Hilmar Hoffmann ist 85 Jahre alt
25. August 2010Wenn Hilmar Hoffmann als Kulturpolitiker auftrat, erinnerte er ein bisschen an Goethe: hager, groß, kantig und mit einer prächtigen, weißen Mähne. Ein wortgewandter Bildungsbürger. Das ganze Gegenteil des deutschen Wohlstandsbürgers vom Typ eines Zigarre rauchenden, schnodderigen und rundlichen Ludwig Erhard, der 1957 mit seinem Buch "Wohlstand für alle" die konservative Wirtschaftswunder-Republik ausgerufen hatte.
Auch wenn Hilmar Hoffmann neun Jahre lang dem Goethe-Institut als Präsident vorstand, hat er sich doch nie als ein Repräsentant der deutschen Hochkultur verstanden. Ganz im Gegenteil. Mit seinem Slogan "Kultur für alle" provozierte er in den siebziger Jahren die deutsche Nachkriegspolitik. Bis dahin galt Kultur im Wesentlichen als die Lehre vom Althergebrachten, Wahren, Guten und Schönen - und als eine Leidenschaft der gebildeten und besser verdienenden Deutschen.
Kultur stabilisiert die Gesellschaft
Damit machte der 1925 in Bremen geborene Kulturpolitiker Schluss. Für ihn konnte ein Brieftauben züchtender Bergmann ebenso kulturvoll sein wie ein Kunstliebhaber mit einem Arbeitszimmer voller wertvoller Bilder. Musik von Jimi Hendrix schätze er genauso wie Goethes Faust. Denn unter Kultur versteht Hoffmann bis heute "einen langfristigen Beitrag zur Selbstfindung des Menschen" und zur "Stabilisierung der Gesellschaft".
Deshalb hat der gelernte Regisseur wie kein anderer deutscher Kulturpolitiker verschiedenste Theater, Museen, Bibliotheken und Festivals gefördert. Und zwar nicht nur nach dem Motto "Eintrittspreise runter, Zuschüsse rauf". Hoffmann wollte Kultur für Bürger aller sozialen Schichten interessant machen. Damit fing er 1951 als Deutschlands jüngster Volkshochschuldirektor in Oberhausen an. Damals war er 26 Jahre alt und hatte gerade sein Regiestudium an der Folkwang Hochschule für Musik und Theater in Essen beendet.
Vom kommerziellen zum Kommunalen Kino
Als Sozial- und Kulturdezernent der Stadt lockte er ab 1965 die Bergarbeiter im Ruhrgebiet zu Uraufführungen von Stücken Peter Handkes - mit dem Versprechen anschließend Beat-Konzerten beizuwohnen. Er gründete die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, auf denen sich Regisseure wie Alexander Kluge oder Edgar Reitz von "Papas Kino" lossagten und den jungen deutschen Autorenfilm ins Leben riefen.
1970 wechselte Hoffmann als Kulturdezernent nach Frankfurt am Main und blieb dort über zwanzig Jahre im Amt. Aus Oberhausen brachte er die Idee eines Kommunalen Kinos mit und setzte sie gegen den Widerstand der kommerziellen Kinobetreiber in die Tat um. In den Kommunalen Kinos, von denen es heute einige Dutzend in ganz Deutschland gibt, hat der nichtkommerzielle Film eine Heimat gefunden. Hier werden Autorenfilme, Kurz- Dokumentar- und Experimentalfilme gezeigt.
Ein Faible für die freie Kulturszene
Doch nicht nur für den deutschen Film machte sich Hoffmann stark. Er gründete 15 neue Museen und Ausstellungshäuser, ließ die Stadtteilbibliotheken ausbauen und förderte die freie Kunst und Kultur. Unter seiner Regie gab die Bankenmetropole elf Prozent ihres Haushalts für Kulturprojekte aus, mehr als jede andere Stadt der Welt.
Ständig war Hoffmann bei Neueröffnungen, Festivals und Preisverleihungen zwischen prominenten Politikern und Künstlern zu sehen. Mit zahlreichen Veröffentlichungen zur deutschen Kulturpolitik machte er sich bundesweit einen Namen. Trotzdem suchte er immer wieder die Nähe zu den alternativen Künstlern. "In den Läden der Alternativszene habe ich fast jeden zweiten Abend meinen Wein getrunken", erzählt Hoffmann, "Ich habe mich dort einfach wohlgefühlt."
Kulturpolitik für Kinder
1993 wurde er Präsident des Goethe-Instituts und blieb bis zum Jahr 2002 im Amt. Dort wurde er zu einem rigorosen Sparkurs verpflichtet. 30 Goethe-Institute musste er schließen. Immerhin schaffte es Hoffmann 15 Neugründungen durchzusetzen.
Mit 85 Jahren ist der Kulturpolitiker stolz auf seine Lebensleistung, aber auch etwas enttäuscht. Denn seine Vision der "Kultur für alle" sieht er noch lange nicht realisiert. Nur zehn Prozent der deutschen Bevölkerung seien regelmäßig in Theatern, Museen oder Veranstaltungen der freien Kunstzene zu finden, bedauert Hoffmann. Aber er gibt nicht auf. "Kulturpolitik muss schon in der Schule ansetzen", fordert er. Damit aus den Kindern Erwachsene werden, die Goethe genauso kennen und mögen wie Jimi Hendrix oder Madonna.
Autorin: Sabine Damaschke
Redaktion: Jochen Kürten