Henry Moore: Wo Schafe mit schweren Skulpturen kuscheln
27. Mai 2017Ein Ausflug zum Landsitz Perry Green gleicht einem Schäferstündchen. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Auf dem grünen Rasen im Skulpturenpark der Henry-Moore-Stiftung dösen Lämmer zwischen riesigen Moore-Plastiken. Der 1986 gestorbene Bildhauer, der in Großbritannien wie ein Staatskünstler gefeiert wird, stellte sie selber in der lieblichen Parklandschaft westlich von London auf.
70 Hektar Land hat er in den 40 Jahren, in denen er mit seiner Frau Irina in dem Dörfchen Perry Green lebte, zusammengekauft, um seine Skulpturen unter freiem Himmel zu präsentieren. Inmitten von Schafweiden, die bis zum Horizont reichen. Der Dialog mit der Natur war ihm wichtig.
Kunst auf der Schafwiese
In das Dörfchen Perry Green hat sich Henry Moore in den Wirren des Zweiten Weltkriegs geflüchtet. Eigentlich wollte er sich und seine Familie vor den Bombenangriffen der Deutschen in Sicherheit bringen. Doch dann blieb er dort hängen.
Auch wegen der Schafe, die er gerne beobachtete und zeichnete. Beim Spaziergang über die Wiesen von Perry Green stößt man etwa auf das "Sheep Piece", eine der Skulpturen, die Moore einfach auf der Schafweide platziert hat, als Unterstand für die Schafe, die dort gemütlich kauern - oder sich an der Skulptur reiben. Die Annäherung an die Kunst in der grünen Umgebung der Henry Moore-Foundation gleicht deshalb einem Spießrutenlauf.
Auf dem Boden liegen besondere Tretminen: Schafexkremente. Das Schaf war in der Kunst Henry Moores mehr als dekoratives Beiwerk. 1972 begann er seine ersten Schafzeichnungen, die ein ganzes Zeichenbuch füllen sollten. Er studierte ihre Bewegung, ihre Verwandlung, wenn sie beim Scheren ihre Wolle verlieren und dabei an Kontur gewinnen und ihnen ein neuer Körper geschenkt wird. Man könnte sagen: Das Schaf verkörpert für Moore alles, was ihn an der Kunst interessiert: die Erforschung von Körper und Raum, das Zusammenspiel von Hülle und Kern, der Versuch, das "Innere" sichtbar zu machen.
Retro-Sofas und Kakteenzucht
In Perry Green lernt der Besucher alle Seiten von Henry Moore kennen. Er kann seine Skulpturen umrunden, sie streicheln, sie als kleines Modell im Miniaturformat und in XXL auf der Wiese sehen. Und er darf vier Ateliers besichtigen, in denen Moore ab 1940 gearbeitet hat und die über das Gelände verteilt liegen.
In "Hoglands", dem Wohnhaus von Henry und seiner Frau Irina, samt Retro-Sofas und Kakteenzucht, lernt er auch Mrs. Tinsly kennen - oder zumindest ihren Geist, der noch durch "Hoglands" zu spuken scheint. Es stammt ursprünglich aus dem 17. Jahrhundert und wurde von dem Künstler und seiner Gattin in den 1960er Jahren erweitert. Mrs. Tinsly muss eine resolute Sekretärin gewesen sein, denn ihr Schreibtisch ist weitaus geräumiger als der des Stiftungsdirektors nebenan. Die Stiftung gründete Moore übrigens auch, um Steuern zu sparen. Als Multimillionär soll er eine Zeit lang der beste Steuerzahler Großbritanniens gewesen sein.
Skulptur vorm Bundeskanzleramt
Ein Foto mit Helmut Schmidt ist im Arbeitszimmer neben anderen Devotionalien im Regal zu finden. Der Ex-Bundeskanzler war es, der dafür sorgte, dass die berühmte Skulptur "Large Two Forms" nach Deutschland kam. Seit 1979 steht sie in Bonn vor dem ehemaligen Bundeskanzleramt. Und wurde dadurch so oft im Fernsehen gezeigt, wie keine andere Skulptur je zuvor. Sie wurde zum Symbol einer zweigeteilten Welt. Aber schon zuvor war Henry Moore in zahlreichen Ausstellungen in Deutschland zu entdecken.
Die Deutschen liebten Moore für seinen Reichtum an Vereinfachung, an Abstraktion, an Experimentierfreudigkeit und für seine Freude am Material.
Heimkehr nach Rolandseck
Für die Jubiläumsausstellung zum zehnten Geburtstag kooperiert das Arp Museum Rolandseck mit der Henry Moore Foundation im britischen Perry Green. Der wichtigste Bildhauer der Nachkriegszeit war übrigens vor genau 40 Jahren schon mal vor dem Bahnhof Rolandseck am Rhein zu sehen. Nur ganz wenige Museen können so eine Ausstellung mit XXL-Skulpturen realisieren.
Die Architektur des amerikanischen Star-Architekt Richard Meyer, der den Neubau neben dem klassizistischen Bahnhofsgebäude entwarf, ist laut Sebastiano Barassi, dem Leiter der Henry-Moore-Stiftung, wie geschaffen für eine Präsentation der Moore-Skulpturen. Die mussten eigens mit Schwerlasttransportern von der Insel bis nach Rolandseck transportiert werden. Erstmals ist nun das Ensemble monumentaler Skulpturen, das meistens im Freien steht, in den Räumen eines Museums zu sehen. Den Besuch in Perry Green sollte man deshalb lieber etwas aufschieben. Einige der Hauptwerke sind nämlich jetzt im Remagener Ortsteil Rolandseck zu bestaunen.