Der Nationalismus - eine feste Größe in Politik und Gesellschaft
3. Dezember 2011Fußballhooligans verprügeln Roma-Jugendliche nach einem Spiel. Ein afghanischer Flüchtling wird zusammengeschlagen, nur weil er dunkelhäutiger aussieht. Nach einer Protestkundgebung der rechtsextremen Partei "Ataka" gegen die Lautsprecher einer Moschee kommt es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Anhängern der Partei und gläubigen Moslems. Anhänger einer anderen rechtsextremen Partei und Fußballhooligans greifen ein Gebetshaus der "Zeugen Jehovas" an und prügeln auf die Besucher ein.
Das sind nur einige Vorfälle, die sich im letzten Jahr in Bulgarien ereignet haben. Eine besorgniserregende Eskalation der Gewalt gegen ethnische und religiöse Minderheiten, stellte die bulgarische Sektion des Helsinki-Komitees für Menschenrechte vor kurzem fest.
Kein neues Phänomen
Der rassistische und ausländerfeindliche Nationalismus ist allerdings kein neues Phänomen für Bulgarien. Aufgeblüht ist er kurz nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes Ende 1989, sagt Krassimir Kanev, Präsident des Helsinki-Komitees. Schon seit Anfang der 90er Jahren existieren rechtsextreme Jugendgruppen wie die Skinheads, die für viele rassistisch motivierte Gewalttaten die Verantwortung tragen. "Doch der Staat hat auf diese Art von Gewalt bisher nicht adäquat reagiert. Diesbezüglich gibt es sogar ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Bulgarien", so Kanev. Bulgarien wurde 2007 verurteilt, weil die Behörden im Mordfall an einem Roma die Vermittlungen verschleppt und die rassistischen Motive nicht berücksichtigt haben. Dass rassistisch motivierte Gewalttaten von den Behörden oft als "Rowdytum" oder gar als "normale" Körperverletzungen behandelt werden, wird auch von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (EKRI) moniert.
Feste politische Größe
Auch in der Politik ist der Nationalismus seit der demokratischen Wende eine feste Größe, sagt Krassimir Kanev: "Als 1991 die verfassungsgebende Versammlung tagte, protestierten vor dem Gebäude Anhänger der rechtsextremen 'Bulgarischen National-Radikalen Partei' mit Parolen gegen die parlamentarische Vertretung der türkischen Minderheit in Bulgarien." Diese rassistische Partei konnte sich nie richtig etablieren, aber nur deswegen, weil die großen politischen Parteien das nationalistische Thema schon bedienten, meint Kanev.
Druck von der EU
Erst als die Annäherung an die EU ihren Lauf genommen habe, hätten die großen Parteien ihre Reihen von nationalistischen Elementen 'gesäubert', meint Kanev. Die bulgarischen Sozialisten und die Konservativen wollten ja in den jeweiligen europäischen Parteienverbund aufgenommen werden. Auf Druck von außen haben sie den Wandel vollzogen. "Somit wurden aber den nationalistischen Bewegungen neue Freiräume zur Verfügung gestellt. 2005 entstand die rechtsextreme Partei 'Ataka', die noch radikaler ist als die Freiheitliche Partei Österreichs unter dem verstorbenen Jörg Haider", betont der Soziologe.
Auf Wahlkampfveranstaltungen machte der Parteivorsitzende Volen Siderov mobil mit Parolen wie: "Verurteilte Zigeuner in Arbeitslager!" und "Bulgarien an die Bulgaren". Zwei Monate nach ihrer Gründung schaffte es 'Ataka' als viertstärkste Kraft ins Parlament. Seitdem hat sie immer wieder mit hetzerischen Parolen gegen ethnische, religiöse und sexuelle Minderheiten und mit verschiedenen Aktionen für Provokationen gesorgt. Sogar in Brüssel wagte es ein EU-Abgeordneter von Ataka, eine ungarische Roma-Kollegin mit Beleidigungen anzugreifen. 'Ataka' wurde im letzten EKRI-Bericht über Bulgarien ausdrücklich kritisiert. Die Kommission rief den Staat auf, darauf entsprechend zu reagieren.
Noch keine Gefahr für den Staat
Die etablierten liberalen und demokratischen Parteien sind aber zu schwach, um dagegen zu halten, meint Daniel Smilov, Politologe und Analytiker der Nichtregierungsorganisation 'Zentrum für liberale Strategien'. "Im Moment ist die ganze politische Klasse gegen die nationalistischen Ideen nicht resistent." Dennoch würde heutzutage keine ernsthafte Gefahr von den nationalistischen Parteien ausgehen. Man darf sich allerdings nicht in falscher Sicherheit wiegen, warnt Smilov: "Nur weil wir in der EU sind und eine gewisse Stabilität erreicht haben, glauben viele, das System sei stark genug, um gewisse Abweichungen auszuhalten."
Auch seitens der Zivilgesellschaft ist zurzeit wenig Widerstand zu erwarten, sie sei noch zu schwach, meinen Experten. Immerhin finden seit einigen Jahren Kundgebungen gegen rechte Gewalt statt. Das sei ein Zeichen dafür, dass in Bulgarien allmählich eine demokratische Kultur entsteht, meint die Soziologin Svetla Entcheva vom "Zentrum für Demokratieforschung".
Brodelnde Ressentiments
In den letzten Monaten scheint sich aber ein Umdenken bei den Politikern durchzusetzen. Nach dem Tod eines 19-jährigen Bulgaren, der im September von einem Roma überfahren wurde, kam es zu massiven Anti-Roma-Protesten im ganzen Land. Bis auf einige Ausnahmen verliefen diese jedoch friedlich. Die angespannte Stimmung allerdings ließ die Politiker um den ethnischen Frieden im Lande bangen. Denn viele, vor allem junge Demonstranten zogen mit rassistischen Parolen durch die Straßen. Daraufhin verkündete der bulgarische Generalstaatsanwalt Boris Veltchev, dass die Fälle "von rassistischer Hetze mit Priorität behandelt werden müssen." Anfang Oktober wurde ein 27-jähriger Mann zu zehn Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er auf Facebook zum "Abschlachten von Zigeunern" aufgerufen hatte.
Der Menschenrechtler Krassimir Kanev begrüßt das Urteil. Das Helsinki-Komitee für Menschenrechte würde aber genau beobachten, ob die Staatsanwaltschaft konsequent bleibt, denn gerade daran habe es in den letzten Jahren immer wieder gemangelt.
Autor: Blagorodna Grigorova
Redaktion: Alexander Andreev