Havanna und das Öl aus Caracas
17. Dezember 2014Der Verkehr rollt wie gewohnt in Havanna. Die US-amerikanischen Straßenkreuzer mit russischen oder japanischen Motoren knattern durch die Stadt. Gegenüber anderen Großstädten gleicht die kubanische Hauptstadt selbst zur Hauptverkehrszeit einer verkehrsberuhigten Zone. Auch die mehrstündigen Stromausfälle - in den 1990er Jahren an der Tagesordnung - sind eher die Ausnahme. Davon, dass das Benzin oder der Strom knapper wird - keine Spur.
Vom Sturzflug des Ölpreis hört Alejandro Puerta* das erste Mal. Der Mittdreißiger ist gerade dabei, sein Auto aufzutanken. Es gehört nicht ihm, sondern der Firma. Mit gelegentlichen Taxifahrten verdient er sich ein kleines Zubrot. "Der Benzinpreis hat sich seit Wochen nicht verändert", sagt er. Umgerechnet knapp einen Euro kostet der Liter Normalbenzin, unter der Hand 40 bis 50 Cent – die eigentliche Bezugsgröße.
Doch am Horizont ziehen gerade dunkle Wolken auf - sinnbildlich. Denn Venezuela, Kubas engster Verbündeter und wichtigster Handelspartner, ist von dem rapiden Verfall der Erdölpreise besonders hart betroffen. Kostete das Barrel Öl (159 Liter) vor drei Monaten noch mehr als 100 US-Dollar, bewegte sich der Preis zuletzt in Richtung 60 US-Dollar. Venezuelas Haushalt hängt zum Großteil von den Erdölexporten ab, zwei Drittel der Staatseinnahmen und mehr als 90 Prozent der Deviseneinnahmen stammen aus dem Ölgeschäft.
Venezuela pleite?
Das Land brauche einen Ölpreis von 162 US-Dollar, um seinen Staatshaushalt auszugleichen, schätzt die Deutsche Bank; die Credit Suisse geht von 97 US-Dollar aus, damit das Land seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen könne. Bei dem OPEC-Treffen in Wien Ende November hatte Caracas vergeblich darauf gedrängt, die Fördermengen zu drosseln und so die Talfahrt des Ölpreises zu stoppen. Um seine Währung zu stützen, hat Venezuela einen Großteil seiner Währungsreserven verpulvert; die Staatspleite droht.
Die Krise könnte Caracas zwingen, den Ölhahn wenn auch nicht zuzudrehen, so zumindest die Lieferbedingungen neu auszuhandeln. Betroffen wären vor allem die Länder der Karibik, die über das Kooperationsabkommen Petrocaribe zu Vorzugskonditionen mit venezolanischem Öl versorgt werden, und wohl ganz besonders Kuba. Venezuelas Regierung hat wiederholt erklärt, "unter allen Umständen" die eingegangenen Verpflichtungen einzuhalten. Der langjährige Energieminister und jetzige Außenminister Rafael Ramírez erinnerte daran, dass Venezuela auch 2009, als der Ölpreis schon einmal ähnlich jäh abstürzte, die Vereinbarungen gegenüber den Petrocaribe-Partnern eingehalten habe. Doch damals verfügte das Land noch über gewaltige Währungsreserven.
Nicht alle Staaten scheinen den Beteuerungen aus Caracas nicht ganz zu trauen. Laut Internationalem Währungsfond (IWF) hätten Guayana, Haitï, Belize und Jamaica bereits Schritte unternommen, um unabhängiger von den venezolanischen Öllieferungen zu werden. Das Wall Street Journal berichtete, Venezuela habe in den vergangenen zwölf Monaten die Ölexporte in jene Länder bereits um zwanzig Prozent zurückgefahren.
Havanna profitiert - noch
Die Schwierigkeiten Venezuelas werden auch in Kuba mit Sorge betrachtet. Kuba selbst produziert jährlich knapp 25 Millionen Barrel, das entspricht rund 40 Prozent seines Konsums. Den Rest bezieht das Land über das Petrocaribe-Abkommen zu Vorzugskonditionen aus Venezuela; im Gegenzug arbeiten derzeit rund 25.000 kubanische Ärzte und medizinisches Personal in Venezuela. Experten schätzen, dass Venezuela um die 100.000 Barrel Öl pro Tag nach Kuba liefert. Einen Teil davon verbraucht der Karibikstaat selbst, den Rest verkauft er mutmaßlich weiter.
Trotz der engen Verflechtungen beider Länder unterscheidet sich die Situation Kubas jedoch von der Venezuelas. Als Öl importierendes Land dürfte es auch von dem Ölpreisverfall profitieren. Das Petrocaribe-Abkommen sieht vor, dass 40 Prozent des Kaufpreises innerhalb einer Frist von 90 Tagen gezahlt wird; der Rest kann über 25 Jahre zu einem Zinssatz von einem Prozent geschuldet werden. Davon ausgehend macht der frühere Diplomat und heutige Berater, Sir Ronald Sanders von der Universität London, im Jamaica Observer die Rechnung auf, dass die Petrocaribe-Länder, darunter Kuba, ihre Barzahlungsquote ohne zusätzliche Kosten erhöhen und somit indirekt Schuldenabbau betreiben bzw. ihre Währungsreserven aufstocken könnten, da sich die gestundeten Zahlungen verringern. Zugleich aber könnten sie der Regierung Nicolás Maduro entgegenkommen und bereits jetzt einen Teil der gestundeten Gelder zurückzahlen, also direkten Schuldenabbau betreiben.
Energiewende geplant
Unabhängig davon versucht Kuba seit Jahren über Energiesparprogramme seinen Energiebedarf zu drosseln und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern. Nachdem der Traum von einer kubanischen Erdöl-Bonanza wohl geplatzt ist - die von vielen Hoffnungen begleiteten Erkundungsbohrungen im Golf von Mexiko sind eingestellt worden - wurden die Anstrengungen intensiviert, den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben. Diese machen derzeit vier Prozent des kubanischen Energiehaushalts aus, davon wiederum sind mehr als 90 Prozent Biokraftstoffe, die aus Nebenprodukten der Zuckerindustrie gewonnen werden. In den vergangenen Jahren ist auf Kuba systematisch in den Bereich Regenerative Energien investiert worden. Mehrere Windparks und Solarenergie-Kraftwerke sind entstanden; weitere sind geplant.
Die Regierung hat die Energieunabhängigkeit als eine der Prioritäten des Landes bezeichnet und angekündigt, in den nächsten 15 Jahren mehr als 3,5 Milliarden US-Dollar in den Ausbau erneuerbarer Energien zu stecken. Dabei soll auch ausländisches Kapital helfen. Seit Ende Juni das neue Investitionsgesetz in kraft getreten ist, können ausländische Unternehmen in alle Sektoren der kubanischen Wirtschaft investieren. Der Energiesektor soll dabei eine Schlüsselrolle einnehmen. Bis 2030 will Kuba den Anteil erneuerbarer Energien auf 24 Prozent erhöhen.
Gelegenheits-Taxifahrer Alejandro Puerta interessiert in erster Linie der Benzinpreis. "Es gibt Gerüchte, dass der Benzinpreis bald gesenkt wird", sagt Puerta. "Aber das glaube ich erst, wenn es wirklich passiert." Dann tankt er drei Liter – mehr gibt der Geldbeutel nicht her – und fährt davon.
* Name geändert