1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Historische Grundlage für eine künftige russische Demokratie

Ingo Mannteufel19. August 2006

Vor 15 Jahren scheiterte der Putsch gegen Michail Gorbatschow. Der Widerstand der Moskauer schuf die Vorrausetzungen für eine russische Demokratie in der Zukunft, meint Ingo Mannteufel in seinem Kommentar.

https://p.dw.com/p/8xcC

Mit dem Putsch gegen den sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow im August 1991 wollte die alte Sowjetgarde aus Kommunistischer Partei, KGB und Militär den Zerfall der Sowjetunion aufhalten. Das Gegenteil trat ein: Der Widerstand der Moskauer gegen den Putsch beendete faktisch die siebzigjährige totalitäre Diktatur und beschleunigte den Zusammenbruch der UdSSR. Die weit verbreitete Hoffnung in Ost und West war, dass auf das kommunistische Regime im größten Land der Erde Demokratie und Marktwirtschaft folgen würden.

Sowjetstaat - Symbol für Unterdrückung

Im Westen wurde das Scheitern des Putsches mit einer großen Erleichterung aufgenommen und das Ende der Sowjetunion begrüßt - nicht aus einer westlichen Feindseligkeit gegenüber Russland heraus, wie viele Russen leider heutzutage glauben. Im westlichen Denken stand die Sowjetunion als Staat für die Unterdrückung von Freiheit, für die ideologisch-motivierte Ermordung von Millionen von Menschen, für die Unterwerfung Dutzender Länder und für eine monströse kommunistische Weltanschauung, die die westlichen Gesellschaften in ihren Grundfesten bedrohte. Diese Wahrnehmung der Sowjetunion von außen sollten Russen kennen, wenn sie in sowjetnostalgischer Verklärung heutzutage den Zusammenbruch der Sowjetunion bedauern - selbst wenn sie dies nur aus verständlicher Frustration über den Verlust des sowjetisch-sozialistischen Wohlfahrtstaates tun.

Doch nicht nur in der Beurteilung der Sowjetunion als Staat besteht zwischen russischem und westlichem Geschichtsbild eine Diskrepanz. Für viele in Europa und den USA ist 15 Jahre nach dem August-Putsch der Blick auf das heutige Russland enttäuschend: Mit Wladimir Putin steht ein einstiger KGB-Auslandsagent an der Spitze des Staates, viele politische Ämter sind mit weiteren ehemaligen Mitarbeitern des sowjetischen Spitzel- und Unterdrückungsdienstes besetzt. Die Gewaltenteilung - ein wesentliches Merkmal von liberaler Demokratie - ist durch eine abhängige Judikative und ein kremlnahes Parlament nicht gegeben. Viele Bürgerrechte wie die Pressefreiheit sind eingeschränkt. Die hohen internationalen Ölpreise und vielen Petrodollar haben für Wirtschaftswachstum gesorgt und der Staatsführung neues Selbstbewusstsein gegeben.

Putins Russland ist keine neue Sowjetunion

Daher setzen bereits manche Politiker und Kommentatoren Putins Russland mit der Sowjetunion gleich. Doch so sehr die Kritik an Putins autoritärer Innenpolitik berechtigt ist, so sehr ist die Gleichsetzung mit der einstigen Sowjetunion falsch: Erstens ist die kommunistische Ideologie im Russland von heute nicht mehr die politische Triebfeder und Vorlage für die gesellschaftliche Umgestaltung. Zweitens fehlt dieser Beurteilung des heutigen Russlands das Verständnis für die russische Geschichte. Denn 1000 Jahre zaristischer Autokratie und Sowjetdiktatur lassen sich nicht in 15 Jahren überwinden. Das zu erwarten war der Fehler im Westen in den 1990er Jahren und hat zu einer großen Russland-Enttäuschung und der unverhältnismäßigen Beurteilung des Russlands von 2006 geführt.

Ein Vergleich Russlands mit der Entwicklung der anderen ehemaligen Sowjetrepubliken macht das deutlich: Beim Bertelsmann-Transformationsindex 2005 zur Messung der politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft nimmt Russland unter den Ex-Sowjetrepubliken einen Platz im oberen Drittel ein, erst recht, wenn die drei baltischen Republiken wegen ihrer völlig anderen historischen Ausgangsbedingungen und ihres EU-Beitritts nicht berücksichtigt werden. Das ist keine Rechtfertigung für Putins Politik, doch darf nicht übersehen werden, dass die russischen Bürger und Unternehmer selbst noch unter Präsident Putin freier als jemals in ihrer tausendjährigen Geschichte vor 1991 sind.

Vorraussetzung für Demokratie

Die Russen, die sich im August vor 15 Jahren den Putschisten mutig entgegenstellten, haben die verdienstvolle historische Leistung vollbracht, sich selbst von der sowjetischen Diktatur zu befreien. In den 1990er Jahren fehlte ihnen jedoch die Kraft - und auch die historische Erfahrung - eine moderne russische Demokratie und Marktwirtschaft aufzubauen. Sie haben jedoch die Vorraussetzungen dafür geschaffen, dass eine erste postsowjetische und unideologisierte russische Generation heranwächst, die sich dieser Aufgabe in den nächsten Jahren stellen muss.