Die Grande Dame der Bonner Republik
9. Dezember 2016Den einfachen Weg ging Hildegard Hamm-Brücher schon als junge Frau nicht. Sie hätte es auch nicht gekonnt, galt sie doch den Nazis als "Halb-Jüdin". Als Studentin an der Münchner Universität gehörte sie zum erweiterten Widerstands-Kreis um die "Weiße Rose" der Geschwister Scholl. Es war ihr Doktorvater, der sie vor der Verfolgung durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) schützte. Hamm-Brücher musste aber erleben, wie sich ihre jüdische Großmutter aus Angst vor der Deportation das Leben nahm.
Zur Politik kam die promovierte Chemikerin über den Umweg des Journalismus: Um ihre jüngeren Geschwister finanziell zu unterstützen, arbeitete sie nach 1945 als wissenschaftliche Redakteurin bei der "Neuen Zeitung" in München. Als sie während dieser Tätigkeit den späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss interviewte, ermunterte der sie, Politikerin zu werden.
Sie wurde 1948 Mitglied der FDP - zuerst als Kommunalpolitikerin in München, später als bayerische Landtagsabgeordnete. Auch hier galt sie vielen, vor allem Männern, als unbequem. Bei der Landtagswahl 1962 wurde sie deshalb auf den hinteren Listenplatz Nummer 17 verbannt. Dank der Kampagne eines überparteilichen "Bürgerkomitees zur Wiederwahl von Dr. Hildegard Hamm-Brücher" und einer Besonderheit des bayerischen Wahlrechts rückte sie auf den ersten Platz der FDP-Landesliste vor.
Von München nach Bonn
1969 wechselte sie als Staatssekretärin in das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft nach Bonn. Nach einem Intermezzo als FDP-Fraktionsvorsitzende in München kehrte sie 1976 in die Bundeshauptstadt zurück.
Im sozialliberalen Kabinett von Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde sie unter Außenminister Hans-Dietrich Genscher Staatsministerin im Auswärtigen Amt und blieb dort bis zum Auseinanderbrechen der Koalition aus SPD und FDP 1982.
Als ihre Partei in einem Misstrauensvotum Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) stürzen und dafür den CDU-Chef Helmut Kohl zum Regierungschef wählen sollte, sprach sie sich für Neuwahlen aus. Ein Misstrauensvotum schaffe "zwar neue Mehrheiten, aber kein neues Vertrauen in diese Mehrheiten". Weder verdiene es Schmidt ohne Wählervotum gestürzt zu werden, noch Kohl, ohne Wählervotum zur Kanzlerschaft zu gelangen.
Im Mai 1984 schlug Hamm-Brücher abermals vor, die FDP solle aus der Koalition mit der CDU/CSU ausscheiden. Wichtiger als eine Koalitionsbeteiligung sei das liberale Selbstverständnis, sagte sie und löste mit ihrer Äußerung in der FDP-Spitze heftigen Protest aus.
Enttäuschung und Austritt
Bei der Bundespräsidentenwahl 1994 war sie die Kandidatin der FDP für das Amt des Bundespräsidenten. Im ersten Wahlgang erhielt sie 132 und im zweiten Wahlgang 126 Stimmen. Der Parteivorsitzende Klaus Kinkel riet ihr daraufhin, im dritten Wahlgang nicht mehr anzutreten. Auch die FDP-Fraktion forderte dies. Die Mehrheit der FDP-Wahlmänner stimmte im dritten Wahlgang für den CDU-Kandidaten Roman Herzog.
2002 erklärt Hildegard Hamm-Brücher in einem Brief an den FDP-Parteivorsitzenden Guido Westerwelle ihren Austritt aus der Partei. Als Gründe gibt sie die "andauernde rechtspopulistische, antiisraelische und tendenziell Antisemitismus schürende Agitation" von Jürgen Möllemann und die Führungsschwäche Westerwelles an, der zu den Fehltritten Möllemanns "zu lange geschwiegen" habe.
Auch jenseits der Parteipolitik war Hildegard Hamm-Brücher aktiv. 1974-1988 war sie Mitglied des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Sie war außerdem Mitglied des Kuratoriums am Jüdischen Zentrum München, Ehrenmitglied der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Deutschland und Mitglied des Goethe-Instituts.
Hamm-Brücher war seit 1954 mit dem CSU-Kommunalpolitiker Erwin Hamm bis zu dessen Tod 2008 verheiratet. Sie starb am 7. Dezember 2016 im Alter von 95 Jahren.