Hilft EU-Verfahren im Abgas-Skandal?
8. Dezember 2016Vor gut einem Jahr wurden die Manipulationen von VW bei der Abgasreinigung bekannt. Zahlreiche Untersuchungen deckten aber auch bei vielen anderen Autoherstellern Einrichtungen zur Abschaltung bei der Abgasreinigung auf, so dass die Grenzwerte zur Luftreinhaltung massiv überschritten werden. Vor allem für die Menschen in Städten sind die dreckigen Abgasgifte ein großes Gesundheitsproblem.
Nun ergreift die Europäische Kommission Maßnahmen gegen Deutschland, Großbritannien, Tschechien, Spanien, Luxemburg, Griechenland und Litauen. Die Anschuldigung: diese Länder sollen die Autohersteller nicht ausreichend kontrollieren und bei Fehlverhalten nicht sanktionieren.
"Für die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften sind in erster Linie die Automobilhersteller verantwortlich", sagt Elżbieta Bieńkowska, EU-Kommissarin für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum. "Die nationalen Behörden in der EU müssen jedoch darüber wachen, dass die Automobilhersteller die Rechtsvorschriften auch tatsächlich einhalten."
Laut EU-Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten bereits seit 2007 über wirksame und abschreckende Sanktionssysteme verfügen, um die Autokonzerne von Gesetzesverstößen abzuhalten. Wird gegen ein Gesetz verstoßen, zum Beispiel durch die Verwendung von Abschalt-Einrichtungen, müssen Sanktionen verhängt werden.
Staaten dürfen Gesetzesverstöße der Autohersteller nicht dulden
Doch bisher blieben die Sanktionen von Seiten der Mitgliedsstaaten aus, die Autoindustrie wurde geschont und die Gesundheit der Bürger verletzt. Mit einem sogenannten Aufforderungsschreiben mahnt die Kommission Tschechien, Litauen und Griechenland nun ab, weil in den nationalen Gesetzen entsprechende Sanktionssysteme fehlen.
Gegenüber Deutschland, Luxemburg, Spanien und Großbritannien leitete die Kommission jetzt ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren ein, weil mögliche Sanktionen bisher nicht angewendet wurden, zum Beispiel gegenüber VW.
Darüber hinaus wirft die EU-Kommission Deutschland und Großbritannien noch einen weiteren Gesetzesbruch vor, weil diese Länder sich bisher weigerten, ihre nationalen Untersuchungsberichte und sämtliche Informationen zu den Abgastests offenzulegen.
Zuständig für die Zulassung von Fahrzeugen und die Einhaltung der Grenzwerte ist in Deutschland das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), eine Behörde, die Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) untersteht.
Eine Mitverantwortung von KBA und Verkehrsministerium am Dieselbetrug von VW und den entdeckten Abschalt-Einrichtungen bei anderen Herstellern, die zu stark überhöhtem Schadstoffausstoß führen, sieht das Ministerium aber trotz des EU-Verfahren nicht.
Deutschland habe "einen umfassenden Maßnahmenkatalog mit Sofortmaßnahmen zur gezielten Vermeidung von unzulässigen Abschalt-Einrichtungen umgesetzt", erklärt ein Sprecher des Verkehrsministeriums in einer Stellungnahme.
Das Verkehrsministerium hat jetzt zwei Monate Zeit für eine Antwort. Wenn sich die EU und Deutschland nicht einigen, schreibt Brüssel einen zweiten Brief und stellt ein Ultimatum, um den vermuteten Missstand zu beheben. Kommt es zu keiner Einigung droht Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof - und bei einer Verurteilung Strafzahlungen.
Haben deutsche Kontrollbehörden versagt?
Nach Einschätzung von Experten aus der Opposition, von Umweltverbänden und Recherchen verschiedener Medien haben das Kraftfahrt-Bundesamt als Aufsichtsbehörde und das zuständige Verkehrsministerium bei der Abgaskontrolle versagt.
"Alle in der Bundesregierung und diejenigen, die sich in den nachgeordneten Behörden mit dem Thema Autoabgase befassten, wussten seit mindestens 10 Jahren von den unrealistischen Abgaswerten", sagt Oliver Krischer, Obmann für die Grünen im Abgas-Skandal-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Jeder habe gewusst, dass die in den Laboren gemessenen Abgaswerte, die für die Zulassung der Fahrzeugtypen entscheidend sind, nichts mit den realen Ausstoß zu tun haben.
"Die Autos stoßen im Normalbetrieb oft ein Vielfaches der zulässigen Grenzwerte aus. Das betrifft nicht nur VW, sondern nahezu alle Automarken", sagt der Grüne.
Die Überschreitung der Emissionen wurden vom Umweltbundesamt (UBA) sogar dokumentiert. "Es ist ein organisiertes Staatsversagen, dass sämtliche Behörden die Überschreitungen einfach hingenommen haben", so Krischer. Die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens sei "die logische Konsequenz".
Begrüßt wird das EU-Verfahren auch vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). "Es führt nun hoffentlich endlich dazu, die Vetternwirtschaft zwischen der Bundesregierung und der Automobilindustrie offenzulegen", sagt Verkehrsexperte Jens Hilgenberg. Auch Monique Goyens vom europäischen Verbraucherverband Beuc sprach von "guten Nachrichten" für Europa. Die Staaten wollten die Autobranche auf Kosten der Verbraucher schützen, so Goyens.
Für den Vorsitzenden des Abgas-Ausschusses im Bundestag, Herbert Behrens, kommt das Verfahren jedoch zu spät. "Die EU-Kommission war wie die Automobilindustrie und die Bundesregierung am Kartell des Schweigens über Abschalt-Einrichtungen beteiligt", sagt der Linke-Politiker. Daher sei der Schritt der Brüsseler Kommission "ähnlich scheinheilig" wie das Verhalten der Bundesregierung.
Versuche, schärfere Kontrollen der Autohersteller durchzusetzen, blieben laut Behrens "mehr als halbherzig" - und Sanktionskataloge damit auch wirkungslos.