Hirte Haska geht
4. Juli 2015"Dieses Foto von Ihnen wird bleiben", sagt ein Gratulant während der vielen Abschiedsfeiern für Ralf Haska in den vergangenen Wochen. Das Bild zeigt den deutschen Pfarrer aus dem ostdeutschen Brandenburg im Dezember 2013 mit breit ausgestreckten Armen im Talar des Geistlichen der evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg. Hinter ihm stehen die Polizisten der Sondereinheit Berkut des ukrainischen Innenministeriums, Knüppel und wohl noch viel mehr im Anschlag. Vor ihm strömen immer mehr Demonstranten des Maidan die Lutheranska-Straße hoch an der die evangelische Kirche Sankt Katharina liegt, gegenüber des Präsidentenpalastes, wo damals noch der zwei Monate später geschasste Präsident Viktor Janukowitsch residierte. Die Demonstranten sind wütend, die Gewalt droht zu eskalieren. Er habe ihnen zugerufen: "Wir haben auch eine Revolution hinter uns und sind damals friedlich geblieben", sagt der gebürtige Ostdeutsche irgendwann vergangenes Frühjahr. So genau weiß er es aber auch nicht mehr - die Anspannung ist schuld.
Student in der friedlichen Revolution der DDR
Ralf Haska studiert evangelische Theologie in der Hauptstadt der DDR als im Herbst 1989 die kasernierte Volkspolizei die Seitenstraßen der Ost-Berliner Innenstadt um den Palast der Republik belagert. Demonstranten der von der evangelischen Kirche unterstützten Opposition um das Neue Forum protestieren rund um den 40. Jahrestag der DDR, viele werden vom Staatssicherheitsdienst verhaftet. Die Fernsehbilder der Proteste im Ost-Berliner Stadtzentrum bis hoch in den Stadtteil Prenzlauer Berg rund um die evangelische Gethsemane-Kirche gehen um die Welt. Im Winter 2013/2014 gehen die Bilder des Maidan um die Welt. Und der ehemalige Ost-Berliner Theologie-Student Ralf Haska öffnet seine Kirche Sankt Katharina an der Kiewer Lutheranska Straße für Verletzte. In wenigen Tagen entsteht ein Lazarett. Freiwillige pflegen Verletzte. Vor dem Altar knien Menschen nieder, beten und Ralf Haska befindet sich gemeinsam mit Ehefrau und drei Kindern inmitten der revolutionären Umtriebe der Ukraine.
Von Juschtschenko zu Poroschenko
Der heute 48-Jährige wurde 2009 von der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) nach Kiew entsandt. Damals regierten noch die Führer der "orangenen Revolution" von 2004 - das Führungsgespann Juschtschenko-Timoschenko. "Die Unzufriedenheit war schon damals spürbar", sagt Haska. Es folgte der Wahlsieg des Autokraten Viktor Janukowitsch, dessen Ablehnung eines Assoziierungsabkommens mit der EU in die Maidan-Proteste mündete. Und schließlich: Die Annexion der Krim und der Krieg mit den von Russland gesteuerten Rebellen in der Ost-Ukraine und die neue pro-europäische Regierung unter Präsident Petro Poroschenko. Es sind auch die Stationen Haskas. In seiner evangelischen Kirche Sankt Katharina folgte auf das Maidan-Lazarett eine bis heute nicht endende Hilfsaktion für Bedürftige und Soldaten an der Front. Aus der Gemeinde heraus vermitteln Freiwillige Verwundete in Krankenhäuser nach Deutschland, von Hilfsgeldern werden Medikamente für die Front gekauft, vor allem aber Kinderheime in der Ost-Ukraine unterstützt. Ende Juni fuhr Haska noch einmal die Frontlinie ab. "Für lange Zeit wahrscheinlich das letzte Mal."
Die Unterstützung bleibt
Er werde aber das Land auch künftig unterstützen, sagt der Geistliche. In Oberfranken soll die Pfarrersfamilie jetzt eine neue Heimat finden. Haska übernimmt dort eine Kirchengemeinde, nicht weit von einem anderen Ukraine-Heimkehrer. Das Gespann will auch künftig auf das Land aufmerksam machen. Und das ist auch bitter nötig: Während der Hirte Haska geht, bahnt sich in der Deutschen Evangelischen Kirche der Ukraine ein Zerwürfnis zwischen der berühmten evangelischen Kirche Sankt Katharina in Kiew und der Führung am Bischofssitz in Odessa an, wegen "innerkirchlicher Probleme", sagt Haska ohne ins Detail gehen zu wollen. Es scheint, Revolution und Krieg, die schwere Wirtschaftskrise im Land lassen die Ukraine vorerst nicht zur Ruhe kommen - was die 300 Gemeindemitglieder der Evangelischen Kirche allein in Kiew sich so sehr wünschen. Es wird nicht einfach mit Haskas Abschied, der zudem gerne länger in Kiew geblieben wäre. "Ich lasse sie nur ungerne ziehen", sagt der Gratulant bei dem Abschiedsabend Ende Juni - doch das Gute ist: Nicht nur dieses eine Foto, diese Ikone werde bleiben - auch die Zuversicht in den Herzen vieler Ukrainer, die es mit Haska zu tun hatten. Am Sonntag predigt der evangelische Pfarrer ein letztes Mal an der Lutheranska Straße in Kiew. Sein Schlusswort steht schon jetzt fest: "Ich habe nur einen Wunsch: dass endliche Frieden herrscht."