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"Helene Fischer hat den Schlager mehrheitsfähig gemacht"

Katharina Abel
12. Mai 2017

Mit dem neuen Album wird nach dreieinhalb Jahren Pause das nächste Kapitel in der Erfolgsgeschichte von Schlagerstar Helene Fischer aufgeschlagen. Die Zeit war reif für das Phänomen, sagt Schlagerforscher Ingo Grabowsky.

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Helene Fischer singt in ein Mikrofon (Foto: Getty Images/A. Rentz)
Bild: Getty Images/A. Rentz

Ingo Grabowsky ist Schlagerexperte und Co-Autor des Buches "Die 100 Schlager des Jahrhunderts". Als Dozent des Seminars für Slavistik an der Ruhr-Uni Bochum ist er mit seinen Studenten unter anderem dem "Schlager in der Gesellschaft der Sowjetunion" auf der Spur. Im Gespräch mit DW ergründet er Helene Fischers Erfolgsgeheimnis.

Herr Grabowsky, Sie haben schon 2008 in einem Fernsehinterview vorausgesagt, dass Helene Fischer ein großer Star werden wird. War das Fachkenntnis oder schlicht Glück?

Eher Pech, weil ich damals bei den Londoner Buchmachern kein Geld darauf gesetzt habe. (lacht) Nein, das war wohl mein Instinkt, weil ich gemerkt habe, da ist irgendwas, was mich fasziniert hat, das gebe ich zu. Die Lieder sind Geschmackssache, aber ihre Stimme hatte schon damals etwas faszinierendes.

Jetzt, neun Jahre, zahlreiche Platinalben und Auszeichnungen später - was ist Helene Fischers Erfolgsgeheimnis?

Sie hat tatsächlich viel Talent: Sie kann sehr gut singen, sie kann tanzen, und sie hat auf der Bühne das, was die Amerikaner "personality" nennen. Das sind die Grundvoraussetzungen. Und dann ist es schon so, dass sie exzellent gemanaged wird, und dass das Produkt, das um sie gestrickt wird, viele Leute anspricht.

Sie scheint wirklich sehr viele Menschen anzusprechen. Warum ist sie sowohl bei jungen als auch bei älteren Leuten beliebt?

Porträtfoto von Dr. Ingo Grabowsky, Schlagerexperte (Foto: LWL/M. Tillmann), Porträt
Kennt sich mit Schlagern aus: Ingo GrabowskyBild: LWL/M. Tillmann

Bis in die 1990er-Jahre hinein wollte man sich als junger Mensch mit der Musik sehr stark von der Elterngeneration abgrenzen. Diese Eigenschaft der Differenzierung hat die Popmusik verloren. Das ist sicher eine Folge der Digitalisierung, weil die Musik allgemein zugänglicher geworden ist, aber es ist auch eine Folge der Generationenentwicklung. Die Generation der jetzigen Eltern ist ja von der Mentalität her viel näher an der Jugend, als es die Elterngeneration noch in den 1970er-Jahren und den Achzigern war. Deshalb haben wir jetzt mit Helene Fischers Schlagerpop ein Produkt, das alle Altersklassen gleichermaßen anspricht.

Ein weiterer Grund für Helene Fischers enormen Erfolg ist, dass sowohl Männer als auch Frauen sie toll finden. Wie schafft sie das?

Heute präsentiert sie sich auf der Bühne ja sehr körperbetont, das war am Anfang nicht der Fall. Sie war zweifellos sehr attraktiv, aber auf eine unschuldige, harmlose Weise, beinahe entsexualisiert. Das war zu Beginn eine optimale Voraussetzung dafür, dass sie beide Geschlechter angesprochen hat.

Und dann spielen auch ihre Lieder eine Rolle: Die Texte von Helene Fischer sollen im Mann den Beschützerinstinkt wecken. Sie stellt sich darin oft als schwache Frau dar - "Morgen früh küss' ich dich wach", das ist das Bild der Frau, die zuhause traurig sitzt, weil der Ehemann bei der Arbeit ist. Sicherlich ein Frauenbild, das nicht mehr hundertprozentig aktuell ist, um es vorsichtig zu formulieren. Aber es spricht viele an. Und andererseits ermöglichen ihre Texte auch Frauen eine dreiminütige Flucht aus dem Alltag. Der Schlager hatte schon immer dieses eskapistische Moment, und bei der alltäglichen Überforderung, die heute viele Menschen in allen Berufen betrifft, kommt so was noch immer sehr gut an.

"Viele meiner Studenten finden Helene Fischer gut"

 Hat Helene Fischer den Schlager denn trotzdem auch verändert, und wenn ja, wie?

Künstlerisch hat sie den Schlager sicher nicht in seinen Grundfesten verändert. Der sogenannte "Europop" hat den Schlager schon vor Helene Fischer geprägt. Aber Helene Fischer hat es geschafft, den Schlager mehrheitsfähig zu machen. Schlager befand sich bis vor etwa fünfzehn Jahren in einem Paralleluniversum. Selbst, wenn Wolfgang Petry und PUR Stadien gefüllt haben, war es doch nur eine bestimmte Gruppe, die den Schlager gehört hat.

Heute schwappt die Begeisterung bis ins akademische Publikum über, das vorher über alles die Nase rümpfte, was unter "Schlager" lief. Zu meiner Studienzeit wäre es undenkbar gewesen, dass man sich zu einer Schlagergröße bekannt hätte. Das hat sich verändert: Meine Studenten an der Uni bekennen sich zu einem nicht unwesentlichen Teil dazu, dass sie Helene Fischer gut finden.

Bitte wagen Sie für uns noch eine weitere Prognose: Wie wird es Ihrer Meinung nach mit Helene Fischer weitergehen?

Noch fehlt ihr so ein bisschen das, was einen Udo Jürgens ausgezeichnet hat: Der konnte glaubwürdig in diese Chansonnier-Rolle hinüberwachsen, weil er sehr stark mit den Inhalten, die er auf der Bühne darbot, identifiziert wurde. Diese inhaltliche Komponente ist bei Helene Fischer vielleicht noch nicht so ausgeprägt. Aber sie sagt ja selbst, dass es nicht ihre Absicht ist, die Welt zu verändern, sondern, dass sie vor allem unterhalten will. Wenn sie ihr Bühnenprodukt weiter den Anforderungen der Zeit anpasst, wenn das Publikum eine Entwicklung feststellt, die es auch mitgehen kann, dann glaube ich schon, dass sie noch eine lange Karriere vor sich hat.

Das Gespräch führte Katharina Abel