Higgs-Teilchen fast gefunden
4. Juli 2012Für Peter Higgs wird ein Lebenstraum wahr. Der britische Physiker, mittlerweile 83 Jahre alt, entwickelte 1964 die Theorie, dass es irgendein Teilchen geben muss, das Materie erst zu Materie werden lässt. Schließlich wurde dieses Elementarteilchen nach ihm benannt. Peter Higgs war als Ehrengast geladen, zur großangelegten Konferenz am CERN bei Genf, wo Physiker seit Jahren auf der Jagd nach dem geheimnisvollen Teilchen sind.
Die Präsentationen wurden live im Internet übertragen, außerdem zur gerade stattfindenden Nobelpreisträgertagung nach Lindau am Bodensee und nach Melbourne, Australien, wo zeitgleich die weltweit wichtigste Fachkonferenz über Teilchenphysik (ICHEP) stattfindet. Schon das ließ im Vorfeld vermuten, dass etwas sehr Bedeutendes verkündet werden würde: Nämlich nichts weniger als der Nachweis des geheimnisvollen Gottesteilchens.
Die Erwartungen wurden nicht enttäuscht: "Wir haben eine Entdeckung", freut sich CERN-Direktor Rolf Heuer. "Wir haben ein neues Teilchen beobachtet, das mit dem Higgs-Boson kompatibel ist." Viel Applaus und Gelächter, während Rolf Heuer von einem "historischen Meilenstein" spricht. Die Stimmung am CERN ist ausgelassen, ja beinahe euphorisch, auch wenn der Chef beschwichtigt: "Wir stehen noch ganz am Anfang. Jetzt liegt eine Menge Arbeit vor uns."
Eine wissenschaftliche Sensation?
Hundertprozentig sicher sind sich die CERN-Forscher also noch nicht, aber fast. "Wir benötigen noch mehr Daten", heißt es, aber die aktuellen Daten zeigten klare Spuren, dass da ein Teilchen ist. Für Joachim Mnich, Forschungsdirektor des Deutschen Elektronen-Synchrotrons Desy ist "das, was sich hier anbahnt, die Entdeckung des Jahrhunderts" und Forschungsministerin Annette Schavan gratulierte den CERN-Forschern zur "wissenschaftlichen Sensation".
Ist es wirklich eine Sensation? Sicher ist: die Ergebnisse sind ein großer Erfolg für die Physiker am Europäischen Teilchenforschungszentrum CERN, auf den sie - nach vielen Pannen, Störfällen und Ausfällen des weltweit größten Teilchenbeschleunigers - lange gewartet haben. Außerdem standen sie unter Zugzwang und immensem Konkurrenzdruck. Denn eine US-Forschergruppe am Fermilab bei Chicago sucht seit einigen Jahren ebenfalls nach dem Higgs-Teilchen. In der letzten Zeit war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das das CERN auf keinen Fall verlieren wollte.
Higgs verleiht Materie die Masse
Nun scheint das CERN den Wettlauf gewonnen zu haben. Zumindest mit großer Wahrscheinlichkeit ist das Higgs-Teilchen gefangen. Genauer gesagt - man nähert sich statistisch an. Denn sehen kann man es nicht. Higgs-Boson ist reine Theorie. Erfunden von Peter Higgs - auf dem Papier - in endlosen physikalisch-mathematischen Formel-Beweisen. Seine Hypothese: Irgendetwas muss den anderen zahlreichen Materie-Teilchen Masse verleihen.
Denn Quarks, Elektronen oder Neutrinos haben nach anerkannter mathematischer Definition keine Masse und würden daher unaufhörlich mit Lichtgeschwindigkeit umher rasen. Das tun sie aber nicht: Also muss sie irgendetwas bremsen, ihnen Masse geben und damit Gewicht. Genau das soll das Higgs-Teilchen tun. Und zwar sollen diese Higgs-Teilchen - so die Theorie - überall im Universum ein feinmaschiges Netz bilden, in dem die Bestandteile der Materie hängen bleiben. Higgs-Teilchen sind demnach so etwas wie der Klebstoff, der die verschiedenen Elementarteilchen zusammenhält, aus denen Materie - also auch der Mensch besteht.
Peter Higgs genoss seinen großen Tag als Ehrengast am CERN. Ein strahlender alter Mann, ein großer Forscher, für den sein größter Traum erfüllt wurde: "Für mich ist das wirklich eine unglaubliche Sache, dass das noch zu meiner Lebzeit geschehen ist", freut er sich, die Physiker-Elite applaudiert. Am CERN, in Lindau und in Melbourne. Alle waren sie beisammen. Der Termin für die Higgs-Verkündung war - zumindest öffentlichkeitswirksam - bestens gewählt.