"Wir brauchen dringend eine Agrarwende"
22. Januar 2018DW: Herr Weiger, Sie waren Hauptredner auf der Demonstration "Wir haben es Satt", die am Wochenende in Berlin stattgefunden hat. Was läuft aus Ihrer Sicht schief?
Hubert Weiger: Die deutsche und europäische Agrarpolitik ist nicht in der Lage, den zentralen Herausforderungen unserer Zeit Rechnung zu tragen: Arbeitsplätze werden so nicht gesichert, immer mehr Bauernhöfe geben auf. Inzwischen arbeiten nur noch etwas mehr als ein knappes Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft.
Das heißt: Auch die bäuerliche Strukturen sind inzwischen bedroht. Um aber auch ökologische Ziele zu erreichen, sind bäuerliche Strukturen unverzichtbar.
Die Agrarpolitik fördert leider kein nachhaltiges Wirtschaften sondern unterstützt vor allem agrarindustrielle Strukturen. Die Betriebe werden immer größer, sie wirtschaften immer intensiver, um überleben zu können. Das führt dann zu Systemen der nicht artgerechten Tierhaltung und in Deutschland zu einem dramatischen Rückgang von Tier- und Pflanzenarten. Aus diesem Grund brauchen wir dringend eine ökologische und soziale Agrarwende, die der Landwirtschaft wieder eine Perspektive gibt und gesunde Lebensmittel krisensicher und nachhaltig erzeugt.
Welche Rolle spielt die EU?
Die EU hat verbindlich Ziele beschlossen, für saubere Gewässer, sauberes Trinkwasser, saubere Luft und für den Klimaschutz. Auch der Verlust von Tier- und Pflanzenarten soll gestoppt werden. Aber alle diese Ziele werden verfehlt, wenn wir nicht endlich eine nationale und europäische Agrarwende durchführen.
Und welche Rolle spielt Deutschland?
Die deutsche Agrarpolitik setzt seit Jahren auf Wachstum, auf Agrarexporte und möglichst billige Agrarprodukte. In unseren Augen ist das extrem schädlich. Denn für solche billigen Produkte werden zum Beispiel Gesetze zum Schutz des Grundwassers aufgeweicht, europäische Richtlinien werden nicht umgesetzt.
Was sind die Konsequenzen?
Ausbaden und bezahlen müssen das die Bürger: Bezahlt wird dies mit dem Verlust von naturnahen Landschaften, mit der Belastung unserer Lebensgrundlagen und unserer Gesundheit. Das Trinkwasser wird belastet mit Nitrat aus Überdüngung und muss kostspielig aufbereitet werden. Es hat gesundheitliche Folgen, wenn Fleisch Antibiotikarückstände enthält. In der Umgebung von agrarindustriellen Tierhaltungsanlagen leiden zum Beispiel vor allem Kleinkinder und alte Menschen unter Atemwegserkrankungen.
Was sollte verändert werden?
Für diese Entwicklung sind nicht die Bauern in erster Linie verantwortlich. Wir brauchen eine Änderung der Rahmenbedingungen von der Politik, damit wir die festgesetzten Ziele zur Erhaltung unserer Lebensgrundlage tatsächlich erreichen.
Der wichtigste Schritt wäre die klare Bindung der Tierhaltung an die Fläche. Das heißt, dass die Bauern nur so viele Tiere halten können wie sie an eigener Fläche haben und von dieser eigenen Fläche ernähren können. Denn dann werden die tierischen Ausscheidungen wieder wertvoller Dünger und sind kein Abfall.
Was kann die EU tun?
Auf europäischer Ebene müssen wir die Förderung verändern. Öffentliche Gelder sollen auch für öffentliche Leistungen gezahlt werden, für Leistungen an Umwelt und Natur. Dazu zählt dann natürlich auch die Förderung des ökologischen Landbaus.
Wir brauchen ein Gesamtkonzept national wie europäisch, damit wir tatsächlich eine flächendeckende nachhaltige Landwirtschaft bekommen. Wichtig ist aus unserer Sicht auch die Veränderung des Leitbildes: Gebraucht wird ein Leitbild von bäuerlicher Nachhaltigkeit und ein Abschied von der Orientierung am Weltmarkt. Eine Landwirtschaft, die vorrangig die europäische Bevölkerung krisensicher und nachhaltig mit der eigenen Fläche ernährt.
Welche Rolle haben Landwirte beim Klimaschutz?
Die Landwirtschaft ist vom Klimawandel doppelt betroffen. Sie ist Hauptopfer durch Hochwässer, lange Trockenzeiten und Sturmschäden. Die Landwirtschaft ist aber auch Verursacher durch Überdüngung der Böden und den damit verbundenen Emissionen von Treibhausgasen.
Die Landwirtschaft kann aber auch das Klima entlasten und Kohlenstoff binden, in erster Linie durch Bildung von Humus im Boden.
Eventuell gibt es wieder eine Große Koalition aus Union und SPD. Würde sich da etwas ändern?
In den Ergebnissen der Sondierung stehen punktuelle Verbesserungen. Es gibt offensichtlich Schritte zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln und das bedeutet auch eine Ökologisierung der konventionellen Landwirtschaft. Aber es fehlen die klaren Ziele bei der Tierhaltung, zum Beispiel der Ausstieg aus der industriellen Tierhaltung und die Verringerung der Importe von Futtermitteln.
Jetzt gibt es Proteste gegen die aktuelle Agrarpolitik. Stimmt Sie das optimistisch?
Ich habe durchaus Hoffnung: Die Frage der Zukunft der Landwirtschaft ist inzwischen im Zentrum der Gesellschaft angekommen. Die Betroffenheit über den Umgang mit Tieren und die Verschmutzung des Wassers nimmt zu. Vor wenigen Jahren hat dies die Öffentlichkeit nur am Rande interessiert.
Auch haben wir die größten Proteste gegen Glyphosat, die es überhaupt jemals gegeben hat, die größten Unterschriftenaktionen sowohl national wie europäisch. Damit ist die Voraussetzung gegeben, dass die Politik dies als zentrales Thema erkennt und sich zu bewegen beginnt.
Es gibt keine Akzeptanz mehr dafür, dass Milliarden Euro bereitgestellt werden, um angeblich Bauern zu retten. In Wirklichkeit werden die Bauern damit nicht gerettet. Diese Gelder dienen letztendlich nur einer intensiven Landwirtschaft und diese gefährdet unsere Lebensgrundlagen.
Wo stehen wir in fünf Jahren?
Ich glaube, dass wir staatliche Gütesiegel mit hohen Standards haben, um Transparenz zu schaffen. Zudem wird es viel mehr Initiativen zur Unterstützung einer bäuerlichen, ökologischen Entwicklung geben. Ökologischer Landbau wird keine Nische mehr sein. Auch die Lebensmittel-Discounter werden sich verstärkt diesem Thema widmen.
Und der Bauernverband?
Eine junge Generation wächst nach und wird den Bauernverband verändern. Diese Generation erkennt, dass Umweltschützer nicht die Gegner der Bauern sind. Die Blockade des Bauernverbands von heute gegenüber Natur und Umweltschutz wird der Vergangenheit angehören.
Hubert Weiger ist Vorsitzender des Bunds für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Auf der Demonstration "Wir haben es Satt" wirbt er als Hauptredner für eine Agrarwende..
Das Interview führte Gero Rueter