Heftiger Streit über Parlamentsreform in Taiwan ausgebrochen
21. Mai 2024Gerade erst wurde der neue taiwanische Präsident Lai Ching-te in sein Amt eingeführt, da kommt es zu lautstarken Auseinandersetzungen im Parlament der ostasiatischen Inselrepublik. Mitglieder der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DFP) von Lai trugen Stirnbänder mit der Aufschrift "Die Demokratie ist tot" und machten ihrem Ärger über die Opposition Luft. Am Rednerpult stünden nicht Abgeordnete der Oppositionsparteien, dort stehe vielmehr der chinesische Staatschef Xi Jinping", sagte der DFP-Fraktionschef Ker Chien-Ming.
Vonseiten der Opposition gab es laute Gegenrufe. Yang Chih-Yu von der nationalistischen Kuomintang-Partei (KMT) sagte: "Die DFP schürt den Populismus, und ihre reformfeindlichen Aktionen stehen auf tönernen Füßen." Bereits am Freitag hatte es Handgreiflichkeiten zwischen den Parlamentariern gegeben, die sich schlugen, schubsten und anschrien. Einige Abgeordnete mussten mit Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden.
Warnung vor "Hongkongisierung"
In der Parlamentssitzung am Dienstag wurden am Podium Banner aufgehängt, die vor einer "Hongkongisierung in Taiwan" warnten - eine offenkundige Anspielung auf die schrittweise Zerstörung der Demokratie in Hongkong nach der Rückgabe der ehemaligen britischen Kolonie an die Volksrepublik China.
Der heftige Meinungsstreit resultiert aus Forderungen der Opposition nach Reformen, die dem Parlament eine stärkere Kontrolle über die Regierung ermöglichen würden. Dazu haben sich die beiden wichtigsten Oppositionsparteien zusammengeschlossen. Zusammen verfügen die KMT und die Taiwanische Volkspartei (TVP) über genügend Sitze, um bei Abstimmungen eine Mehrheit zustande zu bringen.
Angeheizt wurde der jüngste Streit durch einen Vorfall in einem Ausschuss, in dem Gesetze normalerweise debattiert und geprüft werden. Dort stimmten die Vertreter der beiden Oppositionsparteien KMT und TVP dafür, ihre Ansicht zu den Entwürfen direkt zur Abstimmung im Plenum zu bringen, ohne die einzelnen Paragrafen zu beraten. Zugleich ließen sie Entwürfe der DPP aus.
Die KMT setzt sich für engere Beziehungen zu China ein, bestreitet jedoch, prochinesisch zu sein. Die TVP will auch die Fühler nach China ausstrecken, aber zugleich die Demokratie in Taiwan erhalten. Präsident Lai tritt für die Eigenständigkeit der Insel ein. Bei den Wahlen im Januar hatte seine DFP jedoch die absolute Mehrheit im Parlament verloren. Damit ist sie für ihre Vorhaben auf Stimmen aus dem größeren Oppositionsblock angewiesen.
Proteste vor dem Parlament
Vor dem Parlamentsgebäude versammelten sich Tausende Menschen, um gegen die Reformpläne zu protestieren. Sie werfen der Opposition vor, mit China zusammenzuarbeiten und die Demokratie aushöhlen zu wollen. "Keine Debatten, keine Demokratie" zeigten Demonstranten auf Plakaten vor dem Parlament.
"Taiwan ist kein normales Land. Deshalb habe ich Angst, dass Taiwans Demokratie leicht entrissen werden kann, genau wie in Hongkong", sagte die 45 Jahre alte Geburtshelferin Amy Yang der Deutschen Presse-Agentur.
Die Volksrepublik China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz, obwohl sie dort nie regiert hat. Sie strebt an, Taiwan wieder mit dem Festland zu vereinigen, notfalls mit militärischer Gewalt. Die Drohgebärden der Volksrepublik gegenüber Taiwan haben in den vergangenen Monaten zugenommen, vor allem im Seegebiet zwischen China und der Insel.
Die Insel Taiwan ist zwar seit 1949 selbstverwaltet, wird heute jedoch aus Rücksicht auf China nur von wenigen Staaten als unabhängig anerkannt. Der Status Taiwans ist auch einer der Hauptkonfliktpunkte zwischen den USA und China. Die kommunistische Führung in Peking betrachtet Lai als Separatisten und warnte angesichts seiner Amtseinführung vor einer Eskalation der Spannungen.
kle/jj (rtr, dpa)