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Gesellschaft

HIV bei Kindern: "Das ist ein Schock"

1. Dezember 2017

HIV ist auf dem Rückzug. Bei Heterosexuellen allerdings steigt die Zahl der Ansteckungen. Wenn Kinder betroffen sind, müssten die Familien aufgefangen werden, sagt Kinderärztin Jennifer Neubert.

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Krankenhaus Säugling
Bild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Deutsche Welle: Frau Neubert, bei Ihnen in der HIV-Ambulanz der Uniklinik Düsseldorf werden 60 Kinder betreut. Wenn Sie einer Familie die Diagnose übermitteln, was ist das für ein Moment?

Jennifer Neubert: Das ist ein Schock. Die Erkrankung löst erst einmal Todesangst aus bei den Familien. Viele wissen nämlich nicht, dass man diese Erkrankung mittlerweile sehr gut behandeln kann. Es gibt dann oft Schuldzuweisungen. Das kann zu Konflikten in der Familie führen.

Wie gehen Sie damit um?

Unsere Aufgabe ist es, die Familien in dieser Situation aufzufangen und zu beruhigen. Aufzuzeigen, dass diese Erkrankung mittlerweile sehr gut behandelbar ist. Dass man sich nicht schämen muss, nicht nach Schuldigen suchen muss, sondern anpacken und nach vorne schauen sollte.

Jennifer Neubert, Uniklinik Düsseldorf
Dr. Jennifer Neubert ist Kinderärztin in der HIV-Ambulanz an der Klinik für Kinder-Onkologie, -Hämatologie und Klinische Immunologie der Uniklinik DüsseldorfBild: privat

Beim Thema HIV und AIDS denken viele Menschen immer noch zunächst an homosexuelle Männer. Kinder passen da gar nicht ins Bild.

Ja, viele Menschen reagieren überrascht. Viele wissen nach wie vor nicht, dass die Erkrankung eben nicht nur in bestimmten Kreisen auftritt, bei schwulen Männern oder in Afrika. Deswegen infizieren sich ja auch noch viele Menschen in Deutschland, auch Jugendliche. In unserer Ambulanz sehen wir viele Schwangere aus afrikanischen Ländern, die bei uns entbinden wollen. Aber wir haben hier auch deutsche Frauen, deutsche Kinder. Es ist wichtig, dass die Leute lernen: diese Erkrankung kommt in allen Schichten vor. Es kann jeden treffen.

In Deutschland werden jährlich hunderte Babys von HIV-infizierten Müttern geboren. Wie hoch ist das Risiko einer Übertragung auf das Kind?

Ohne Prophylaxe oder Therapie infizieren sich in vielen Ländern 15 bis 40 Prozent der Kinder. Aber wenn die Frau weiß, dass sie positiv ist und eine effektive Therapie bekommt, kann man dieses Risiko auf unter ein Prozent senken. Wenn die Mutter gut behandelt ist, kommt es also so gut wie überhaupt nicht mehr zu Infektionen. Bei uns bringt etwa alle zwei Wochen eine HIV-positive Frau ein Kind zur Welt.

Und was passiert, wenn ein Kind bei Ihnen die Diagnose HIV erhält? Bekommen Kinder zum Beispiel die gleichen Medikamente wie Erwachsene?

Die Therapie der HIV-Infektion ist bei Erwachsenen und Kindern grundsätzlich gleich. Das ist eine Kombinationstherapie, bei der man mit verschiedenen Medikamenten behandelt. In der praktischen Umsetzung sieht das aber ganz unterschiedlich aus. Kleine Kinder können ja keine Tabletten schlucken, sondern müssen Saft trinken. Der schmeckt wirklich scheußlich. Und leider gibt es für Kinder nur wenige Kombinations-Präparate. Das lohnt sich für die Pharmafirmen nicht. Während bei Erwachsenen oft eine Tablette reicht, muss ein Achtjähriger unter Umständen sechs Tabletten schlucken.

Da wird schon mal eine vergessen?

Das ist ein echtes Problem. Diese Therapie ist sehr effektiv, aber sie bedarf einer sehr großen Disziplin. Das ist ein Riesenthema, wenn die Patienten in die Pubertät kommen. Die wollen auch feiern, wollen auf Klassenfahrt gehen und in dieser Phase wird die Medikation sehr oft vergessen. Oder sie haben einfach keine Lust, weil sie nicht einsehen, warum sie Tabletten nehmen sollen, wenn es ihnen eigentlich gut geht.

Leiden viele mehr unter den Reaktion der Umwelt als unter der Erkrankung selbst?

Ja, und das gilt nicht nur für Kinder. Dieses Verheimlichen der Erkrankung, dieses Gefühl: ich darf nicht darüber sprechen. Das beschäftigt einen sehr, wenn einem die Eltern mit elf, zwölf oder auch früher sagen: du bist HIV positiv. Und das nächste, was sie von den Eltern hören, ist: das darfst Du aber niemandem sagen!

Infografik HIV-Neuinfektionen weltweit

Warum nicht?

Normalerweise bekommt man ja viel Mitgefühl, wenn man erkrankt ist. Aber viele Familien haben etwas anderes erlebt, wenn herauskam, dass Kinder HIV positiv sind. Sie wurden vom sozialen Leben ausgeschlossen, weil die Leute einfach Angst haben. Kinder wurden teilweise nicht mehr zu Kindergeburtstagen eingeladen. Und deswegen wissen sie: das erzählt man nicht. Wir müssen weiter aufklären, diese Aufgabe bleibt in der Zukunft bestehen. Man hat nichts verbrochen, wenn man HIV positiv ist und man braucht vor diesen Menschen keine Angst zu haben. Im Alltag kann man niemanden anstecken. Auch, wenn man von der gleichen Gabel isst, die gleiche Toilette benutzt, von der gleichen Mücke gestochen wird.

Das Thema HIV ist ja etwas aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit geraten in den vergangenen Jahren. Ist das auch gut, eine Normalisierung?

Es ist gut, dass es nicht mehr diese skandalöse, mit dem Tod verbundene Erkrankung ist, die Menschen sofort Angst und Schrecken eingejagt. Aber ich finde es wichtig, dass Jugendliche nach wie vor über diese Erkrankung und die Risiken aufgeklärt werden. Wir merken schon, dass viele das Thema gar nicht mehr auf dem Schirm haben. Sie sind dann ganz überrascht, wenn sie einen positiven Test in der Schwangerschaft haben, weil sie sich nicht entsprechend geschützt haben. Es ist nach wie vor eine Erkrankung, die sehr ernst zu nehmen ist.

 

Dr. Jennifer Neubert ist Kinderärztin in der HIV-Ambulanz an der Uniklinik Düsseldorf.

 

Das Gespräch führte Peter Hille.