Hohes Unfallrisiko in Entwicklungsländern
1. Januar 2014Wenn sie ein Flugzeug betreten, überkommt viele Menschen ein beklemmendes Gefühl: Werden Start und Landung reibungslos ablaufen? Werden sie sicher am Zielort ankommen? Steigen diese Menschen aber nach der Landung in ein Auto oder einen Bus, um vom Flughafen aus weiterzufahren, ist ihre Angst meist verflogen. Und das, obwohl auf der Straße die reale Gefahr eines tödlichen Unfalls deutlich höher ist als in der Luft.
Wie hoch die Gefahr genau ist, hängt wesentlich davon ab, in welchem Land der Passagier gerade gelandet ist - denn die weltweiten Unterschiede in der Verkehrssicherheit sind enorm.
In Deutschland ist die Zahl der Verkehrstoten im Jahr 2013 auf einen neuen Tiefstand gesunken - um etwa zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Konkret heißt das: Am Jahresende werden voraussichtlich weniger als 3300 Menschen im Straßenverkehr gestorben sein. Das prognostizieren die Experten des Statistischen Bundesamts anhand von Daten, die sie von Januar bis September dieses Jahres erhoben haben.
Trend und Gegentrend
Diese Entwicklung entspricht einem Trend, der schon seit über zehn Jahren anhält und den neben Deutschland auch die meisten anderen Industrienationen verzeichnen. Andernorts gibt es eine gegenläufige Entwicklung: "Während die Zahl der Unfalltoten im Straßenverkehr in etwa der Hälfte aller Länder weltweit rückläufig ist, steigt sie in der anderen Hälfte an", erklärt Etienne Krug, zuständiger Direktor bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf und meint damit Entwicklungsländer.
Die Gründe dafür sind vielfältig, oft aber sehr ähnlich. Während in den hochentwickelten Staaten viel Geld in die Sicherheit der Straßen investiert werde, die Verkehrsteilnehmer gut über Unfallrisiken aufgeklärt seien und es viele neue Autos mit verbesserten Sicherheitseigenschaften gebe, sei die Lage in den ärmeren Weltgegenden komplett anders.
"Den größten Anstieg an Verkehrstoten gibt es in Ländern, die sich wirtschaftlich schnell entwickeln", so Krug. Damit einher gehe der Bau neuer Straßen und der Import von mehr Autos. Immer mehr Menschen besitzen zum ersten Mal einen eigenen Wagen. Leider werde oft nicht parallel dazu die notwendige Sicherheitsinfrastruktur ausgebaut.
Ohne Gurt in Trinidad
Angela Francke, Verkehrswissenschaftlerin von der Technischen Universität Dresden, konnte diese Entwicklung beispielhaft in Trinidad und Tobago beobachten. Bei einem Forschungsaufenthalt in dem kleinen Inselstaat vor der Küste Südamerikas traf sie auf Zustände, die der Deutschen Angst bereiteten.
"Es ist nicht üblich dort, sich anzugurten", berichtet sie im DW-Gespräch. Obwohl es seit kurzer Zeit zumindest für Fahrer und Beifahrer eine Gurtpflicht gibt, hält sich kaum jemand daran. Ähnlich, so erzählt sie, sei es mit Geschwindigkeitsübertretungen oder Alkoholkonsum. Geschwindigkeit würde überhaupt nicht kontrolliert und bei alkoholisierten Fahrern würde die Polizei meist ein Auge zudrücken.
Die Folgen davon schlagen sich in den Statistiken nieder. "In Trinidad und Tobago sind ungefähr zehn Mal so viele Verkehrstote zu beklagen wie in Deutschland, wenn man die Anzahl der zugelassenen Fahrzeuge als Vergleichsmaßstab nimmt", so Francke.
Verkehrsplanung zu Lasten der Armen
Ihr Kollege Thilo Becker machte bei Studien in Kenia ganz ähnliche Erfahrungen. Jedoch liegt das ostafrikanische Land in seiner Entwicklung noch weit hinter Trinidad und Tobago. Eine Folge: Ein Großteil der Verkehrsopfer saß gar nicht im Auto, sondern wurde als Fußgänger oder Radfahrer von Kraftfahrzeugen erfasst.
"Das sind in erster Linie die Armen, die so wenig Geld haben, dass sie 80 Prozent ihrer Wege zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen müssen", erklärt Becker. Auch habe es die Regierung bei Straßenbauprojekten versäumt, Überquerungen für Fußgänger oder sichere Wege für Radfahrer einzuplanen.
Fuß vom Gas
In Deutschland hat man diese Stufen der Verkehrsentwicklung lange hinter sich. Doch trotz des positiven Trends hierzulande sehen beide Wissenschaftler noch deutliches Verbesserungspotential: "Es gibt die Empfehlung des wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Verkehrswacht, Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit in Städten zu machen." Darin, so Angela Francke, liege großes Potential. Bislang sind in deutschen Innenstädten meist 50 Stundenkilometer erlaubt.
Gleiches gelte für eine Höchstgeschwindigkeit von 120 Stundenkilometern auf den Autobahnen, wo es gar kein generelles Tempolimit gibt. Das, so glaubt die Forscherin, sei in Deutschland gegen die starke Autolobby nur ganz schwer durchzusetzen.