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Helfer unter Beschuss

Nina Werkhäuser17. Juni 2014

In Konfliktgebieten sind die "Ärzte ohne Grenzen" oft die einzigen medizinischen Helfer. In jüngster Zeit werden sie selbst häufig zur Zielscheibe - mit dramatischen Folgen für die Hilfsbedürftigen.

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Mitarbeiter von "Ärzte ohne Grenzen" fahren in Bangui in der Zentralafrikanischen Republik neben einem Transportpanzer, Foto: Juan Carlos Tomasi, Ärzte ohne Grenzen
Bild: Juan Carlos Tomasi

Meistens seien die Kämpfe gleich nach Sonnenaufgang losgegangen, berichtet der Chirurg Hannes Pietschmann, der im Mai zwei Wochen lang für "Ärzte ohne Grenzen" im Südsudan arbeitete. "Wir mussten dann Schutzräume aufsuchen, ausgerüstet mit einer 'Überlebenstasche', die Wasser, Nahrungsmittel, Papiere und Notgeld enthielt."

Wurde nicht gekämpft, dann behandelte der Hamburger Arzt Schussverletzungen bei den 15.000 Vertriebenen, die in den Lagern in der Nähe von Bentiu im Norden des neuen Staates Schutz gesucht hatten. "In den Krankenzelten war eine grauenhafte Hitze, die Wunden und Verbände waren feucht und alt, und darauf liefen Dutzende von Fliegen umher, die kaum zu vertreiben waren", beschreibt Pietschmann die katastrophale Lage der Patienten. Manche Schwerkranke hätten sich tagelang nicht zum Arzt getraut - aus Angst, in die Schusslinien zu geraten.

Gezielte Angriffe auf Ärzte

Die Vorsichtsmaßnahmen, die der deutsche Chirurg im Südsudan erlebte, hatten einen guten Grund: Mehrfach griffen Kämpfer in den vergangenen Monaten Krankenhäuser von "Ärzte ohne Grenzen" an und töteten gezielt Patienten. So fanden Mitarbeiter der Hilfsorganisation im verwüsteten Krankenhaus von Malakal 14 Leichen von Patienten, die in ihren Betten erschossen worden waren. Die Stadt nahe der Grenze zum Sudan wurde bei Kämpfen im Frühjahr zerstört.

Ärzte behandeln einen Verwundeten in der Zentralfafrikanischen Republik, Foto: William Daniels, Ärzte ohne Grenzen
Verwundete stehen unter dem Schutz des VölkerrechtsBild: William Daniels

Die gezielten Angriffe auf die unabhängige Hilfsorganisation, die rein humanitäre und keinerlei politische Ziele verfolgt, sind kein Einzelfall: In der Zentralafrikanischen Republik wurden im April drei Mitarbeiter von "Ärzte ohne Grenzen" getötet, in Syrien fünf Mitarbeiter monatelang in Geiselhaft gehalten. Das seien "dramatische Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht", sagte Geschäftsführer Frank Dörner bei der Vorstellung des Jahresberichts in Berlin. Das humanitäre Völkerrecht stellt sowohl Kranke und Verwundete als auch deren Helfer unter einen besonderen Schutz.

Rückzug aus Somalia

Am dramatischsten war die Entwicklung im vergangenen Jahr in Somalia: Nach 22 Jahren zog sich die Hilfsorganisation aus dem Land zurück, weil sie die Sicherheit ihrer 1500 Mitarbeiter nicht mehr gewährleisten konnte. Das sei die schwierigste Entscheidung seit der Gründung der Hilfsorganisation vor 40 Jahren gewesen, sagte Dörner. In vielen Gebieten Somalias seien die "Ärzte ohne Grenzen" die einzigen medizinischen Helfer gewesen. "Wir wussten, dass wir Menschen hinter uns lassen, die auf unsere Hilfe dringend angewiesen sind, dass es Todesfälle geben würde." Zu der Entscheidung habe beigetragen, dass die somalischen Autoritäten Übergriffe auf die Ärzte nicht verhindert hätten oder sogar in sie verstrickt gewesen seien. Nach dem Verlust von 16 Mitarbeitern seit 1991 sei das Risiko untragbar geworden.

Versuch der Instrumentalisierung

Die Häufung der schweren Übergriffe wertet Frank Dörner als neue und beunruhigende Entwicklung. Einen Grund sieht er darin, dass Regierungen mittels medizinischer Hilfe politische Ziele verfolgten - darunter litten am Ende auch neutrale Hilfsorganisationen. So habe die CIA unter dem Deckmantel einer kostenlosen Impfkampagne 2011 nach dem Al-Kaida-Anführer Osama bin Laden gesucht, ein pakistanischer Arzt lieferte dem US-Geheimdienst wichtige Informationen zu. "In Pakistan sind daraufhin einige Impf-Aktivisten umgebracht worden", beschreibt Dörner die Folgen, Impfkampagnen hätten gestoppt werden müssen.

Ein Arzt von "Ärzte ohne Grenzen" untersucht im Südsudan ein Kleinkind auf dem Schoss der Mutter, Foto: Anna Surinyach, Ärzte ohne Grenzen
Hilfe ohne Hintergedanken: Ein Arzt im SüdsudanBild: Anna Surinyach/MSF

Keine gemeinsame Sache mit dem Militär

Sehr problematisch sei es auch, wenn humanitäre Hilfsorganisationen von Regierungen schlichtweg zu Partnern erklärt würden - wie im jüngst erschienenen "Counter Insurgency Manual" der US-Streitkräfte. "Diese Dokumente werden gelesen", warnt Dörner. Wenn "Ärzte ohne Grenzen" und das "Internationale Komitee vom Roten Kreuz" dort namentlich als ziviles Pendant der US-Streitkräfte genannt würden, "dann ist das für uns ein wirklich sehr großes Problem".

Benutzten Regierungen humanitäre Hilfsangebote als "Umarmungstaktik", etwa im Kampf gegen den Terrorismus, dann gerieten Hilfsorganisationen schnell in Erklärungsnot. "Der einzige Schutz, den wir haben, ist die Wahrnehmung, dass wir unabhängig, neutral und unparteilich sind", erklärte Dörner, dessen Hilfsorganisation grundsätzlich ohne bewaffneten Schutz arbeitet.

Frank Dörner, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen, Foto: dpa
Frank Dörner: "Beunruhigende Entwicklung"Bild: picture-alliance/dpa

Die von der Bundesregierung verfolgte Strategie der "vernetzten Sicherheit", also die Verbindung von militärischer und humanitärer Hilfe, lehnen die "Ärzte ohne Grenzen" ab. Gerade vor dem Hintergrund der wachsenden Zahl von Bundeswehr-Einsätzen in Afrika appellierte die Organisation an die Bundesregierung, beides nicht miteinander zu vermischen.