Holocaust-Überlebende Hanni Lévy ist gestorben
23. Oktober 2019Es ist erst ein paar Monate her, dass Hanni Lévy eine Art Denkmal gesetzt wurde. Der Film "Die Unsichtbaren - Wir wollen leben" wurde in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland ausgestrahlt. Lévy, auf deren Geschichte der Film zum Teil beruht, wurde noch einmal eine große Aufmerksamkeit zuteil. Sie war eine der "Unsichtbaren", knapp 2000 Juden, die sich bis zum Kriegsende 1945 mit Hilfe der sogenannten stillen Helden in Berlin vor den Nazis versteckten. "Ich habe überlebt. Das habe ich ganz besonderen Menschen zu verdanken, die mir geholfen haben", sagte sie anlässlich der Ausstrahlung.
Sie kam am 16. März 1924 als Hanni Weißenberg in Berlin zur Welt, ihr Vater war Fotograf, die Mutter Hausfrau. Religion galt zu Hause als Privatsache. Als Jüdin musste sie die Volksschule verlassen, im Alter von 16 Jahren stellte sie als Zwangsarbeiterin Kunstseide für die Fallschirme der Wehrmacht her.
Als sie mit einer Verletzung im Februar 1943 nicht arbeiten konnte und zu Hause blieb, klopfte es an der Tür. Zu ihrem Glück beschloss sie, nicht zu öffnen. Denn vor der Tür stand die Geheime Staatspolizei der Nationalsozialisten, die Gestapo. Hanni entkam so ihrer Deportation, floh zu Bekannten und ließ sich die braunen Haare blond bleichen. Sie tauchte unter, gerade 19 Jahre alt. Wenige Monate später erklärte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels Berlin als "judenfrei".
Stille Helden
Hanni Lévy betonte häufig, dass nicht alle Deutschen sich an der Judenverfolgung beteiligt hatten - obwohl ihre Wut nur nachvollziehbar gewesen wäre: Ihr Vater Felix war 1940 als Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft an Entkräftung gestorben, zwei Jahre später starb ihre Mutter Alice mangels ärztlicher Hilfe, und ihre Tante war ins KZ Theresienstadt deportiert worden. Doch sie erlebte während des Nationalsozialismus in Deutschland auch die Herzlichkeit von Menschen, die ihr eigenes Leben riskierten, um ihres zu schützen: Sie kam bei der Familie Most unter, später beim Ehepaar Kolzer, das mit ihr die Lebensmittelmarken teilte.
Nach der Befreiung Berlins durch die Rote Armee holte ein Onkel sie zu sich nach Paris. Dort lernte sie ihren späteren Mann kennen, mit dem sie einen Sohn und eine Tochter bekam und im 9. Arrondissement lebte. Mit ihren Rettern hielt Hanni Lévy Kontakt, sie setzte sich dafür ein, dass ihre stille Helden einen Ehrenplatz erhielten: Viktoria Kolzer sowie Grete und Elfriede Most wurden in Yad Vashem unter die "Gerechten der Völker" aufgenommen.
Klarer Blick für die Gefahren der Gegenwart
Hanni Lévy berichtete nicht nur über die Schrecken der Vergangenheit, sondern hatte auch einen klaren Blick für die Gegenwart mit ihrem aufflammenden Antisemitismus, Fremdenhass und aufkeimenden Nationalismus. Im Januar 2018 trat sie auf einem Parteitag der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" in Hannover auf. Sie sprach dort von der schnelllebigen Zeit, in der selten Raum sei für Erinnerung, doch: "Man sollte nie vergessen, wie schwer es für Menschen ist, alles zurückzulassen, um zu überleben."
Sie sah die Gespenster der NS-Zeit wiederkehren, eine "böse Wolke", wie sie es nannte: "Es gibt wieder Menschen, die den anderen die Schuld geben", sagte Hanni Lévy. "Früher hat man gesagt: Die Juden sind schuld. Heute sind es die Flüchtlinge. Dabei darf man nicht vergessen, dass das Menschen sind." Ihre Hoffnung ruhte auf der jungen Generation, die für ein friedliches und vereintes Europa eintreten sollte.
In der Nacht zu Mittwoch ist Hanni Lévy im Alter von 95 Jahren gestorben. In einer Zeit, in der"Jude" in Deutschland wieder als Schimpfwort verwendet wird und der Anschlag auf eine Synagoge in Halle an der Saale nur durch Zufall misslingt, verliert die Nachwelt die letzte Zeitzeugin der "Unsichtbaren".