Hinweise auf höhere Opferzahl auf Tiananmen-Platz
23. Dezember 2017Die Nachrichtenagentur AFP berichtet, sie konnte das bislang geheim gehaltene Dokument im britischen Nationalarchiv einsehen. Es handelt sich um ein Telegramm des Diplomaten Alan Donald. Verfasst wurde es einen Tag nach dem Blutbad auf dem "Platz des himmlischen Friedens" in der chinesischen Hauptstadt.
Demnach schrieb der Diplomat damals an die britische Regierung: "Mindestschätzung von 10.000 toten Zivilisten".
Das ist kein Beleg dafür, dass es tatsächlich so viele Tote waren. Aber dass die Zahl der Opfer damals so hoch geschätzt wurde, ist neu. Die bisherigen Schätzungen reichten von mehreren hundert bis zu mehr als tausend Toten.
Debatte über Opferzahl
Der frühere chinesische Studentenführer Xiong Yan, der inzwischen in den USA lebt, erklärte, die vom damaligen britischen Botschafter genannte Opferzahl sei "glaubwürdig". Auch der französische Sinologe Jean-Pierre Cabestan teilt diese Einschätzung. Er verweist darauf, dass in kürzlich veröffentlichten Dokumenten aus US-Archiven eine ähnliche Größenordnung genannt werde. "Das sind also zwei ziemlich unabhängige Quellen, die das Gleiche sagen", erklärte Cabestan. Eine solch hohe Opferzahl sei auch "keineswegs überraschend" angesichts der großen Zahl von Menschen, die damals in Peking gegen die Regierung protestiert hätten.
Andere gehen dagegen von einer kleineren Zahl von Opfern aus, unter ihnen auch Feng Congde, der damals ebenfalls ein Anführer der chinesischen Studenten war. Feng Congde betont, Botschafter Donald habe drei Wochen später ein weiteres Telegramm geschickt, in dem von 2700 bis 3400 Toten die Rede sei. Das decke sich mit den Schätzungen des chinesischen Roten Kreuzes, das ebenfalls von 2700 Toten ausgeht.
Schilderungen von grausamer Gewalt
Der damalige britische Botschafter schildert Vorfälle von brutaler Gewalt bei der Niederschlagung der Proteste. Als die Soldaten aufmarschierten, sei den Studenten zu Verstehen gegeben worden, dass sie eine Stunde zum Verlassen des Tiananmen-Platzes hätten, "doch nach fünf Minuten griffen die Panzer an". Demonstranten und auch Soldaten seien von den Panzern regelrecht "niedergemäht" worden. Die Fahrzeuge seien immer wieder über die Opfer gerollt. "Die sterblichen Überreste wurden angezündet und dann mit Wasser in Gullys gespült", schrieb Donald. Krankenwagen, die den Verletzen zur Hilfe kommen wollten, seien beschossen worden.
Donald bezog sich in seinen Schilderungen auf einen Informanten und erklärte, dieser sei von einem engen Freund im chinesischen Staatsrat über die Vorkommnisse unterrichtet worden. Seine Quelle habe sich in der Vergangenheit als verlässlich erwiesen, betonte der britische Diplomat.
Peking zensiert alle Berichte
Die chinesische Regierung teilte Ende Juni 1989 mit, bei der Unterdrückung der "konterrevolutionären Aufstände" seien 200 Zivilisten und mehrere Dutzend Sicherheitskräfte getötet worden.
Bis heute lässt die kommunistische Führung in Peking keine echte Aufarbeitung der Vorfälle zu. Berichte über das Blutbad werden zensiert.
kis/jj (afp)