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Politik

Hilfslieferungen für Syrien vor dem Aus

10. Januar 2020

Russland hat im UN-Sicherheitsrat gegen eine Resolution gestimmt, die mehrere Übergänge an der syrischen Grenze für Hilfsgüter offengehalten hätte. Würden die Übergänge geschlossen, droht eine humanitäre Katastrophe.

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Syien Ariha Idlib-Provinz nach Luftangriffen
Bild: picture-alliance/dpa/A. Alkharboutli

In Syrien droht eine humanitäre Katastrophe. Erzielen die 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrats nicht doch in letzter Minute einen Kompromiss, werden in der Nacht auf Samstag vier Grenzübergänge geschlossen, über die bisher Hilfsgüter in das kriegsgeplagte Land kamen.

Die drohende Schließung ist Folge eines von Russland und China im Sicherheitsrat Ende Dezember eingelegten Vetos gegen eine Resolution, der zufolge weiterhin Hilfsgüter in erheblicher Menge über vier Übergänge aus der Türkei, aus Irak und Jordanien nach Syrien hätten geliefert werden können. Der Entwurf zu dieser Resolution ginge auf eine Initiative Deutschlands, Belgiens und Kuwaits zurück.

Die Position Russlands

Russland, der wichtigste Bündnispartner der Regierung Assad, hatte mit dem Argument gegen die Resolution gestimmt, es sei nicht mehr notwendig, die Frist für ausländische Hilfen zu verlängern. Die syrische Regierung habe die Kontrolle über Syrien weitgehend wiedererlangt. Mitte dieser Woche hatte Putin während eines Besuchs in Damaskus den syrischen Präsidenten Assad gesprochen.

Die Nachrichtenagentur AFP zitiert namentlich nicht genannte Diplomaten, denen zufolge die Verhandlungen mit Russland "kompliziert" seien. Russland befinde sich in "einer Position der Stärke", zitiert die Agentur einen der Unterhändler. In Moskau betrachte man das Mandat zur Überschreitung der Grenze als Angriff auf die syrische Souveränität.

Allerdings habe Russland einen Gegenvorschlag gemacht, berichtet die Nachrichtenagentur AFP. Demnach sollen zwei Grenzübergänge ein weiteres halbes Jahr, genauer: bis zum 10. Juli dieses Jahres, geöffnet bleiben. Geschlossen werden sollen die an der irakisch-syrischen und der jordanisch-syrischen Grenze.

Syrien Putin trifft al-Assad in Damaskus
Politische Partner: der russische Wladimir Präsident Putin und sein syrischer Amtskollege Bashar al-AssadBild: Reuters/SANA

Kein Plan B

Sollten die Grenzübergänge tatsächlich geschlossen werden, kommen die Hilfslieferungen weitgehend zum Erliegen.  Einen Plan B hätten die UN-Hilfswerke nicht, sagte der Sprecher des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA), Jens Laerke.

Die Grenzübergänge seien die einzige Möglichkeit, die Menschen zu versorgen. Darum sollen über die Übergänge noch bis zur Schließung in wenigen Stunden Lebensmittel, Trinkwasser und Medikamente geliefert werden.

Bald neun Jahre nach Beginn der Krise sei die Lage in weiten Teilen des Landes verzweifelter als je zuvor, sagt die Advocacy-Direktorin der Hilfsorganisation "World Vision", Caroline Anning, im DW-Interview.

Massenflucht aus Idlib

In Syrien selbst gehen die Flüchtlingsbewegungen vor allem auf die Kämpfe in der Region Idlib zurück. Dort befindet sich die letzte Hochburg der Anti-Assad-Rebellen. Die allermeisten gehören dschihadistischen Milizen an. Syrische und russische Truppen versuchen seit Monaten, die Region wieder unter die Kontrolle des Assad-Regimes zu bringen.

Seit Beginn der Kämpfe im Frühjahr vergangenen Jahres wurden 1300 Zivilisten durch Luftschläge und Bodenbeschuss getötet. Seitdem flohen bereits 700.000 Menschen vor den Kämpfen. Ihnen folgten allein seit Anfang Dezember noch einmal weitere 300.000 Menschen.

Syrien Flucht aus Idlib Provinz
Massenflucht: Szene aus der Provinz Idlib, Dezember 2019Bild: Reuters/M. Hassano

In den vergangenen Wochen gab es schwere Luftangriffe, sagt Anning. Die zivile Infrastruktur, darunter Schulen und Krankenhäuser, sei zu weiten Teilen zerstört. "Am 1. Januar wurde eine Schule in der Region bombardiert. Dabei wurden fünf Kinder und eine schwangere Lehrerin getötet." Die vor den Angriffen geflohenen Menschen hielten sich unter katastrophalen Bedingungen an der Grenze zur Türkei auf. "Wo wir mit anderen Hilfsorganisationen zusammenarbeiten, müssen wir mit ansehen, wie Menschen auf offenem, bei Winterwetter oft überflutetem Feld schlafen. Andere übernachten in Lieferwagen. Alle suchen sie Orte, die Schutz vor der Kälte bieten", so Anning.

Russisches Militär: Waffenstillstand vereinbart

Zum Ende der Woche teilte das russische Militär mit, es sei eine Waffenruhe erzielt worden. Diese gelte seit Donnerstagnachmittag. Die Feuerpause sei nach einer entsprechenden Vereinbarung mit der Türkei in Kraft getreten. Kremlchef Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatten sich am Mittwoch in Istanbul getroffen.

Dennoch hätte die Schließung der Übergänge verheerende Folgen für die Flüchtlinge. Allein in der umkämpften Region Idlib sind nach OCHA-Angaben 2,7 Millionen Menschen von der Hilfe abhängig.

Das Leben der Syrer unter harten Winterbedingungen in Idlib
Flüchtlingslager in Idlib, Januar 2020Bild: picture-alliance/AA/M. Abdullah

Scharfe Kritik aus Deutschland

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, hat die russische Blockade als humanitäres Verbrechen verurteilt. "Damit sind Millionen syrische Zivilisten von der allergrundlegendsten Notversorgung abgeschnitten, die sie dringend zum Überleben brauchen", sagte Röttgen der Augsburger Allgemeinen.

Es brauche dringend eine Einigung zum Erhalt der Durchgänge, so Röttgen weiter. "Sollte Russland sich darauf nicht einlassen, sollten wir auch überlegen, auf der Basis unserer internationalen Schutzverantwortung für Zivilisten gegen den Willen Putins Hilfslieferungen zu autorisieren." Allerdings sollten sich zuvor alle Seiten bewegen, um noch einen Kompromiss zu finden.

"Wir suchen alternative Wege"

Die Schließung der Übergänge wird die Arbeit vieler Hilfsorganisationen erschweren. "Wir und andere Organisationen werden zusammen mit unseren syrischen Partnern versuchen, neue Wege zu finden, um Güter nach Syrien zu bringen", sagt Caroline Anning. Das werde zwar sehr schwierig sein. "Doch die Menschen in Syrien sind völlig auf unsere Hilfe angewiesen. Von Schulen bis zur medizinischen Versorgung fehlt es an allem." Nach neun Jahren Krieg sei der Staat in vielen Bereichen zusammengebrochen. Darum sei der Hilfseinsatz von entscheidender Bedeutung. "Sollte sich aber keine Lösung finden, wird es sehr schwierig sein, auf dem gleichen Niveau weiterzuarbeiten wie bisher."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika