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Ein mutiger Journalist

17. Januar 2012

Vor fünf Jahren wurde der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink in Istanbul erschossen. Er war einer, der den Mut hatte, ein Tabuthema in der Türkei anzusprechen: das Massaker an den Armeniern von 1915.

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Hrant Dink (Foto: AP)
Vor fünf Jahren ermordet: Journalist Hrant DinkBild: AP

"Ich komme aus der Türkei. Ich bin ein Armenier. Ich gehöre ganz und gar zu Anatolien. Ich habe in meinem Leben nicht einmal in Erwägung gezogen, mein Land zu verlassen und die Zukunft im Westen zu gestalten", schrieb einst Hrant Dink in einer seiner Kolumnen. Er war ein armenischer Journalist, der von einer demokratischen, freiheitlichen Türkei träumte, in der alle religiösen und ethnischen Minderheiten gleiche Rechte genießen, in der alle ihre Meinung ohne Angst äußern dürfen. Dieser Traum hat ihn das Leben gekostet.

Dinks toter Körper, bedeckt mit einem Tuch auf der Straße (Foto: AP)
Im Januar 2007 wurde Dink mitten auf einer Straße in Istanbul ermordetBild: AP

Vor fünf Jahren, am 19. Januar 2007, lag Hrant Dinks toter Körper auf einer Straße in Istanbul, genau vor dem Gebäude seiner Zeitung AGOS. Nun ist am Dienstag (17.01.2012) ein Urteil im Strafprozess gegen weitere mutmaßliche Beteiligte an dem Mord gesprochen worden. Ein türkisches Gericht hat den Rechtsnationalisten Yasin Hayal zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Allerdings wurde er vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung freigesprochen. Der zweite Beschuldigte Erhan Tuncel wurde vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord an Dink freigesprochen.

Damals, 2007, als man Dink auf offener Straße erschoss, stand das ganze Land unter Schock. Mit gemischten Gefühlen fragte man sich: "Warum? Wer? Wofür?" Doch so ganz aus heiterem Himmel kam das Attentat nicht - in den letzten Monaten vor seinem Tod hatte Hrant Dink mehrere Morddrohungen erhalten.

Vorwurf der Beleidigung des Türkentums

Schon 2005 lief gegen Dink ein Gerichtsverfahren wegen Äußerungen in seinen Artikeln. Ihm wurde vorgeworfen, das Türkentum beleidigt zu haben. Damals wurde er zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

2006 kamen andere Beschuldigungen und weitere Gerichtsverfahren hinzu. In seinem letzten Artikel, der genau an seinem Todestag veröffentlicht wurde, schrieb er: "Wahrscheinlich wird 2007 für mich ein schwieriges Jahr werden. Ich fühle mich wie eine Taube, vorsichtig, fast überwach und furchtsam, aber ich weiß, dass man in diesem Land den Tauben nichts antut."

Forderung nach der Auseinandersetzung mit der Geschichte

Dinks Frau Rakel (M.) und ihre Töchter Baydar (l.) und Sera (r.) lassen bei der Trauerfeier weiße Tauben fliegen (Foto: AP)
Dinks Frau Rakel (M.) mit den beiden Töchtern Baydar (l.) und Sera (r.) bei der TrauerfeierBild: AP

Seine Meinungsäußerungen waren den rechtsnationalistischen Kräften ein Dorn im Auge. Dink war ein Armenier, der die Meinung vertrat, dass man in der Türkei offener über die Geschehnisse von 1915 reden müsse und dass die Türkei sich mit ihrer eigenen Geschichte, also auch mit der Geschichte des armenischen Volkes in Anatolien, auseinandersetzen solle.

Er schrieb: "Ich weiß, was meinen Vorfahren widerfahren ist. Einige mögen es Massaker nennen, einige Völkermord, einige Vertreibung, einige Katastrophe… Meine Vorfahren haben es nach anatolischer Art und Weise 'Schlächterei' genannt. Ich aber nenne es Verwüstung. Und ich weiß ganz genau: wenn solche Geschehnisse nicht passiert wären, wäre mein Land heute viel lebenswerter, bewundernswerter."

"Wir sind alle Armenier, wir sind alle Hrant Dink"

Marschierende halten bei einem Trauerzug für Hrant Dink Plakate mit der Aufschrift 'Wir sind alle Armenier' hoch (Foto: AP)
Mehr als 100.000 Menschen marschierten bei der Beerdigungsprozession für DinkBild: AP

Die türkische Öffentlichkeit reagierte bestürzt auf den Tod von Dink. Auf der Trauerfeier versammelten sich über 100.000 Menschen. Alle hielten schwarze Schilder in der Hand, auf denen stand: "Wir sind alle Armenier, wir sind alle Hrant Dink." Auf der Trauerfeier herrschte Totenstille.

Der Täter wurde schnell gefasst. Ein 17-Jähriger aus Trabzon, einer Stadt im Norden der Türkei. Im Gerichtsprozess begründete er seine Tat mit Hass. "Ich habe im Internet seine Artikel gelesen, seine Äußerungen haben mich gestört, also habe ich mich entschlossen ihn zu töten", sagte Ögun Samast. Es sei seine Entscheidung gewesen, er hätte alles allein geplant, niemand habe hinter ihm gestanden. Später änderte Samast seine Aussage und gestand, dass er von Yasin Hayal, einem Rechtsextremisten in Trabzon, zu der Tat angestiftet worden war.

2010 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg den türkischen Staat für den Mord an Hrant Dink mitverantwortlich gemacht. Der Staat habe dem Opfer nicht genug Schutz gewährleistet, so das europäische Gericht.

Im vergangenen Jahr wurde der Täter, Ogün Samast, zu 22 Jahren Haft verurteilt. Da das Urteil aber nach dem Jungendstrafrecht gesprochen wurde, muss er wahrscheinlich nur zwei Drittel davon tatsächlich im Gefängnis verbüßen.

Kritik am Prozess

Rober Koptaş, der heutige Chefredakteur von AGOS, ist enttäuscht vom Verlauf des Prozesses. "Die türkische Öffentlichkeit und wir alle wissen, dass einige Staatsbeamte vor und nach dem Mord wichtige Rollen bei all dem übernommen hatten. Es gab Sicherheitsbeamte - in der Polizei und beim Militär -, die entweder bei der Planung des Mordes aktiv mitgewirkt haben oder von den Mordplänen wussten, aber nichts unternommen haben", behauptet Koptaş. Außerdem, so Koptas, "haben später Bürokraten und Juristen versucht, die Wahrheit zu vertuschen. Leider wurden alle unsere Interviewanfragen an diese Leute abgewiesen. Deshalb glauben wir nicht an ein faires Urteil. Es war kein Prozess, der auf der Suche nach Gerechtigkeit basierte."

Eine Frau hält ein Foto von Dink hoch (Foto: AP)
"Hrant Dinks Freunde" wollen weiter kämpfen, um die "wahren" Mörder zu findenBild: AP

Nach dem Tod von Hrant Dink formierte sich in der Türkei eine Gruppe, die sich "Hrant Dinks Freunde" nennt. Die Mitglieder dieser Gruppe standen bei jedem Prozess vor dem Gerichtsgebäude, mit Transparenten in der Hand, auf denen stand: "Für Hrant Dink, für die Gerechtigkeit". Sie sind davon überzeugt, dass die wichtigsten Drahtzieher immer noch unerkannt geblieben sind. Einer der "Hrant Dinks Freunde" ist der Journalist Aydın Engin. Er betont: "Selbst, wenn es 95 Jahre dauern würde, werden wir nicht aufgeben, nach den wahren Mördern zu suchen."

Rober Koptaş meint, in der türkischen Gesellschaft bestehe mittlerweile ein demokratisches Bewusstsein. Allerdings habe sich die Staatsmentalität in keiner Weise verändert. Immer noch herrschten in der Türkei Verhältnisse, die vor fünf Jahren zum Mord von Hrant Dink geführt hätten, meint Koptaş.

Autorin: Başak Özay
Redaktion: Marina Martinović / Julia Elvers-Guyot