Chemnitz: Maaßen erntet Widerspruch
7. September 2018Am Anfang war ein Interview mit der "Bild"-Zeitung: Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen bezweifelte die Echtheit von Video-Aufnahmen aus Chemnitz und trat damit eine heftige Debatte über rassistische Übergriffe dort los. Berichte über "rechtsextremistische Hetzjagden" in der sächsischen Stadt sehe er mit "Skepsis", sagte Maaßen - und widersprach damit auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Regierungssprecher Steffen Seibert. Am Freitagabend versicherte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dann aber, die Prüfung "möglicher Hetzjagden" von Rechtsextremisten gegen Migranten dauere an.
Gezielte Falschinformation?
Im Mittelpunkt der Debatte steht ein Video, das in Chemnitz aufgenommen wurde, nachdem ein 35-jähriger Mann mutmaßlich von zwei Ausländern angegriffen worden war - der Mann erlag später seinen Verletzungen. Was die "Hetzjagden" angeht, die durch die Filmaufnahmen bezeugt werden sollten, erklärte der Verfassungsschutz-Chef: "Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist." Nach seiner vorsichtigen Bewertung "sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken".
Die fraglichen Filmaufnahmen zeigen einen Übergriff auf zwei Männer, möglicherweise Migranten, aufgenommen am Rande der früheren Proteste. Einer wird mehrere Meter verfolgt und mit einem Tritt attackiert. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden erklärte, sie halte die Aufnahme für echt. "Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass das Video ein Fake sein könnte", sagte Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein gegenüber "Zeit Online". Er wisse nicht, aufgrund welcher Informationen Maaßen zu anderen Schlussfolgerungen gekommen sei.
Der Generalstaatsanwaltschaft zufolge sind auf Videos "eine Vielzahl von Straftaten" festgehalten, darunter Körperverletzung, Beleidigung und Landfriedensbruch. Derzeit gebe es 120 Ermittlungsverfahren zu Vorfällen vom 26. und 27. August. Ein Sprecher sagte aber auch: "Bis jetzt haben wir nach wie vor keine Anhaltspunkte für sogenannte Hetzjagden gefunden", in dem Sinne, dass Menschen durch die Straßen gejagt und verprügelt worden seien. Die Auswertung gehe weiter.
Sondersitzung des Innenausschusses
Die SPD will wegen Maaßens Äußerung das für die Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium anrufen. Der Innenausschuss des Bundestages wird sich in einer Sondersitzung mit Maaßens Einlassungen befassen. Aus Sicht der meisten Bundestagsparteien hat sich der Verfassungsschutz-Präsident mit seiner unbelegten Einschätzung zu weit aus dem Fenster gelehnt. Auch aus der CDU kam Kritik. Linke und Grüne legten ihm den Rücktritt nahe. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), dem der Bundes-Verfassungsschutz unterstellt ist, bejahte hingegen die Frage, ob Maaßen noch sein volles Vertrauen habe.
Bericht über Angriff auf das "Schalom"
Zugleich wurde ein weiterer Vorfall bekannt, der sich offenbar bei den teils ausländerfeindlichen Protesten vor zwei Wochen in Chemnitz ereignet hat. Am Abend des 27. August sei das jüdische Restaurant "Schalom" von etwa einem Dutzend Vermummter angegriffen worden, berichtet die Zeitung "Welt am Sonntag". Sie hätten "Hau ab aus Deutschland, Du Judensau" gerufen und mit Steinen, Flaschen und einem abgesägten Stahlrohr geworfen. Der Eigentümer sei an der Schulter verletzt worden, eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen. Das Landeskriminalamt habe eine entsprechende Anzeige des Wirts bestätigt. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte dem Blatt, dass "derzeit eine politisch motivierte Tat mit einem antisemitischen Hintergrund" naheliege. Die Ermittlungen seien allerdings noch nicht abgeschlossen.
Immer wieder hatte es in Chemnitz nach dem Tötungsdelikt Proteste auch von Rechtsextremen und Neonazis gegeben. Im Zusammenhang mit dem Video, das die Diskussion mit ausgelöst hat, liegt nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft eine Strafanzeige wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung vor. Nach Medienberichten handelt es sich bei dem Anzeigeerstatter um einen Afghanen.
ml/gri (dpa, rtr, afp)