigt, eine Million syrischer Flüchtlinge zurück in "Schutzzonen" ins Nachbarland zu schicken. Man werde ihnen dort Wohnungen errichten und Infrastruktur schaffen. Die Syrer waren nach Ausbruch des Bürgerkriegs in ihrer Heimat 2011 in die Türkei geflohen. Erdogan argumentiert, das syrische Grenzgebiet zur Türkei werde von Gruppen kontrolliert, die von Ankara unterstützt würden. Die Zurückgeschickten seien somit in Sicherheit.
Erdogan sorgt sich um seine Wiederwahl 2023
Der türkische Staatschef sieht sich mit wachsendem öffentlichen Unmut über die Anwesenheit der Flüchtlinge in seiner Heimat konfrontiert. Er befürchtet, das Thema könnte die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr dominieren und damit auch seine Wiederwahl gefährden.
Die Anschuldigungen von Human Rights Watch wies die zuständige Behörde in der Türkei als unbegründet zurück. Das Migrationsmanagement erfolge in Übereinstimmung mit nationalem und internationalem Recht, hieß es aus Ankara.
se/ehl (hrw.org, afp)