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Politik

"Was ist das für eine Type!?"

16. Oktober 2018

Er ist Merkels umstrittenster Minister und Chef der Bayern-Partei CSU, die bei der Landtagswahl gerade ihre absolute Mehrheit verloren hat. Trotzdem inszeniert sich Horst Seehofer als einer, der kaum Zweifel kennt.

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Deutschland PK Innenminister Horst Seehofer
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Am Sonntag passierte das, was sich in Meinungsumfragen seit Monaten angedeutet hatte: Die seit Jahrzehnten in Bayern regierende Christlich-Soziale Union (CSU) kassierte mit 37,2 Prozent ihr zweitschlechtestes Wahlergebnis seit 1946. Das ist zwar eines, das bei jeder anderen Partei überall in Deutschland Jubelstürme ausgelöst hätte - nicht aber bei der CSU, die im Süden der Republik seit 1957 ununterbrochen den Ministerpräsidenten stellt.

Und was tut CSU-Chef Horst Seehofer? Er präsentiert sich zwei Tage nach dem Debakel am Dienstag den Hauptstadt-Journalisten in Berlin, als wäre kaum etwas passiert: "Wir haben in Bayern fraglos in fast allen Bereichen eine bessere Bilanz und gleichzeitig ein schlechtes Wahlergebnis." Mit diesem Satz beginnt Seehofer, der im Hauptberuf deutscher Innenminister ist, seine ausführliche Analyse. Am Ende wird seine Pressekonferenz so lange gedauert haben wie ein Fußballspiel: 90 Minuten.

Seehofers richtige Analyse zum falschen Zeitpunkt

Mit "bessere Bilanz" meint der Wahlverlierer vom Sonntag objektive Daten: Bayern ist das wirtschaftlich erfolgreichste von 16 Bundesländern. Die Arbeitslosenquote ist mit aktuell 2,8 Prozent halb so hoch wie im deutschen Durchschnitt. Schulen und Universitäten stehen in nationalen Ranglisten regelmäßig an der Spitze. Bayern ist das beliebteste Urlaubsziel. Seehofer muss diese und andere Fakten gar nicht aufzählen, weil jeder im Saal sie kennt.

Ingografik Landtagswahl Bayern 2018 Finale Zahlen DE

Der Mann hat schlicht recht. Und doch wirkt sein einleitender Satz in diesem Moment merkwürdig deplatziert. Er klingt nach Eigenlob - berechtigt zwar, aber es geht um mehr: "CSU - Auswirkungen der Landtagswahlen in Bayern auf die Bundespolitik". So lautete die kurzfristig versandte Einladung der Bundespressekonferenz (BPK), der Seehofer gefolgt ist. Er hätte nicht kommen müssen oder selbst einladen können ins wenige hundert Meter entfernte Innenministerium. Dort wäre er Gastgeber gewesen. Hier, beim Verein der Hauptstadtjournalisten, ist er Gast.

"Ich fühle mich pudelwohl"

Seehofers Rivalin Angela Merkel, mit der er sich permanent über die Flüchtlingspolitik streitet, lässt sich hier nur einmal im Jahr blicken - zu ihrer sogenannten Sommer-Pressekonferenz. Der Innenminister hingegen schaut ständig vorbei, weil er als Ressortchef für alles mögliche in Deutschland zuständig ist: Sicherheit, Bauen, Heimat, Sport. Und jedes Mal versucht er dabei, den Eindruck zu erwecken, dass ihm diese Arbeit mordsmäßig viel Spaß macht.

Es ist gerade einmal fünf Tage her, dass Seehofer im selben Saal sagte: "Ich fühle mich pudelwohl." So konterte er, süffisant lächelnd, die Frage einer Journalistin. Die wollte wissen, ob er glaube, auch noch im nächsten Jahr den Lagebericht des Bundesinstituts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vorzustellen. Das war drei Tage vor der Bayern-Wahl. Seehofer sagte der Fragestellerin dann noch: "Was das Leben noch bringt, wissen wir beide nicht."

Deutschland Berlin | Lagebericht Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik | Horst Seehofer & Arne Schönbohm
"Ich fühle mich pudelwohl" - Horst Seehofer (li.) am 11. Oktober mit BSI-Präsident Arne SchönbohmBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Gelassenheit, die auch Überheblichkeit sein könnte

An diese womöglich nur zur Schau getragene Gelassenheit - manche halten sie für Überheblichkeit - haben sich die meisten Medienleute schon gewöhnt. "Ich finde es schade, denn jetzt geht eine Ära zu Ende", sagte ein Kollege am Dienstag kurz vor Beginn des Seehofer-Auftritts. Er ist nicht der Einzige, der mit einem baldigen Ende der politischen Karriere des seit 2008 amtierenden CSU-Chefs rechnet.

Dass es so weit kommen könnte, lässt der 69-Jährige immerhin indirekt durchblicken, als er von einer fünfstündigen Wahl-Analyse seiner Partei am Montag berichtet. Dabei habe man sich darauf verständigt, bis spätestens Anfang Dezember programmatische und strategische Fragen zu klären - und personelle, "über die zu diskutieren ich durchaus bereit bin". Das könnte theoretisch bedeuten, dass Seehofer den Verzicht auf eines seiner beiden Ämter oder sogar beide für möglich hält. Gesagt hat er das jedoch nicht.

"Wir wollen die große Koalition"

Es darf also weiter gerätselt werden, welches Spiel er als deutscher Innenminister in Berlin einerseits und CSU-Vorsitzender in München andererseits treibt. Es fallen Sätze wie: "Wir wollen Stabilität für Bayern." Und: "Wir wollen die große Koalition." Womit er die auf Bundesebene meint. So redet einer, der sich selbst als Team-Player sieht und nicht verstehen kann, warum so viele an seiner Team-Fähigkeit zweifeln.

Deutschland Unterzeichnung Koalitionsvertrag
"Wir wollen die große Koalition" - Angela Merkel (M.), Horst Seehofer (r.) und Arbeitsminister Olaf Scholz (l.) im März 2018 Bild: picture-alliance/dpa/AA/E. Basay

Dabei nährt er die Zweifel daran immer wieder selbst. Im Sommer, als er im Streit mit der Bundeskanzlerin über die Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze die erste Regierungskrise auslöste. Und im September, als er sich demonstrativ hinter den umstrittenen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) stellte. Das tut er auch am Dienstag, ohne ausdrücklich auf diesen inzwischen beigelegten Streit mit den Sozialdemokraten angesprochen worden zu sein.

"Ich bin ein potentieller Terror-Mensch"

Es macht Seehofer sichtbar Spaß, sich als standhaften, prinzipientreuen, authentischen Politiker zu inszenieren. Das in einigen Medien von ihm gezeichnete Bild hält er für falsch. Immerhin räumt er ein, in Stil-Fragen noch Luft nach oben zu haben. Aber ansonsten macht er sich lieber lustig über das, was so über ihn geschrieben wird. "Zu meiner Überraschung war ich dann der Gefährder der Bundesrepublik Deutschland", sagt er über eine im September erschienene Titel-Geschichte im Magazin "Spiegel".

Infografik Schuld am Zustand der Regierung DE
Über dieses Umfrage-Ergebnis wird sich Horst Seehofer sicherlich weniger ärgern als Angela Merkel...

Darin wird Seehofer als größter Störfaktor der Bundesregierung charakterisiert. Anlass dazu hat er oft genug gegeben. "Ich bin ein potentieller Terror-Mensch", schlussfolgert Seehofer - und lächelt dabei spöttisch. Jeden Sachverhalt in dem "Spiegel"-Artikel könne er "zerpflücken", aber er stehe halt da. "Und dann sagen die Leute: Ja, was ist das für eine Type!" Krank sei er und hinterhältig. Und seine persönlichen Probleme therapiere er, "indem er den Streit in Berlin anfacht".

"Tolle Unterhaltungslektüre"

Journalistisch sei der Artikel eine "tolle Unterhaltungslektüre", sagt Seehofer, aber er stimme eben nicht. "Auch das muss man hinnehmen, verkraften. Punkt." Seehofer schaut sich suchend im Saal um, weil er die Autoren des Textes unter den rund 150 Anwesenden vermutet. Dann legt er die Hände übereinander, lehnt sich entspannt zurück und wartet auf die nächste Frage. Ein paar Minuten später ist die Pressekonferenz zu Ende. Vielleicht war es seine letzte vor der Hauptstadt-Presse. Seehofer selbst wird sie - so oder so - wohl in guter Erinnerung behalten.