Land in Aufruhr, Präsident in Nöten
24. Juni 2019Mit zwei Dekreten zur Bildungs- und Gesundheitspolitik begann es im April. Seither ist Honduras nicht zur Ruhe gekommen, und die Protestlawine treibt Präsident Juan Orlando Hernández immer mehr in die Enge. Die Aussichten auf eine Stabilisierung des mittelamerikanischen Landes sind laut Analysten schlecht. "Wir sehen kein Licht am Ende des Tunnels", schreibt der Kolumnist Juan Ramón Martínez in "La Tribuna". Seit Wochen laufen Lehrer und Ärzte Sturm gegen die Reformpläne der Regierung, die rigide Kürzungen in gleich mehreren Bereichen vorsehen. Sorge bereitet dem Schriftsteller und Christdemokraten Martínez vor allem die wachsende Unzufriedenheit in der Polizei. Gerardo Martínez vom Verein Freiheit und Demokratie sieht ein weiteres Problem in Hernández' selbstherrlichem, autoritärem Regierungsstil. Rücksichtslos boxe er seine Vorhaben durch – nicht immer im Einklang mit Legalität und Demokratie. Dieser Kritik schloss sich kürzlich die Bischofskonferenz an: "Wenn jeder Konflikt so ineffizient gemanagt wird, können die Folgen Honduras in eine nur schwer überwindbare Krise stürzen", warnten die Würdenträger Anfang Juni in einem ungewöhnlich scharf formulierten Kommuniqué.
Harte soziale Einschnitte
Auslöser für die Proteste waren zwei Ermächtigungsdekrete für die Minister für Bildung und Gesundheit. Beiden wurde freie Hand zur "Restrukturierung" ihrer Sektoren gegeben – was die öffentlichen Angestellten als Freibrief für brutale Einschnitte, politisch motivierte Entlassungen und Privatisierungen sahen. Ihren Protesten schlossen sich Bauern, Taxi- und LKW-Fahrer mit jeweils eigenen Forderungen an, und vor einigen Tagen auch Teile der Polizei. Die Beamten forderten Uniformen, Benzingeld und Urlaubstage - alles Dinge, die ihnen eigentlich ohnehin zustehen. Bilder von Straßenschlachten, Barrikaden, vermummten, rebellierenden Polizisten, sogar von Brandsätzen vor der US-Botschaft verbreiteten sich schnell. Hernández nahm die Dekrete zurück und bot den Streikenden einen Dialog an. Dennoch wurden die Forderungen nach seinem Rücktritt immer lauter – Gegenwind kommt dabei auch aus der eigenen Partei, etwa von seinem Vorgänger im Präsidentenamt, Porfirio Lobo.
Der Hintergrund für die Krise liegt aber viel weiter zurück. Hernández Gegenspieler ist der populäre Linkspolitiker Manuel Zelaya, der 2009 von Unternehmern, dem Militär und Politikern der Nationalen Partei aus dem Präsidentenamt geputscht wurde und seither auf Rache sinnt. Konservative Kreise sehen in Zelaya einen Kommunisten und setzen alles daran, ihn an einer Rückkehr zu hindern – "das ist ein Zwiespalt, in dem das Land seither feststeckt wie im Sumpf", sagt Martínez. Dass für dieses Ziel auch Gesetze und die Verfassung zurecht gebogen werden, macht die Lage nicht stabiler. 2017 ließ sich Hernández wiederwählen. Rund um die Wahl und die Stimmenauszählung gab es Beobachtern zufolge Unregelmäßigkeiten. So ließ Hernández das in der Verfassung verankerte Wiederwahlverbot kurz vor dem Urnengang aufheben, um für eine weitere Amtszeit kandidieren zu können - dabei sollen auch Stimmen im Kongress gekauft worden sein.
USA unterstützt die honduranische Regierung
Die einzige Stütze für Hernández sieht Kolumnist Martínez darin, dass sich sowohl das Militär als auch die einflussreiche US-Regierung hinter den Staatschef stellten. Am Freitag begrüßte Hernández auf der US-Luftwaffenbasis Palmerola vor den Toren der Hauptstadt Tegucigalpa demonstrativ US-Marinesoldaten, die ihm bei der Bekämpfung von Jugend- und Drogenbanden helfen sollen. Und umringt von seinem Sicherheits-und Verteidigungsstab kündigte Hernández die Mobilisierung von Sicherheitskräften im ganzen Land an, um Vandalismus zu stoppen und Straßenblockaden zu räumen.
"Solange die USA und das Militär hinter ihm stehen, ist ein Wandel nicht in Sicht", glaubt der Journalist Noe Leyva. Für die USA ist er ein treuer Verbündeter, obwohl sein eigener Bruder in den USA wegen Drogenhandels angeklagt ist. Hernández lässt dem US-Militär und der Anti-Drogenbehörde freie Hand im Land. Auch dem harten Vorgehen der USA gegen Migranten – viele davon aus Honduras – setzt er nichts entgegen. In den Augen der US-Regierung ist Hernández nicht nur ein verlässlicher, sondern auch ein erfolgreicher Politiker, der einen wirtschaftsfreundlichen, neoliberalen Kurs fährt. Unter ihm ist die Wirtschaft pro Jahr um durchschnittlich 3,5 Prozent gewachsen, er senkte das Haushaltsdefizit von 7,9 auf 1,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Dank hoher Investitionen in die Sicherheit konnte die Mordrate in den vergangenen sechs Jahren beinahe halbiert werden; von 87 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2011 auf 44 im Jahr 2017.
Doch bei der Bevölkerung kommt vom wirtschaftlichen Aufschwung des Landes kaum etwas an. Mehr als die Hälfte der Honduraner hat keine feste Stelle, rund 60 Prozent der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Straßenhändler klagten gegenüber der DW über hohe Preise für Strom und Logistik sowie über Schutzgelder, die Jugendbanden von ihnen erpressten. Korruption und Straffreiheit sind weit verbreitet und untergraben die Institutionen. Das Geopolitische Strategie-Forschungszentrum CELAG spricht von einem Modell des "verarmenden Wachstums". Und auch die honduranische Bischofskonferenz sieht das Land am Scheideweg. "Eine zurechtgebogene Verfassung, keineswegs unabhängige Institutionen, ein Kongress wie eine Schmierentheater und Politiker, die dem Volk den Rücken kehren. Es reicht", hieß es in deren ungewöhnlich explizitem Bischofsbrief.