"Hemmungen ablegen"
3. August 2012Oliver Uschmann hat alle Exzesse mitgemacht, sagt er. Sein erstes Musikfestival besuchte er Mitte der 1990er Jahre. Seitdem ist er auf vielen verschiedenen Festivals in Deutschland unterwegs, als Fan, als Musikjournalist oder als selbsternannter Satiriker. Seine Beobachtungen hat er in einem Buch zusammengefasst - "Überleben auf Festivals". Darin erzählt er augenzwinkernd vom kuriosen Festivalalltag und gibt im Gespräch mit der Deutschen Welle Tipps für einen Festivalgenuss ohne Blessuren.
DW: Wacken, Melt, Hurricane: In Deutschland gibt es jedes Jahr sehr viele Musikfestivals. Warum braucht man einen Überlebens-Guide für solche Freizeitevents?
Oliver Uschmann: "Überleben auf Festivals" ist kein Ratgeber der sagt: Denk an den Gaskocher, sondern das ist eine heillos übertriebene Kategorisierung von Besuchern, Musikern und Ritualen. Wenn man das im Hinterkopf hat, dann betrachtet man alles, was man dort sieht, mit anderen Augen.
Gibt es denn tatsächliche Gefahren oder Dinge, auf die ich achten muss, wenn ich auf ein solches Festival gehe?
Man muss zum Beispiel genau wissen, wo man sein Zelt aufstellt. Nicht direkt am Weg, wo alle Leute vorbeilaufen, weil da ab spätestens 21 Uhr Männer den Leichtesten aus Ihrer Gruppe hochstemmen und auf das Zelt schmeißen, in dem man gerade liegt. Lieber auch nicht direkt am Zaun aufbauen, weil da ja alle pinkeln und dann das feine Uringesprenkel tagelang das Zelt benässt.
Man sollte sich auch vor den Vandalen in acht nehmen – der einzigen Besuchergruppe, die ich nicht mag – also den Leuten mit zu viel Testosteron, die gegen Ende des Festivals alles zerstören. Die riesige Feuer entfachen, in die sie Zelte schmeißen oder sogar Gaskartuschen. Diesen Leuten sollte man aus dem Wegen gehen.
Und man sollte vor der Bühne natürlich wissen, bei welcher Band sich die Leute auf welche Art und Weise bewegen. Bei Gruppen, die schon Namen haben wie "Hate", "Breed" oder "Inflame", hüpft das Publikum vor der Bühne nicht entspannt rum – da findet quasi der Dritte Weltkrieg statt. Das muss man vorher wissen.
Wenn ich noch nie auf einem Festival war, was raten Sir mir?
Verhalten Sie sich wie ein Schauspieler in einem Improvisations-Theater. Die müssen ja, weil Sie kein Drehbuch haben, den größten Unsinn, den ihr Gegenüber ihnen anbietet, als Handlungsoption nutzen. Nur dadurch ergeben sich die Komik und eine unendliche Kette von Übermut. Genau das sollte man auf einem Festival machen: alle Hemmungen von sich schmeißen und jede unsinnige Option annehmen.
Sie besuchen Festivals schon sehr lange - kann man alt werden auf Festivals?
Ja, kann man. Ich war gestern in Wacken, beim größten Festival Deutschlands. Wacken ist wie ein Phantasialand für Heavy-Metal-Fans. Das Gelände ist 500 Hektar groß, da gibt es zahlreiche "Themenstädte" innerhalb dieser Welt; sechs Bühnen und rund 80 000 Besucher. Da läuft alles rum, von einem sechs Jahre alten Kind mit Iron Maiden-T-Shirt bis zur Großmutter mit Rollator und Scorpions-T-Shirt. Das gibt es wirklich die ganze Bandbreite. Familien gehen dahin - drei Generationen mittlerweile und feiern ihre Helden. Das schön und auch toll, weil es Musikfestivals in Deutschland nun schon seit 20, 30 Jahren gibt.
Würden Sie sagen, dass solche Musikfestivals typisch deutsch sind?
Oh ja – mit drei Ausrufezeichen sogar. Und das im positiven Sinne. Wir sind ja ein Volk, das zu feiern weiß. Wir lieben es, unter freiem Himmel zu sein, zu zelten oder ein Wohnmobil zu haben, zu grillen, zu trinken und uns dabei beschallen zu lassen. Letzten Endes ist es dabei egal, ob man sich von Heavy Metal beschallen lässt oder von der Schützenfestkapelle – es ist das gleiche Feeling: man ist draußen, man ist gesellig, man ist albern, man trinkt und grölt. Das ist sehr deutsch und das ist auch gut so.
Was war ihr kuriosestes Festivalerlebnis?
Da bin ich auf dem Dach eines VW-Busses quasi gesurft - auf einer festgeschnallten Matratze, zusammen mit drei anderen Männern. Der Bus fuhr immer schneller im Kreis bis ich irgendwann in hohem Bogen von diesem Bus in die umstehenden Zelte geflogen bin. Ich habe eine richtige Schneise in die Zeltburg gerissen, mir dabei den Ellebogenknöchel gebrochen und bin dann acht Stunden später mit einem Riesen-Gips unter dem tosenden Jubel der Bevölkerung auf den Campingplatz zurückgekehrt.
Wem empfehlen Sie Ihr Buch?
Wenn Sie auf ein Festival gehen, wird mein Buch sie köstlich amüsieren und Ihnen einen anderen Blick auf die Dinge eröffnen, der alles noch mal schöner macht. Wenn sie nicht auf ein Festival gehen, sondern nur aus der Ferne wissen möchten, was da abgeht, dann lesen sie eine Satire, die im Kern sehr wahr ist.
Das Interview führte Charlotte Hauswedell