New Jersey im Hillary-Fieber
7. Juni 2016Asbury Park hat seine besten Tage hinter sich. Früher kamen großstadtmüde New Yorker in Scharen, um auf der Uferpromenade Limonade zu trinken, Karussell zu fahren und in luxuriösen Strandhotels abzusteigen.
Heute ist in der kleinen Küstenstadt, nach der Bruce Springsteen sein erstes Album benannte, von diesem Glanz nicht mehr viel übrig: Niedrige Einkommen, marode Gebäude, weniger Tourismus und mehr Kriminalität prägen das Stadtbild.
Rosetta Johnson will trotzdem bleiben. Vor wenigen Monaten gab es direkt vor ihrem Haus eine Schießerei auf offener Straße. Aber das schreckt sie nicht ab. Die 56-Jährige wohnt schon ihr ganzes Leben in Asbury Park. Sie verknüpft Hoffnungen mit einer Wahl Hillary Clintons: "Wir haben eine Vision, wir wollen zurück zu dem, was wir waren. Vielleicht kann uns Hillary dabei helfen. Ich träume von einem Hafen. Wo es Wasser gibt, sollte es einen Hafen geben."
Seit neun Uhr morgens herrscht in Johnsons Haus Trubel: Ihr Wohnzimmer hat sich in ein temporäres Wahlkampfbüro verwandelt. Auf der Veranda sitzen Freiwillige mit Telefonlisten und Handys am Ohr. In der Küche treffen sich weitere Helfer, nehmen Flyer und Aufkleber mit, verschwinden wieder in die Frühsommerhitze.
Irene Esposito ist aus dem Nachbarort gekommen und engagiert sich mit 63 zum ersten Mal ehrenamtlich im Wahlkampf. Clinton ist ihre einzige Hoffnung. "Ich denke, dass sie Obamas Erbe fortführen und mit der Erfahrung ihres Mannes das Präsidentenamt bereichern wird."
Zwei Frauen, die wissen, was Elend heißt
Rosetta Johnson hat die Veranstaltung organisiert: Ein letztes Mal wollte sie in der Nachbarschaft für Hillary Clinton die Werbetrommel rühren, bevor in insgesamt sechs US-Staaten die Wahllokale aufmachen.
Dass Clinton eine Frau ist, spielt für Johnson nur eine Nebenrolle. An ihren Wohnzimmerwänden hängen neben Wahlkampfplakaten Auszeichnungen für soziales Engagement, Urkunden für gewonnene Lyrikwettbewerbe und ihr Master-Abschluss im Strafrecht. Bald will sie in Jura promovieren.
Hillary Clinton zu unterstützen, ist für Johnson etwas sehr Persönliches. "Ich wurde 1960 mitten in die Bürgerrechtsbewegung hineingeboren. Nach meinem Hochschulabschluss habe ich bei der Stadt gearbeitet, ich habe mich durch Bildung aus der Armut befreit", erzählt Johnson: "Genau solche Dinge hat Hillary mit eigenen Augen gesehen, als sie nach ihrem Studium in die urbanen Gebiete ging. Sie kennt die Dynamiken, sie hat sich lange mit dem Elend beschäftigt. Sie versteht Amerika."
Vom “Weihnachtsmann” Bernie Sanders im Stich gelassen
Die für Clinton so wichtigen ethnischen Minderheiten sind in New Jersey besonders stark vertreten. Der Staat an der Ostküste ist wohlhabend, dicht besiedelt und multikulturell. Clinton führt hier in Umfragen mit deutlichem Abstand. Ihre Beliebtheit in New Jersey könnte ihr auch im Kampf gegen Donald Trump zugute kommen. Vom demokratischen Gegenkandidaten Bernie Sanders hält Rosetta Johnson als Afroamerikanerin viel - aber nicht genug.
"Sein Diskurs ist richtig, seine Ideen sind richtig. Aber seit Jahren geht es ihm um die Mittelklasse, die von den Reichen verdrängt wird. Es ging nie um die verarmte Arbeiterklasse. Deshalb bekommt er die Stimmen der urbanen Afroamerikaner nicht: Wir wurden nie in seine Kalkulationen einbezogen." Für sie ist Sanders ein "Weihnachtsmann", der unrealistische Versprechungen mache und mit Revolutionsträumereien werbe.
Vom Trump-Hasser zum Hillary-Jünger
Während der Senator aus Vermont noch immer vor allem bei Jüngeren punktet, ist die Mehrheit der Clinton-Unterstützer älter als 45. Auch an diesem Nachmittag in Asbury Park klopfen vor allem ältere Menschen an Rosetta Johnsons Haustür - mit ganz unterschiedlichen Motiven.
Robert Hegerich hat seit 30 Jahren keinen Demokraten gewählt: "Ich bin ein konservativer evangelikaler Christ, der Donald Trump hasst. Dieser Kandidat ist falsch für Amerika, falsch für euch in Europa, er ist einfach der falsche Kandidat. Deshalb arbeite ich hier als Freiwilliger."
20 Stunden hat er vorletzte Woche neben seinem Vollzeitjob bei einem Telekommunikations-Unternehmen in die Clinton-Kampagne investiert, in den letzten Tagen im Schnitt täglich acht Stunden.
“Hillary Clinton ist wie Lebertran”
Trotz ihres jetzigen Erfolgs kämpft Hillary Clinton insgesamt - genau wie Donald Trump - gegen hohe Werte, wenn gemessen wird, wie unbeliebt die Kandidaten sind. Charisma, Nahbarkeit, Wärme, Authentizität - dafür ist sie gerade nicht bekannt. Rosetta Johnson blickt den Schwächen ihrer Lieblingskandidatin ins Auge und wünscht sich, dass Clinton aus Fehlern wie dem E-Mail-Skandal lernt. Am Ende sei die ehemalige First Lady aber "wie Lebertran: Er geht nicht gut herunter, aber er hat eine heilende Wirkung."
Rosetta Johnson stellt den Fernseher laut: Noch-Präsident Barack Obama wird sich offiziell hinter Hillary Clinton stellen, heißt es. Johnson ist zufrieden. “Wenn wir am Ende verlieren, haben wir es wenigstens versucht”, sagt sie. "Man sollte nichts als selbstverständlich erachten, es steht einfach zu viel auf dem Spiel. Ich weiß, was gut für mich ist. Ich weiß, dass Hillary Clinton gut für Amerika ist, also ist sie gut für mich." Am Abend melden die Medien, dass Clinton die magische Zahl von 2383 Delegierten erreicht hat. Bis ins Weiße Haus ist es aber noch ein weiter Weg.